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Ramadan in Corona-Zeiten
Alles sehr viel ruhiger

Seit heute früh fasten viele Muslime in Deutschland. Es ist Ramadan – vier Wochen lang. Der Fastenmonat ist normalerweise eine Zeit der Gemeinschaft. Nach Sonnenuntergang versammeln sich Muslime zu einem gemeinsamen Mahl, laden Nachbarn ein und Bedürftige. Der Ramadan in diesem Jahr wird eine ruhigere Zeit. Einige sehen darin auch eine Chance.

Von Claudia van Laak | 24.04.2020
Ein Mann läuft durch einen leeren Gebetsraum einer Moschee. Etwa 700000 Muslime im Südwesten dürfen wegen der Corona-Krise den Fastenmonat Ramadan nur im engsten Familienkreis feiern.
Mehr Zeit für die Familie, mehr Zeit innezuhalten: Wenn gemeinsames Beten und Feiern (noch) nicht möglich ist, muss der Ramadan anders gefeiert werden (dpa/Christoph Schmidt)
Imam Ferid Heider wirft einen Blick in den zur Moschee-Gemeinde gehörenden kleinen Laden mit arabischen Lebensmitteln, spricht mit den Gläubigen, die gerade jetzt viele Fragen haben. Er selbst macht sich Sorgen um die Finanzierung seiner Moschee. Da seit fünf Wochen keine Freitagsgebete stattfinden, fehlen die Spenden. Moschee-Gemeinden finanzieren sich zu einem großen Teil aus Spenden. Eine Moschee-Steuer wird nicht eingezogen. Finanzielle Unterstützung kommt aus dem Ausland.
"Gerade der Ramadan ist auch der Monat, wo man rein materiell gesehen sehr viele Spenden eingenommen hat, das ist sozusagen die Hauptsaison, wahrscheinlich ähnlich wie Ostern und Weihnachten bei den Christen, wo man etwas spendabler ist. Wenn sich das über Wochen und Monate hinzieht, dann mache ich mir schon Gedanken, ob wir das noch stemmen können."
Ramadan ist für muslimische Gläubige auch ein wichtiges Gemeinschaftserlebnis. Das Gebet am Abend, dicht gedrängt in der Moschee, anschließend das Iftar-Mahl – Fastenbrechen – zu dem auch Nicht-Muslime und Bedürftige eingeladen werden. All das fällt jetzt aus. Schmerzlich für die Muslime, doch Imam Ferid Heider versucht, der Corona-Krise etwas Positives abzugewinnen.
Jugendimam Ferid Heider vor Bücherwand in der Moschee
Der Jugendimam Ferid Heider ( Karin Gothe)
"Was mich persönlich betrifft als Imam, der im Ramadan wirklich voll ausgelastet ist: Ich kann mich jetzt ein bisschen mehr um meine Familie kümmern und dann auch ein bisschen mehr Ramadan familiär zelebrieren, als ich es in den letzten Jahren konnte."
Mehr Zeit, innezuhalten
"Für mich ist das keine Ausnahmesituation, denn ich lebe sehr zurückgezogen."
Sagt Serdar Kurnaz, Professor für islamisches Recht an der Berliner Humboldt-Universität.
"Und die Quarantäne-Situation kommt mir extrem entgegen. Weil ich mich jetzt auf meine Artikel konzentrieren kann, die ich schreiben will. Dinge lesen kann, die ich schon lange lesen wollte, Zeit finde, mich zurückzuziehen, innezuhalten, quasi zu meditieren. Den Koran intensiver im Sinne einer Spiritualität zu erforschen. Und ich kann auch endlich Musik machen."
Der islamische Theologe lernt Tanbur, eine orientalische Langhalslaute. Ramadan ohne die üblichen Gemeinschaftserlebnisse, ohne die großen Feste und Gelage, dies könne auch eine Chance für die Gläubigen sein, sagt Serdar Kurnaz:
"Denn zumindest in der Sufi-Tradition ist es oft so, dass sich die Menschen zurückziehen, um noch intensiver über die Welt zu reflektieren, über Gott zu reflektieren, über den Alltag zu reflektieren. Und wenn wir jetzt mehr Zeit haben zu Hause, inne zu gehen, dann kann man das auch als eine Möglichkeit wahrnehmen."
Schrittweise Öffnung
Serdar Kurnaz zieht sich im Ramadan zurück, Ferid Heider bereitet sich auf die schrittweise Öffnung seiner Moschee ab dem 4. Mai vor. Nicht im Alleingang, betont der Imam, nur gemeinsam mit anderen Gemeinden, den muslimischen Verbänden und der Politik.
In den christlichen Kirchen die Abstandsregeln einzuhalten, das sei vergleichsweise einfach. Aber in den Moscheen?
"Es ist schon so, dass die Gläubigen Schulter an Schulter stehen sollten, es ist ja auch dieses Feeling, dass man eine Gemeinschaft ist. Es ist aber nicht zwingend notwendig. Unter diesen Umständen könnte man auch Abstände halten. Wir haben auch viele Bilder bekommen aus Indonesien, aus einigen anderen, gerade asiatischen Ländern. Wo man aber auch sagen muss, dass die Leute sehr diszipliniert sind."
"Lieber lasse ich das ganz, als meine Gemeinde zu gefährden"
Der Imam sagt es nur indirekt – er hält seine arabischen Gläubigen für nicht so diszipliniert. Deshalb will er nach dem 4.Mai mit den kleinen Gebeten tagsüber beginnen und schauen, ob es mit dem Abstand halten klappt. Wenn es Tumulte gibt, schließe ich die Moschee wieder, sagt Ferid Heider bestimmt.
"Lieber lasse ich das ganz, als das ich irgendwie Gefahr laufe, erstens meine Gemeindemitglieder zu gefährden, das ist das eine, das ist die größte Verantwortung, die ich trage. Aber ich trage auch eine Verantwortung gegenüber der muslimischen Community als Ganzes. Denn es braucht nur eine Moscheegemeinde aus der Reihe zu tanzen, da braucht nur ein Bild auf Facebook oder in der Springer-Presse landen, und dann hat man den Salat."
Ferid Heider sieht schon die dicke Überschrift in der "Bild"-Zeitung: "Muslime verbreiten Corona-Virus". Diese Schlagzeile will er auf jeden Fall verhindern.