Freitag, 19. April 2024

Archiv


Ramms: Mandat deckt nicht Suche nach Gaddafi ab

Die NATO bemühe sich, den Rebellen Aufklärungsergebnisse zu geben, um die Lage in Tripolis zu verdeutlichen, sagt Egon Ramms, General a. D. der Bundeswehr. Der Auftrag des Bündnisses umfasse die Luftunterstützung sowie den Schutz der Zivilbevölkerung.

Egon Ramms im Gespräch mit Bettina Klein | 26.08.2011
    Bettina Klein: Nach den jüngsten Erfolgen der Rebellen im Kampf um Tripolis hat der Nationale Übergangsrat seine Arbeit nun in der Hauptstadt aufgenommen. Der Vizepräsident des Exekutivkomitees, Tarhouni, gab gestern offiziell bekannt, dass die politische Vertretung der Aufständischen von nun an in Tripolis arbeite. Über Gaddafis Aufenthaltsort ist weiterhin nichts bekannt, nur akustisch ist er nach wie vor präsent.
    Am Telefon begrüße ich General a.D. Egon Ramms. Er war einer der ranghöchsten deutschen Soldaten in der NATO. Guten Morgen!

    Egon Ramms: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Wie viel Anteil hat die NATO, haben die NATO-Staaten an der Entwicklung der vergangenen Tage in Libyen nach Ihrer Beurteilung?

    Ramms: Also zunächst mal mit Blick auf den Einsatz der NATO seit März glaube ich, dass die NATO eine entscheidende Rolle gespielt hat, um die Rebellen überhaupt nach vorne zu bringen. Wenn man sich an die Situation erinnert, die wir in Bengasi gehabt haben, wo es die Situation gab, dass Gaddafi sie dorthin fast zurückgedrängt hätte, wäre, glaube ich, ohne die NATO-Unterstützung der ganze Weg nach Tripolis überhaupt nicht möglich gewesen. Die NATO bemüht sich zurzeit weiter, den Rebellen Aufklärungsergebnisse zur Verfügung zu stellen und ihnen damit, ich sage mal, die Lage deutlicher zu machen, die in Tripolis herrscht, und man sieht ja an der Berichterstattung mit Blick auf Gaddafi, seine Söhne und die Situation in Tripolis, dass wir dort immer noch stark wechselnde Lagen haben, wo ich mir heute noch kein, ich würde sagen, komplettes Lagebild erlauben kann.

    Klein: Das heißt, Sie würden keine Prognose sich darüber erlauben wollen, wie das weitergeht in den nächsten Tagen und Wochen, das heißt, wie weit man zum Beispiel von einer Gefangennahme Gaddafis entfernt ist?

    Ramms: Ich weiß nicht, ob Gaddafi überhaupt noch in Libyen ist. Die Telefonbotschaften - ich spreche jetzt von meinem Wohnort in Meckenheim mit Ihnen in Köln - kann Gaddafi auf gleiche Art und Weise auch an den libyschen Rundfunk übertragen und von dort aus gehen sie auf Sendung. Von daher gibt es da keine Hinweise. Ich vermute, er ist noch da, weil er dieses ja immer angekündigt hat, und das kann eine Frage von Tagen, aber wie Sie gerade auch schon gesagt haben eine Frage von Wochen sein, bis man ihn tatsächlich zu fassen kriegt.

    Klein: Der britische Verteidigungsminister Fox hat sich gestern, ja man weiß nicht, vielleicht eher versehentlich geäußert. Die Rede war von NATO-Truppen beziehungsweise Truppen von NATO-Staaten, die sich an der Suche nach Gaddafi beteiligen würden. Das war ja eigentlich im Mandat so nicht vorgesehen. Wäre das von einem Mandat gedeckt?

    Ramms: Nein! Das wäre von einem Mandat eindeutig nicht gedeckt, sondern wir haben die Luftunterstützung, wir haben den zweiten Auftrag im Mandat, die Bevölkerung zu schützen. Dieses Mandat 1973 aus dem März erlaubt nicht mehr. Das heißt, alle weiteren Handlungen in Libyen selber müssten mit einem neuen Mandat abgesegnet werden durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Das sehe ich im Augenblick nicht, auch Einsatz von Streitkräften in Libyen selber infolge dieses Mandats, wenn Gaddafi gefasst sein sollte und der Kampf dort zu Ende ist, ist eine schwierige Frage, weil hier die verschiedensten Interessenlagen dann zum tragen kommen.

    Klein: Das heißt, es sieht so aus, dass Truppen dort ohne Mandat handeln?

    Ramms: Zurzeit befindet sich die NATO nicht in Libyen. Also von daher bewegt sich zurzeit alles im Rahmen des Mandates. Es gibt die Ihnen bekannte Diskussion, ob die NATO in dieser Art und Weise hätte eingreifen können mit Bomben, oder eingegriffen hat mit Bomben. Ich sehe das in einer erweiterten Interpretation auch unter dem Schutz der Zivilbevölkerung. Ich glaube, wir hätten wesentlich mehr Verluste gehabt, wenn die Rebellen nicht diesen schnellen Vormarsch gemacht hätten, der durch die NATO ermöglicht worden ist.

    Klein: Es gibt immer wieder Meldungen, die mehr oder weniger den Charakter von Vermutungen, von Spekulationen gehabt haben - es gibt keine wirklich offizielle Bestätigung dafür -, dass eben Spezialkräfte (wir haben gerade darüber gesprochen) am Boden in Libyen unterwegs seien. Anders seien diese Erfolge nicht zu erklären. Die NATO sagt, so weit es unsere Einsätze angeht, also wo NATO wirklich draufsteht, das ist nicht der Fall. Aber die NATO sagt eben auch, was die einzelnen Staaten betrifft, darüber können wir nichts sagen. Nun könnte man ja eigentlich denken, dass die beteiligten Staaten mit NATO-Mandat handeln und nicht mehr oder weniger auf eigene Faust eigenmächtig. Aber ist das in Wahrheit üblich bei solchen Einsätzen?

    Ramms: Die NATO ist die Anzahl der Nationen, die als NATO-Mitglieder dort mitmachen. Jede Nation bleibt ja, auch wenn sie in der NATO Mitglied ist, eine souveräne Nation. Ich möchte meine Hand dafür ins Feuer legen, dass die NATO derartige, neben dem Mandat liegende Einsätze mit Sicherheit nicht führt, nicht durchführt, und ich kann nichts sagen zu den einzelnen Nationen. Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass beispielsweise Länder wie Großbritannien, Frankreich und die Vereinigten Staaten von Amerika auch sehr großen Wert darauf legen, sich mandatskonform zu halten. Das heißt, ich möchte das eigentlich in dieser Richtung ausschließen. Es kann sich keine dieser genannten Nationen erlauben, irgendwo weltöffentlich an den Pranger gestellt zu werden, gegen ein Mandat der Vereinten Nationen zu verstoßen, weil man mit den Vereinten Nationen entsprechend zusammenarbeitet und weil man ja auch in allen anderen Situationen (nehmen Sie Afghanistan, Operation Enduring Freedom, oder ISAF) unter dem entsprechenden Mandat der Vereinten Nationen arbeitet.

    Klein: Aber Sie würden schon zustimmen, dass es da so eine Art Grauzone gibt, die man immer wieder bei solcher Art von Einsätzen dann hat?

    Ramms: Es gibt in solchen Fällen auch viele Spekulationen, sowohl von der politischen Seite, als auch von der Journalistenseite, dass so was der Fall sein könnte. Oft sind solche Spekulationen aus der Luft gegriffen, manchmal stehen Berater oder vergleichbare Personen dahinter, die tatsächlich Streitkräfte unterstützen, um auf diese Art und Weise, ich sage mal, umfangreiches Blutvergießen zu vermeiden. Ich sage noch mal: Ich kann es nicht ausschließen.

    Klein: Wofür spricht diese schnelle Entwicklung der vergangenen Tage, dass es ohne militärische Unterstützung nicht gegangen wäre und dass es vielleicht auch nicht ohne Agieren in einer Grauzone eben möglicherweise doch mit einem Bodeneinsatz zu bewerkstelligen gewesen wäre, die Erfolge der Rebellen jetzt?

    Ramms: Frau Klein, die Frage eins beantworte ich eindeutig mit einem Ja. Ohne die militärische Unterstützung hätte sich Libyen in dieser Form so nicht entwickelt, wie es sich entwickelt hat. Die zweite Frage möchte ich mit einem Vielleicht beantworten, weil ich sagte es bereits: ich kann nicht ausschließen, dass irgendjemand dort Beratung oder Unterstützung leistet. Nur es ist nicht mandatskonform und eigentlich legt die NATO sehr großen Wert darauf, die Mandate einzuhalten, genauso wie es die Bundesrepublik Deutschland tut.

    Klein: Was heißt das mit Blick auf den Versuch auf Seiten der Bundesregierung, jetzt doch sehr stark auf den eigenen großen Beitrag Deutschlands zu verweisen, darauf, dass die eigene Politik, nämlich die Enthaltung im Weltsicherheitsrat, richtig war?

    Ramms: Das sehe ich nicht so. Die Enthaltung im Sicherheitsrat war nicht richtig, weil sie für die Solidargemeinschaft NATO einfach die falsche Botschaft gesendet hat. Diese Entscheidung, die damals gefallen ist, wo Deutschland gemeinsam gestimmt hat mit Russland, China, Brasilien und Indien, hat an die anderen NATO-Mitglieder im Sicherheitsrat, aber auch die NATO-Mitglieder allgemein eine falsche Botschaft gesendet. Und im Nachhinein muss man sagen, gerade wenn man sich die kritische Lage in der zweiten Hälfte des März in Bengasi betrachtet, dann ist eigentlich der Fortschritt der Rebellen, den die Rebellen erzielt haben, und dass sie das überhaupt noch konnten, den Briten und den Franzosen vor allen Dingen zu verdanken, die ja damals sehr schnell eingegriffen haben. Von daher wäre ich mit einer solchen Aussage sehr vorsichtig.

    Klein: Die NATO-Mission dient ja im Kern dem Schutz der Zivilbevölkerung, das ist durch das UNO-Mandat gedeckt. Wir hatten damals im Frühjahr schon die Debatte darüber, heißt Schutz der Zivilbevölkerung, wenn man das zu Ende denkt, möglicherweise eben auch das, Rebellen müssen in ihrem Kampf gegen Gaddafi mit Waffen und Geheimdienstinformationen unterstützt werden. Wir bewegen uns in einer Art Grauzone. Aber ist es eine Art von Interpretation, die eben auch noch nicht zu Ende beantwortet ist, zu Ende diskutiert ist?

    Ramms: Frau Klein, das ist sicherlich richtig, dass das noch nicht zu Ende diskutiert ist, und ich möchte auch darauf verweisen, dass aufgrund der nationalen Rechtslage der einzelnen NATO-Staaten in den verschiedenen NATO-Staaten unterschiedliche Interpretationen eines solchen Mandates möglich sind. Es gibt hier rechtliche Unterschiede aufgrund von nationalem Recht und die Staaten interpretieren das mal etwas offensiver, siehe Frankreich und Großbritannien und vielleicht auch ein bisschen, obwohl zurückhaltender, die Vereinigten Staaten von Amerika, und es gibt Staaten, die interpretieren das defensiver, wie beispielsweise Polen und Deutschland.

    Klein: Aber es könnte am Ende dann eine völkerrechtliche Frage sein, die dann wo und wie beantwortet werden würde?

    Ramms: Sie wird nicht führen zu einer Verhandlung vor irgendeinem internationalem Gerichtshof oder dergleichen mehr. Es wird wahrscheinlich irgendwann durch Staatsexperten oder unter dem Dach der Vereinten Nationen ausdiskutiert werden. Und letztendlich wird die Antwort irgendwann mal in 20, 30 oder 40 Jahren durch die Geschichte gegeben werden.

    Klein: General a.D. Egon Ramms war das heute Morgen im Interview mit dem Deutschlandfunk. Herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Ramms: Gerne geschehen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.