Donnerstag, 18. April 2024

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Rassismus in den USA
US-Experte: Einfluss der Rechten im Weißen Haus sichtbar

Die Ideen der Ultrarechten seien in den USA nach wie vor populär - auch im Weißen Haus, sagte der Amerikanistik-Professor Simon Wendt im Dlf. Denn auch wenn die rechte Szene nach den gewaltätigen Protesten in Charlottesville vor einem Jahr zersplittert sei, habe die Bewegung an Einfluss gewonnen.

Simon Wendt im Gespräch mit Stephanie Rohde | 11.08.2018
    Das Weiße Haus, Washington, District of Columbia, USA
    In der Art und Weise wie etwa über Mexikaner oder Muslime gesprochen werde, gäbe es zwischen der Rechten und dem US-Präsident erstaunliche viele Überschneidungen (imago stock&people / Alexander Pöschel)
    Stephanie Rohde: Dieses Mal bitte keine Hakenkreuzfahnen zur Demo mitbringen, auch keine Gewehre und Messer – so lautet die Anweisung der amerikanischen Neonazis. Gern gesehen sind hingegen Südstaatenflaggen, und bewaffnet mit diesen wollen die Rechtsextremen in den USA morgen durch die Hauptstadt Washington ziehen.
    Genau ein Jahr ist es dann her, dass Neonazis in einer anderen amerikanischen Stadt aufmarschiert sind, nämlich in Charlottesville in Virginia, und das mit verheerenden Folgen: Ein Rechtsextremer raste damals mit einem Auto in eine Gruppe von Gegendemonstranten, tötete eine Frau und verletzte dutzende andere Menschen. Außerdem marschierten die Rechtsextremen mit Fackeln durch die Stadt und riefen antisemitische Parolen. Nach den Unruhen in Charlottesville vermied es Präsident Trump, die Neonazis eindeutig zu verurteilen.
    Für dieses Wochenende hat die Stadtverwaltung von Charlottesville vorsorglich den Notstand ausgerufen. Wir wollen nach diesem einen Jahr Bilanz ziehen. Ist die sogenannte Alt-Right-Bewegung, also die Ultrarechten in den USA gestärkt hervorgegangen daraus, und wie hat sich der Umgang der USA mit der eigenen Geschichte unter Präsident Trump verändert in diesem Jahr. Darüber will ich sprechen mit dem Amerikanistikprofessor Simon Wendt von der Goethe-Universität Frankfurt. Er forscht unter anderem über die Geschichte des Rassismus. Schön, dass Sie da sind!
    Simon Wendt: Hallo!
    Rohde: Herr Wendt, hat dieser Fackelmarsch und diese eine Tote in Charlottesville der Alt-Right-Bewegung jetzt nach einem Jahr geschadet oder genutzt?
    Wendt: Streng genommen muss man sagen, dass die ganze Veranstaltung der Alt-Right-Bewegung geschadet hat, denn die Gewalt, die Charlottesville überschattet hat vor einem Jahr hat letztendlich dazu geführt, dass die Bewegung zersplitterter ist als sie es war. Das Motto war ja "Unite the Right", vereinige die Rechte, und das ist tatsächlich überhaupt nicht passiert, sondern es sind eine Reihe von Splittergruppen entstanden, die nicht unbedingt gut miteinander auskommen.
    Und außerdem hat die Bürgergewalt dazu geführt, dass Online-Bezahldienste diesen rechten Gruppen gekündigt haben, sodass sie also auch nicht mehr so Geld einnehmen können online. Diesen Zusammenhang kann man schon als eine negative Entwicklung ansehen. Gleichzeitig sind die Ideen der Bewegung natürlich immer noch akut.
    Alt-Right keine homogene Bewegung
    Rohde: Wie sehen Sie das denn, ist das überhaupt eine Bewegung? Die bezeichnen sich ja selber als eine weiße Bürgerrechtsbewegung. Sie sprechen gerade von einer Zersplitterung. Ist dieser Begriff der Bewegung da vielleicht falsch, weil die so unterschiedlich sind, in unterschiedliche Richtungen gehen?
    Wendt: Grundsätzlich versucht man ja immer bestimmte Phänomene unter eine Rubrik zusammenzufassen, und die Alt-Right-Bewegung als Bewegung zu bezeichnen, ist insofern problematisch, weil es sehr viele verschiedene Gruppen mit verschiedenen Zielen gibt. Es gibt also die klassischen Neonazis, Antisemiten, die aber auch einen weißen Staat als Vision sehen in ihrer Ideologie.
    Andere Gruppen wiederum sind eher weniger antisemitisch, aber dafür rassistisch. Also insofern kann man sicherlich von bestimmten Überschneidungen sprechen, aber das Ganze als eine einzige soziale Bewegung zu sehen, ist wahrscheinlich etwas übertrieben.
    Rohde: Sie sagen, diese Bewegung wurde, oder diese Gruppierungen wurden geschwächt seit dem vergangenen Jahr. Lange Zeit bildete ja Trumps Berater im Weißen Haus, Steve Bannon, die Vorhut dieser rechten Alt-Right-Bewegung. Ist mit seiner Entlassung auch der Einfluss im Weißen Haus ein bisschen geschwunden?
    Wendt: Die Entlassung von Steve Bannon beziehungsweise sein Rücktritt hat sicherlich die Bewegung etwas geschwächt, denn diese Führerfiguren haben natürlich, spielen eine wichtige Rolle in der Bewegung. Gleichzeitig – und ich denke, das ist, was wichtig ist ein Jahr nach Charlottesville – sind diese Ideen nach wie vor populär, kann man sagen, vor allem im Weißen Haus, und damit, könnte man auch argumentieren, hat die Bewegung einiges gewonnen.
    Rohde: Wie meinen Sie, inwiefern populär? Also können Sie da ein Beispiel geben?
    Wendt: Grundsätzlich geht es einfach darum, dass Muslime sozusagen als Nichterwünschte in den USA angesehen werden, dass Einwanderung beschnitten werden soll, und zwar sowohl illegale als auch legale, und es ist überraschend, wie die Ideen von Trump und im Weißen Haus in Bezug auf Muslime oder aber auch nichtweiße Menschen, illegale und legale Einwanderer, wie diese Ideen denen der Rechten doch stark gleichen.
    Das heißt also, Mexikaner als Vergewaltiger zu bezeichnen und nichtweißen Menschen sozusagen die Berechtigung abzusprechen, in die USA einwandern zu dürfen. Also das ist schon eine ganz erstaunliche Überschneidung, und insofern sehe ich hier tatsächlich einen Einfluss der Rechten im Weißen Haus.
    "Die Rechte und Charlottesville haben dazu beigetragen, dass die Linke gestärkt wurde"
    Rohde: Im Grundsatz geht es ja in dieser Debatte um die Frage, wie die USA mit ihrer rassistischen Vergangenheit vor allem in den Südstaaten umgehen. Was würden Sie sagen, Sie haben das genau beobachtet. Wie hat sich das unter Präsident Trump jetzt verändert, dieser Umgang mit der eigenen Geschichte?
    Wendt: Die Erinnerung an die amerikanische Vergangenheit, speziell an den Bürgerkrieg und an die Sklaverei, ist präsenter denn je, aber wie die Politik ist die Erinnerung stark polarisiert. Es gibt also nach wie vor solche Amerikaner, die sagen, warum sollen wir uns damit aufhalten, es geht doch um die Zukunft, wobei eben nicht gesagt wird, dass dieser Rassismus nach wie vor präsent ist.
    Linke Gruppen auf der anderen Seite erinnern uns jeden Tag daran, dass der Rassismus während der Sklaverei so virulent war und in der Bürgerrechtsära bekämpft wurde, dass dieser auch heute noch bekämpft werden muss, und insofern hat die Rechte und Charlottesville auch dazu beigetragen, dass die Linke gestärkt wurde. Es bleibt jetzt abzuwarten, wie sich das im November bei den Wahlen auswirkt.
    "Nicht das richtige Zeichen, diese Statuen abzubauen"
    Rohde: Die Neonazis in Charlottesville, die haben ja gegen die Entfernung eines Reiterstandbildes demonstriert. Ähnliche Umbauten im öffentlichen Raum nehmen die USA ja überall vor seit 2005, also laut "USA Today". Um mal eine Zahl zu bringen, gibt es mehr als 1.000 fragwürdige Konföderierten-Denkmäler in den Vereinigten Staaten.
    Ist dieser Verbannung von solchen alten überholten Wahrzeichen die richtige Praxis, um der Bevölkerung auch einen bewussten Umgang mit der eigenen Geschichte zu ermöglichen oder nicht?
    Wendt: Ich halte tatsächlich die Entfernung dieser Statuen für problematisch, weil das bedeutet, dass eine bestimmte Erinnerung, die gerade natürlich Südstaatlern sehr wichtig ist, einfach verbannt wird. Ich denke, dass es schlauer wäre, diese Statuen in den historischen Kontext einzubetten, sei es durch Mahnmale oder durch Infotafeln. Insofern ist es nicht unbedingt das richtige Zeichen, diese Statuen einfach abzubauen, weil sie wahrscheinlich die konservativen Amerikaner und auch die Ultrarechten noch stärken in ihrem Versuch, sich als Opfer darzustellen.
    Rohde: Das heißt, eine der Lehren aus Charlottesville könnte auch sein, dass man anders mit der eigenen Vergangenheitsbewältigung umgeht.
    Wendt: Ich denke, dass es auf jeden Fall einen nuancierteren Weg gibt, als einfach nur die Statuen abzubauen. Ob das allerdings dann zu mehr Kommunikation oder gar zu Versöhnung führt, das steht natürlich auf einem ganz anderen Blatt.
    "Alt-Right ist an dem eigenen Erfolg fast zugrunde gegangen"
    Rohde: Was wäre Ihre Prognose, wie wird sich die Alt-Right-Bewegung oder die verschiedenen Gruppierungen entwickeln in den nächsten Jahren?
    Wendt: Was im Augenblick zu sehen ist, ist, dass die Bewegung, die Alt-Right-Bewegung ja an dem eigenen Erfolg schon fast zugrunde gegangen ist, nämlich, dass viele der Ideen, sei es in Bezug auf Einwanderung, sei es in Bezug auf rassistisches Gedankengut, so einflussreich waren im Weißen Haus, dass die Bewegung daran auch so ein bisschen dadurch geschwächt wurde.
    Und die Prognose, die ich hätte, ist, dass solange Trump im Weißen Haus ist, die Bewegung auch wahrscheinlich vor sich hindümpeln wird und gerade durch die Gewalt in Charlottesville natürlich geschwächt wurde. Es bleibt abzuwarten, was passiert, wenn Trump die Wahl verliert 2020, denn dann gäbe es vielleicht wieder ein neues Feindbild, das dann zur Stärkung der Alt-Right-Bewegung wieder führen könnte.
    Rohde: Das sagt der Amerikanist und Historiker Simon Wendt im Interview. Das haben wir aufgezeichnet vor dieser Sendung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.