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Rasante Verwechslungskomödie

Korrupt bis ins Mark sind hier alle, denen Nicolai Gogol in seiner bösen Komödie einen vermeintlichen Revisor auf den Hals hetzt. Der jungen Beamten weiß, die ihm unverhofft zugewiesene Rolle ebenso amourös wie materiell zu nutzen. Inszeniert hat die rasante Verwechslungskomödie Herbert Fritsch.

Von Sven Ricklefs | 23.12.2012
    Schön sind sie alle nicht, eher grotesk verzerrt, schmuddelig, zottelig und dabei grünlich, bleichlich oder wächsern. Sie sind so, als schaue man durch eine milchige Plastikfolie auf sie: diese Honoratioren der Stadt. Und tatsächlich hängt eine ganze Staffel Plastikfolien hintereinander aus dem Bühnenhimmel herunter. Korrupt bis ins Mark sind hier gleichermaßen alle, sie, denen Nicolai Gogol in seiner bösen Komödie einen vermeintlichen Revisor auf den Hals hetzt, einen jungen Beamten, der allerdings die ihm unverhofft zugewiesene Rolle schnell auf seine Weise ebenso amourös wie materiell zu nutzen weiß.

    Schmieren tun sie ihn alle. Sie buckeln vor ihm, diesem Gecken, der auf hochhackigen roten Stiefeln und im hautengen rosa Anzug Hand in Hand mit seinem Diener einherschwuchtelt. Sie buckeln vor ihm und buhlen um ihn, und zugleich fuchteln sie und verrenken sich. Denn nichts fürchten sie mehr, als dass das zutage treten könnte, was ihre Körper längst vor Überdruck nicht mehr bei sich behalten können; jene Gier vor allem, die dem Leben fast panikhaft alles abtrotzen will und jene damit fast immer gekoppelte und ebenso panikhafte Geilheit, die im spießigsten Kleinstadtmilieu groteske Blüten treibt.

    "Sagen Sie mal: Wer ist dieser junge Mann da, dieser junge Mann ist ein Beamter aus der Hauptstadt, und kaum hatte der Wirt das gesagt, da kam mir die Erleuchtung: der Revisor."

    Es ist wirklich schwer sich zu entscheiden, welcher sich in Schrecken, Schund und Schande gerade windender Mimik man seine Aufmerksamkeit schenken, welchen verräterisch davonhampelnden Körperteilen man mit dem Blick hinterhereilen will: auch aus dem Ensemble des Münchner Residenztheaters weiß Regisseur Herbert Fritsch den für sein Theater notwendigen panoptikalen Schwung herauszuholen.

    Zugleich tourt er sein szenisches Tempo auf eine Weise hoch, dass der vermeintlich reine Slapstick einen durchaus aggressiven Gestus erhält. Dieser Eindruck erhöht sich noch, wenn Fritsch sein Theater geschickt aus dem freien Flug plötzlich anhält und sein Ensemble zum grotesken Gruppenbild mit Revisor gefrieren lässt. Und wenn dieses Gruppenbild dann noch aus dem fernen Bühnenhintergrund im Gleichschritt auf das Publikum zumarschiert, spätestens dann schaut dieses auch in den eigenen Zerrspiegel. Wo die Lüge flächendeckend als das beste Schmiermittel einer Gesellschaft anerkannt ist, fällt man noch auf die haarsträubendsten Geschichten nur allzu gern herein:

    "Interessant ist es auch einen Blick in mein Vorzimmer zu werfen: Grafen, Fürsten, Minister, ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage auch der Zar ist mir bekannt."

    Seit sich der Schauspieler Herbert Fritsch in nur wenigen Jahren als Regisseur und Bühnenbildner mit seinem unglaublichen Gespür für ein ebenso hochkomisches wie perfekt getaktetes Turbotheater einen Namen gemacht hat, glauben Kritiker ihm auch schon wieder auf die Masche gekommen zu sein. Doch perfektioniert und vertieft Fritsch seine Komödienmechanik immer wieder auf verblüffende Weise, sodass die vermeintliche Masche noch keineswegs ausgereizt scheint. Natürlich ist der Regisseur zu sehr Erzkomödiant, als dass er auch nur den kleinsten Kalauer am Wegesrand liegen lassen könnte, doch was etwa bei seiner zum letzten Theatertreffen eingeladenen "Spanischen Fliege" von der Berliner Volksbühne noch als trampolinhüpfender Knallbonbon daherkam, entpuppt sich nun beim Münchner Revisor als durchaus auch bedrohlicher Witz mit mehr als nur einem Boden.

    Das liegt nicht zuletzt an den ebenfalls von Fritsch verantworteten Bühnenräumen, die als ästhetisch abstrakte Einheiten szenisch eigenwillige Kommentare liefern, wie hier im Residenztheater die Stadtlandschaft aus Plastik. Und wenn aus ihr immer wieder lemurenhaft stumme Gestalten hervorlugen und das Geschehen belauern, dann verstärkt sich nur noch bei allen Lachern das diffuse Gefühl einer wie auch immer gearteten Bedrohung. Dem Münchner Residenztheater, das auch in der zweiten Spielzeit unter seinem neuen Intendant Martin Kusej noch nicht so recht in die Gänge kommt, ist dieser Riesenerfolg jedenfalls von Herzen zu gönnen.