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Rassismus gegenüber Rumänen

In Norditalien kommt es immer wieder zu verbalen und handgreiflichen Attacken gegenüber Ausländern; auch im Süden nimmt die Ausländerfeindlichkeit zu. Vor allem Rumänen werden pauschal für die gestiegene Kriminalität und Gewalt verantwortlich gemacht.

Von Kirstin Hausen | 25.06.2009
    Kurz nach neun Uhr in der Kinderbetreuung von Teresa Spagnuolo. Die 42-jährige Lehrerin aus Mailand kümmert sich während der Ferienzeit um Immigrantenkinder, die sonst allein zu Hause wären, weil die Eltern den ganzen Tag arbeiten. Sie nutzt die Zeit, um die italienischen Sprachkenntnisse ihrer Schüler zu verbessern.

    "Sie bringen andere Gewohnheiten mit, sind aber eifrig bemüht, sich einzufügen. Und sie lernen sehr gerne. Darin sind sie den italienischen Kindern manchmal sogar voraus."

    In der Tat: Obwohl es brütend heiß ist, schreiben die Jungen und Mädchen konzentriert an einer selbst erfundenen Geschichte. Nur Iri, ein Mädchen mit schwarzen, langen Zöpfen, kaut gelangweilt auf einem Stift.

    "Mathematik mag ich lieber", sagt sie und schaut verlegen aus dem Fenster. Iris Eltern sind vor einem Jahr aus Rumänien ausgewandert. Die Familie wohnt in einer Barackensiedlung am Stadtrand von Mailand. Als ihre Lehrerin bemerkte, dass sie von ihren Mitschülern gemieden, ja gehänselte wurde, weil sie in einer Wellblechhütte lebt, wollte Teresa Spagnuolo nicht tatenlos zuschauen. Gegen den Willen einiger Eltern machte sie zum Ende des Schuljahres einen Ausflug zu den Baracken in der Via Padua, wo hauptsächlich Roma und Sinti aus Rumänien leben.

    "Die Kinder fanden es toll zu sehen, wie sie dort leben, mit den Tieren, die frei herumlaufen", erzählt eine Kollegin von Teresa, die an dem Tag dabei war. Und auch für die Bewohner der Siedlung war es eine Gelegenheit, Kontakt zu pflegen; den haben sie sonst nämlich nicht. Nachbarn wie dieser 55-jährige Mann machen einen großen Bogen um die Baracken und sammeln Unterschriften für ihren Abriss.

    "Die Dame aus dem Haus Nummer 13 wurde bestohlen, als sie gerade ihre Haustür aufschloss", sagt er. Seine Frau zeigt nur stumm in Richtung Spielplatz. Im Sandkasten liegen Glasscherben, unter einem Baum leere Coladosen und Bierflaschen.

    "Bei sich zu Hause können sie sich so benehmen, hier nicht", sagt ein anderer Nachbar. "Wer zu uns kommt, soll gefälligst arbeiten und nicht nur Ansprüche stellen."

    Die Stimmung ist gereizt, geradezu bedrohlich. Und nicht nur hier. Zwar kommt es vor allem in Norditalien immer wieder zu verbalen und handgreiflichen Attacken gegenüber Ausländern. Aber auch im Süden nimmt die Ausländerfeindlichkeit zu. Die Rumänen werden pauschal für die gestiegene Kriminalität und Gewalt auf der Straße verantwortlich gemacht. Die Staatsanwältin Franca Imbergamo ist darüber entsetzt:

    "Wenn es in diesem Stil weitergeht, werden die Leute auf der Straße bald noch radikalere Maßnahmen verlangen. Das macht mir wirklich Angst. Unser Land beginnt, sich an den Gedanken zu gewöhnt, dass Probleme gelöst werden, indem die angeblichen Verursacher, diejenigen, die stören, ausgeschlossen werden, weggeschlossen, abgeschoben."

    Die EU-Agentur für Grundrechte beschreibt in ihrem aktuell vorgestellten Jahresbericht auch die Angriffe gegen Romafamilien im neapolitanischen Stadtteil Ponticello von Mai 2008 und hebt hervor, dass sich der Hass der einheimischen Bevölkerung vor allem gegen illegal errichtete Barackensiedlungen richtete. Sie müssten, so empfiehlt die EU-Agentur für Grundrechte, schnellstmöglich in betreute Camps mit hygienischen Mindeststandards umgewandelt werden. Dieser Meinung ist auch die Staatsanwältin Franca Imbergamo:

    "Die Verantwortung liegt bei der Verwaltung, bei der Politik. Man überlässt doch nicht ganze Stadtviertel sich selbst, um sich dann zu wundern, dass sich die Situation zuspitzt und irgendwann explodiert. Die Intoleranz gegenüber Anderen kann man nicht repressiv bekämpfen, sondern nur präventiv, indem diejenigen, die sich mit diesen 'Anderen' konfrontiert sehen, begleitet werden. Nicht nur die Neuhinzukommenden brauchen Hilfe, auch die Alteingesessenen."

    Integrationsprojekte dieser Art sind in Italien aber selten von den Institutionen organisiert. Meist beruhen sie auf kirchlicher oder privater Initiative. Die Zivilgesellschaft ersetzt hier wieder einmal den Staat. Sie schafft es nur ungenügend.