Donnerstag, 28. März 2024

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Rassismus in Zwickau
Gedenkort für NSU-Opfer zerstört

In Chemnitz und Zwickau soll mit einem Rassismus-Tribunal der NSU-Terror aufgearbeitet werden. Die Bevölkerung setzt sich mit der jüngeren Geschichte auseinander, doch der Rechtsextremismus ist weiterhin da. Das zeigte sich jüngst an der Zerstörung eines Gedenkbaumes für ein NSU-Opfer.

Von Bastian Brandau | 01.11.2019
Blumen und Kerzen liegen vor der zerstörten Gedenkstätte in Zwickau
Unbekannte fällten den Baum zum Gedenken an das erste NSU-Opfer Enver Simsek (Deutschlandradio / Bastian Brandau)
Der Verkehr rauscht vorbei am Park am Zwickauer Schwanenteich. Blumen, Grablichter und Karten liegen um zwei Holzpfähle. Hier stand der Baum zum Gedenken an Enver Simsek, den Blumenhändler aus Nürnberg, erstes Opfer des NSU. Unbekannte fällen den Baum in einer Nacht Anfang Oktober. "Es ist schrecklich, was passiert ist", sagt ein Passant. "Wir kriegen das ja jeden Tag mit, wir sind jeden Tag mit dem Hund hier. Und haben das mitbekommen, dass der Baum abgeschnitten wurde. Ein paar Tage später dann die Bank zerstört wurde. Haben wir alles mitgekriegt. Ich finde es auch wichtig, was jetzt gemacht wird. Dass ein Zeichen dagegen gesetzt wird."
Denn auf der Wiese stehen an diesem Nachmittag zehn neue Bäume. Deutlich größer und stabiler, gepflanzt für die zehn Opfer des NSU. Die Empörung über die Zerstörung des Baumes war groß, ebenso die Spendenbereitschaft für die neuen Bäume. Auch die Zwickauer Stadtverwaltung unterstützt die Aktion. Der Gedenkhain soll am Sonntag eingeweiht werden, im Rahmen des in Chemnitz und Zwickau stattfindenden "Rassismus-Tribunals". Sozialarbeiter Chris Schlüter streitet seit Jahren für ein sichtbares Gedenken an die NSU-Opfer in Zwickau, hatte Mitte Oktober eine Gedenkveranstaltung am gefällten Baum organisiert. Rund 300 Menschen kommen.
Umdenken brauchte Zeit
Viele Zwickauer hatten sich über die Tat entrüstet, von Frevel, Scham und Schande kann man in sozialen Netzwerken lesen, auch auf aufgehängten Zetteln in der Innenstadt. "Und das zeigt für mich", so Schlüter, "der ich auch in der politischen Bildung unterwegs ist, dass da was geht in Zwickau. Ganz lange hat man eher gedacht, die Zwickauer halten da eher den Ball flach und wollen darüber nichts hören und wollen darüber nicht reden. Aber das hat ganz eindeutig gezeigt, dass da ein Umdenken stattfindet in der Bevölkerung. Und das ist gut, das ist ein sehr positives Zeichen. Schade, dass es erst zu so etwas kommen muss, dass sich diese Solidarität bekundet. Wir haben Biografien zu den Opfern geschrieben und die sortieren wir gerade zu den Bildern, in chronologischer Reihenfolge weil ich da einfach wert drauf lege."
Die Schülerinnen Milena und Bianca – Vornamen müssen hier reichen – sortieren Bilder, pinnen diese auf Schautafeln. Die NSU-Geschichtswerkstätten aus Zwickau und Chemnitz stellen zehn Tage lang gemeinsam aus, in einem "Interims- Dokumentationszentrum" in einem leerstehenden Kaufhaus in der Zwickauer Innenstadt. Nur eine Handvoll Engagierter sind sie in ihrer Zwickauer Geschichtswerkstatt und hoffen durch ihre Arbeit, "dass hier auch Jugendliche mal einen Fuß reinsetzen und sich das mal durchlesen. Und wirklich mal mit Verstand die ganze Sache angehen", sagt die eine, "dass mehr aufgeklärt wird, dass viel mehr Information zu den Leuten dringt, und dass den Leuten bewusst wird, dass die halt echt hier in Zwickau gelebt haben. Und das für mehrere Jahre. Und das hat keiner so richtig mitbekommen", ergänzt die andere.
Warnung vor Wiedererstarken der Rechten
Viele wüssten nicht einmal, was der NSU gewesen sei. Auch das Unterstützernetzwerk ist Teil der Ausstellung. Ebenso wie die vielen offenen Fragen, symbolisiert in der Ausstellung durch geschredderte Akten. Zehn Tage lang soll es hier Workshops auch für Schulklassen geben. Ziel ist ein dauerhaftes, institutionalisiertes Dokumentationszentrum in Zwickau, sagt Jörg Banitz, Sozialarbeiter und ebenfalls Mitglied der Geschichtswerkstatt.
Das Rassismus-Tribunal am Wochenende will auch auf das Erstarken der rechtsextremen Szene aufmerksam machen, deutlich sichtbar etwa im vergangenen Jahr bei den Demonstrationen in Chemnitz. Und eben auch durch Aktionen wie das Zerstören eines Gedenkorts, sagt Banitz: "Die Vernetzungen und Initiativen sind in der Vernetzung, Wahrnehmung stärker geworden. Man tritt wieder selbstbewusster auf. Man organisiert oder betreibt derartige Aktionen. Und man zeigt wieder Flagge. Es gibt genügend Kleingartenanlagen, wo von Reichskriegsflagge bis hin zu diversen rechten Parolen geflaggt werden, ganz selbstverständlich, was niemanden zu stören scheint."
Auch das öffentliche Tragen von Szene-Kleidung sei wieder häufiger geworden, sagt Banitz. Und wie die Polizei die Lage einschätzt, zeigt nicht zuletzt ihre Präsenz am neuen Gedenkhain. Während Spaziergänger dort ihre Runden drehen, wachen Polizisten in einem Kleinbus am Zwickauer Schwanenteich über die neu gepflanzten Bäume für die Opfer des NSU.