Freitag, 29. März 2024

Archiv

Räumliches Hören
Tiefe Tiefen, hohe Höhen

Ein Experiment Bielefelder Neurowissenschaftler hat gezeigt: In einem dunklen Raum verorten Menschen den Ursprung eines tiefen Tons eher unten und umgekehrt. Diese subjektive Wahrnehmung scheint zum einen physikalische und außerdem physiognomische Ursachen zu haben.

Von Michael Böddeker | 05.05.2014
    Eine junge Frau hält sich mit gequältem Gesichtsausdruck die Ohren zu.
    Die menschliche Ohrmuschel ist so geformt, dass sie hohe Frequenzen, die zudem von oben kommen, besser bis zum Hörnerv durchlässt. (picture alliance / dpa / Klaus Rose)
    Ein Ohr links am Kopf, eins rechts – damit können wir Menschen ziemlich gut wahrnehmen, ob ein Geräusch von links oder von rechts kommt. Ob ein Geräusch von oben oder von unten kommt, können wir auch noch ganz gut bestimmen. Schwierig wird es allerdings, wenn es um einzelne Klänge geht, die jeweils eine ganz bestimmte Tonhöhe haben. Forscher aus Bielefeld haben sie Versuchsteilnehmern vorgespielt, die in einem dunklen Raum saßen.
    "Zum Beispiel gab es diesen Ton ... , der war im unteren Frequenzbereich. Oder diesen Ton ..., der war im oberen Frequenzbereich. Oder auch ein weißes Rauschen ...."
    Neurowissenschaftler Marc Ernst erforscht die Wahrnehmung des Menschen. In dem Experiment sollten die Probanden nach dem Anhören der Töne sagen, in welcher Höhe sie den Lautsprecher vermuten. Das Ergebnis:
    "Egal, wo der Lautsprecher war: Hatten wir ihnen einen hohen Ton angeboten zum hören, dann haben die den weiter oben lokalisiert. Wenn's ein tiefer Ton war, dann von weiter unten."
    Hohe Töne scheinen also von weiter oben zu kommen – zumindest in der subjektiven Wahrnehmung der Versuchsteilnehmer. Hörten sie dagegen ein diffuses Mischgeräusch wie das weiße Rauschen, dann landeten sie mehr Treffer und konnten zielgenau sagen, in welcher Höhe sich der Lautsprecher befand.
    Von der Natur beeinflusst?
    Eine mögliche Erklärung dafür: Vielleicht kommen ja auch in einer natürlichen Umgebung die meisten hohen Töne eher von oben, und die tiefen von unten. Schritte zum Beispiel kommen in aller Regel von unten. Und wenn man in einem Wald ist, hört man oben die Vögel singen und das Blätterdach rauschen.
    Ob hohe Frequenzen tatsächlich meist von oben und tiefe meist von unten kommen, haben die Wissenschaftler in unterschiedlichen Umgebungen untersucht, zum Beispiel im Einkaufszentrum oder im Wald. Dafür haben sie mit zwei Mikrofonen Klänge aus Bielefeld und Umgebung aufgenommen und anschließend statistisch ausgewertet. Einzelne Klangquellen wie Vögel, Stimmen oder Schrittgeräusche spielten keine Rolle - es ging um das komplette Klangspektrum.
    "Was sich dann herausgestellt hat ist, dass hohe Töne eher von oben kommen, und tiefe eher von unten. Das heißt, da haben wir den Grund dafür gefunden, dass diese Vorerfahrung die Wahrnehmung verändert, in der Hinsicht, dass hohe Töne eher von oben wahrgenommen werden und tiefe Töne eher von unten."
    Wie das kommt, wissen die Forscher noch nicht.
    "Allerdings ist meine sehr große Vermutung, dass es nicht daran liegt, dass der Elefant unten trampelt und der Vogel oben singt, sondern dass es rein an der Physik liegt. Nämlich: Hohe Töne werden eher am Boden absorbiert. Das heißt, was bleibt, sind tiefe Töne."
    Die Form des Ohres ist relevant
    Die menschliche Ohrmuschel ist außerdem so geformt, dass sie hohe Frequenzen, die von oben kommen, besser bis zum Hörnerv durchlässt. Das Außenohr wirkt wie eine Art Filter.
    "Was da eine Rolle spielt, ist die Art und Weise, wie unsere Ohren geformt sind. Die verändern nämlich die Töne, und vor allem die Tonhöhe – wie viele Töne durchkommen. Wenn ein Ton von oben kommt, kommen mehr höherfrequente Töne durch. Wenn der Ton eher von unten kommt, dann eher die tieffrequenten Töne."
    Diese Erkenntnisse lassen sich praktisch nutzen, sagt Marc Ernst. Zum Beispiel in virtuellen Welten, bei denen nicht nur die Bilder, sondern auch die Klänge künstlich generiert werden. So ließe sich ein natürlicheres räumliches Hörerlebnis schaffen.
    "Oder aber auch, womit Leute immer wieder Probleme haben, sind Hörgeräte. Möglicherweise kann man das ausnützen bei der Herstellung modernerer Hörgeräte, wo das räumliche Hören dann nicht so arg beeinflusst wird dadurch. Wenn man solche Vorerfahrungen da mit einfließen lassen kann, kann das wichtig sein."
    Die Verbindung zwischen Tonhöhe und räumlich wahrgenommener Höhe der Schallquelle ist ein Feld, auf dem die Forscher nach neuen Erkenntnissen suchen. Denkbar ist aber noch mehr.
    "In der Wahrnehmung gibt es relativ viele solcher Assoziationen, die scheinbar willkürlich aussehen. Zum Beispiel, dass Farben eine Temperatur haben. Ich gehe schwer davon aus, dass, wenn wir solche scheinbar willkürlichen Assoziationen weiter untersuchen, werden wir für viele von diesen statistische Regelmäßigkeiten in der Umwelt finden. Also von daher ist es jetzt ein Beispiel, was sehr prominent ist, mit der Höhe und dem Ton. Aber es gibt noch viel mehr – und daran werden wir weiter forschen."