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Rätselhaftes Massensterben
Tausende Blaumeisen verenden an unbekanntem Erreger

Seit März verenden in Mitteldeutschland ungewöhnlich viele Blaumeisen. Mehr als 10.000 Hinweise auf tote Tiere sind bisher beim Naturschutzbund (NABU) eingegangen. Eindeutige Laborergebnisse liegen noch nicht vor, Ornithologen haben aber einen Verdacht, was das Massensterben ausgelöst haben könnte.

Von Daniela Siebert | 16.04.2020
Eine Blaumeise (Cyanistes caeruleus) in einem Garten in Sieversdorf (Brandenburg). Vom 8. bis 10. Januar 2016 findet zum sechsten Mal die bundesweite "Stunde der Wintervögel" statt, zu der der Naturschutzbund Deutschland (NABU) aufgerufen hat.
Experten schießen COVID-19 als Ursache für das rätselhafte Blaumeisen-Sterben aus (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
Blaumeisen sind nur etwa zwölf Zentimeter lang. Flügel, Schwanz und Scheitel sind blau, der Unterleib gelb. Vor wenigen Wochen machten besorgte Bürger den Naturschutzbund auf auffallend viele tote oder kranke Blaumeisen aufmerksam. Lars Lachmann, Vogelexperte beim NABU, ist höchst besorgt, denn nach seiner Einschätzung handelt es sich um ein neues Phänomen, eine Epidemie.
"Wir können bis jetzt höchstens mutmaßen. Wir warten aber noch auf erste eindeutige Laborergebnisse. Das Einzige, was wir sagen können, ist: Dass von den Symptomen her es auf jeden Fall eine Krankheit ist, die Blaumeisen dahinrafft im Moment. Allerdings kann es alle möglichen Erreger dafür geben, infrage kommen Viren, Bakterien, oder auch einzellige Erreger."
Unterschiedliche Symptome
Die Symptome, die die Vögel zeigen, reichen von apathischem auf dem Boden sitzen, ohne Fluchtreflex, wenn sich jemand nähert. Über aufgeplustertes Gefieder, erkennbare Atemprobleme bis hin zu Sekret aus Schnäbeln und Augen. Die toten Vögel liegen mit struppigem Gefieder auf dem Rücken.
Nach einem Aufruf des NABU, solche Fälle zu melden, gingen bis Mitte April schon um die 10.000 Hinweise auf tote oder erkrankte Blaumeisen ein. Mit einer erkennbaren geografischen Häufung:
"Man kann ganz klar feststellen, dass überproportional viele Fälle aus einem Streifen kommen vom Saarland über Rheinland-Pfalz bis ins Mittelhessische hinein festgestellt werden, die Hauptausbruchszonen sind im nördlichen Rheinland-Pfalz, in Rheinhessen und im Westerwald. Es gibt noch ein zweites Zentrum, das ist im westlichen Niedersachsen."
Porträt einer Amsel
Amselsterben in Deutschland - Der Vormarsch des Usutu-Virus geht weiter
Im Jahr 2011 wurde in Deutschland erstmals das Usutu-Virus nachgewiesen, das zu einem Amselsterben im Rhein-Main-Gebiet führte. Seitdem hat sich das Virus immer weiter ausgebreitet.
Krankheit aus Großbritannien könnte die Ursache sein
Zwar sind die Ursachen noch unklar. Sie werden derzeit von lokalen Veterinärämtern und infolge einer bestehenden Kooperation mit dem NABU auch am Hamburger Bernhard Nocht Institut für Tropenmedizin untersucht. Doch Lars Lachmann hat einen Verdacht, was hinter der tödlichen Infektion stecken könnte:
"Es gibt eine Krankheit, die aus Großbritannien seit etwa 1996 bekannt ist, die speziell Blaumeisen befällt, dort allerdings bis jetzt zwar weit verbreitet ist, aber dort jeweils nur in kleinen Fallzahlen aufgetreten ist. In dem Fall ist das eine bakterielle Lungeninfektion der Vögel."
Vor zwei Jahren sei dieser Erreger in Deutschland erstmals festgestellt worden, so Lachmann. Nicht weit von der jetzigen Ausbruchsregion.
Nur ein Teil der deutschen Blaumeisen fliegt in den Wintermonaten weg. Die britischen Blaumeisen bleiben auf ihrer Insel. Trotzdem hält Lachmann eine Infektion für möglich, weil schon ein einziger Kontakt reichen könne, um solch eine Erkrankung über Grenzen hinweg auszubreiten.
Experten können bestimmte Erreger ausschließen
Andere in Deutschland verbreitete Vogelkrankheiten hält der Vogelexperte für irrelevant, denn sie haben derzeit keine Saison. So etwa das Usutu-Virus, das viele Amseln das Leben kostet.
"Das ist ein Virus, was vor allem Amseln befällt, und im Sommer jeweils zu einem Amselsterben bei uns führt. Dieses Virus wird von Mücken übertragen, die bei uns im Moment jetzt noch wenig aktiv sind. Und das erklärt auch, warum die Usutu-Virus-Ausbrüche immer vor allem im August und September stattfinden."
Das Gleiche gelte für das West-Nil-Virus, das zwar mehrere Vogelarten befalle, das aber ebenfalls erst im August und danach seine Hochzeit habe. Außerdem konzentriere es sich auf bestimmte Regionen der Republik.
Auch die Trichomoniasis, eine Erkrankung, die vor allem Grünfinken befällt, spiele aktuell keine Rolle ist Lachmann überzeugt. Auch dieser Parasit benötige sommerliche Temperaturen.
Zu guter Letzt: SARS-CoV 2, das Coronavirus, das uns Menschen derzeit so zusetzt. Das sei für die Vogelpopulation in Deutschland ganz sicher kein Risiko – so Lars Lachmann.
"Das Coronavirus und alle Coronaviren kann man bei Vögeln durchaus ausschließen, denn Coronaviren sind, soweit bekannt, bis jetzt reine Säugetierviren, sind bis jetzt in keinem Fall auf Vögel übergesprungen."
COVID-19 kann als Ursache ausgeschlossen werden
Damit sich die aktuelle mysteriöse Blaumeisenkrankheit nicht ausbreitet, bittet der NABU Garten-Besitzer, Futterstellen und Tränken wegzuräumen, wenn tote oder kranke Vögel beobachtet wurden. Damit die Tiere sich nicht untereinander anstecken.
Zur Aufklärung der Epidemie ruft der NABU dazu auf, ihm Fotos von erkrankten Tieren zu schicken