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Rastafari in Deutschland und Österreich
Die antikoloniale Religion

Rastafari ist vor fast 100 Jahren auf Jamaika als schwarze Befreiungsbewegung entstanden. Weiße europäische Rastas sehen sich heute als Teil einer antirassistischen Bewegung an. Den Begriff "Religion" lehnen manche ab, doch Gott und Bibel sind ihnen sehr wichtig.

Von Christian Röther | 01.10.2020
Der Rastafari und Reggae-Musiker Uwe Banton
Seit mehr als 30 Jahren ein Rasta: der Reggae-Musiker Uwe Banton (Uwe Schaefer)
In einer Wohnung in Berlin-Neukölln trommeln zwei deutsche Rastas. Und sie singen: "Gott Rastafari ist mein Hirte auf dem Berg Zion." Ein Chant, also ein Lied der Rastafari-Bewegung, angelehnt an den biblischen Psalm 23.
"Die Bibel ist definitiv eine Basis. Für den einen mehr, für den anderen weniger. Für mich schon recht stark", sagt Sister Ifua, so heißt sie in der Rasta-Community, also Schwester Ifua.
Geboren und aufgewachsen in Westberlin, mittleren Alters, arbeitet als Buchhalterin und als Pflegerin. Schon als Jugendliche kam Ifua zur Rastafari-Bewegung. Inzwischen ist sie seit über 30 Jahren dabei:
"Hab in der Community so ein bisschen den Platz, die Chants zu bewahren, und vielleicht auch ein bisschen inhaltlich zu erklären, was Rastafari ist, wenn Leute neu reinkommen, wenn die Fragen haben."
Vorurteile: "Aliens" mit Gras
Zum Interview hat sie eine Bibel mitgebracht – auf Amharisch. Amharisch ist die wichtigste Sprache in Äthiopien, und weil Äthiopien in der Rastafari-Bewegung eine zentrale Rolle spielt, lernt Ifua Amharisch.
Quäkertum - Schweigen statt Dogmen
Das Quäkertum hat in Deutschland nur rund 250 Mitglieder. Teils gilt es als christliche Freikirche, doch einige Quäker verstehen sich weder als christlich noch als Kirche. An die Stelle von Gebeten tritt bei den Quäkern das gemeinsame Schweigen.
Ihren bürgerlichen Namen möchte Ifua im Radio lieber nicht hören, denn sie und andere Rastas sehen sich oft mit Vorurteilen konfrontiert - in Medien, aber auch im Alltag. Sie sagt, sie werde manchmal behandelt wie eine Außerirdische:
"Allein schon die Kopfform mit der großen Mütze, das bringt die Leute dann schon immer dazu, über Aliens zu reden oder über Marge Simpson oder – da gibt es so eine Top Ten von Sprüchen, die man jeden Tag hört. ‚Ach, da ist bestimmt ein Kilo Gras darunter.‘ Und dieses Zeug erlebst Du halt."
Ihre große blaue Mütze abzusetzen, das ist für Ifua aber auch keine Option:
"Ich habe lange Dreadlocks, und die müssen halt tagsüber mal irgendwo bleiben, weil sie sonst über den Boden schleifen. Und es ist mir auch lieber, den Kopf bedeckt zu haben, auch eben aus ‚religiösen‘ Gründen, das fühlt sich einfach für mich besser an."
Dreadlocks und Mütze aus religiösen Gründen
Dreadlocks, also dicke verfilzte Haarsträhnen, sind charakteristisch für Rastafari. Sie sollen an eine Löwenmähne erinnern und dienen zur Abgrenzung von westlichen Schönheitsidealen. Und manche Rastas beziehen sich auf Bibelstellen, in denen es heißt, dass man sein Haar nicht schneiden soll. Ifua:
"Als ich ganz am Anfang die Haare, also die Dreadlocks noch offen trug, da wurde ich halt einfach von Leuten – von völlig fremden Leuten draußen angefasst: ‚Wie ist denn das? Wie fühlt sich das denn an? Was ist denn das? Kann man das waschen?‘ Und da hatte ich natürlich auch irgendwann genug davon. Und seither bedecke ich meine Haare. Ich gebe auch einfach Jah die Macht, und nicht den Menschen."
Reihe "Wir sind die Sonstigen – kleine Religionen in Deutschland"
In Deutschland leben Christinnen und Christen, Konfessionslose und Religionsfreie, Muslime und Jüdinnen, Buddhistinnen und Hindus. Und "Sonstige". So werden kleinere Religionsgemeinschaften in Statistiken oft bezeichnet. Doch wer verbirgt sich dahinter? Wir haben Drusen und Jainas getroffen, ein daoistisches Zentrum und einen Sikh-Tempel besucht, mit Mandäern, Jesidinnen und Bahá’i gesprochen – und nach langer Suche sogar jemanden gefunden, der sein Leben am Shintoismus ausrichtet.
Jah, das ist ein Wort für Gott aus der hebräischen Bibel. Ifua trägt eine selbstgemachte Brosche in Form eines Davidsterns, auf der "Jah" zu lesen ist. Wegen dieser Bezüge zu Judentum und Christentum wird Rastafari oft als Religion bezeichnet. In der Bewegung selbst ist das allerdings umstritten. Ifua sagt:
"Definiere mir Religion, dann kann ich Dir das beantworten. Wenn Du Religion als ‚Lebensart mit Gott‘ definierst, dann wäre es Religion. Aber vielleicht nicht im Konzept von Kirche und starren Dogmen."
Sister Ifua zeigt ihre selbstgemacht Jah-Brosche
Sister Ifua zeigt ihre selbstgemacht Jah-Brosche (Deutschlandradio / Christian Röther)
Religion oder Spiritualität?
"Ich würde auch eher den Begriff ‚Religion‘ für uns – ich finde den problematisch, muss ich ganz ehrlich sagen. Ich sehe mich selbst nicht als religiös, sondern als spirituell an."
Sagt Robin. Im Radio möchte auch er nur seinen Vornamen nennen. Er wurde kurz vor dem Mauerfall in Ostberlin geboren und arbeitet als Erzieher in einer Kita. Seit er 13 ist, ist Robin Rasta:
"Seine Majestät hat auch gesagt, die Spiritualität ist über der Religion anzusiedeln."
Seine Majestät, damit ist Haile Selassie gemeint. Er war bis 1974 Kaiser von Äthiopien. Für die Rastafari-Bewegung ist Haile Selassie aber noch viel mehr. Ifua:
"Der König der Könige ist einfach Gott - inkarniert auf dieser Erde. Es ist halt Christus nochmal auf der Erde hier. Zu einer Zeit, die sehr schwierig ist."
Ein äthiopischer Kaiser als biblischer Messias
Rastafari war ursprünglich eine schwarze Befreiungsbewegung, entstanden in den Armenvierteln von Jamaika. Die Anfänge reichen zurück bis in die 20er Jahre. Und als 1930 mit Haile Selassie auf dem afrikanischen Kontinent ein Kaiser gekrönt wurde, da erkannten die Rastas in ihm den Messias.
"Wir haben den Namen von Haile Selassie in genau dieser Bibel gefunden, die alle Christen auch lesen", erklärt Uwe Schäfer, ein Rasta aus Bielefeld:
"Zum Beispiel im Buch der Offenbarung, Kapitel 5, Vers 5: 'Siehe, der Löwe aus dem Stamme Juda hat gesiegt.' Und dieser Titel, Löwe aus dem Stamme Juda, ist halt ein Name oder ein Titel, unter dem Haile Selassie bekannt war in der ganzen Welt. Die Rastas sind aber die Einzigen, die diesen Bezug hergestellt haben, beziehungsweise darauf hingewiesen haben."
Rasta und Reggae
Bevor Haile Selassie Kaiser wurde, trug er als Prinz unter anderem den Namen Ras Täfäri – daher "Rastafari". Selassie selbst hat die an ihn gerichteten Messias-Erwartungen niemals öffentlich bestätigt. Trotzdem zitieren Rastas ihn bis heute. Uwe Schäfer:
"Haile Selassie hat von der Einheit oder der Vereinigung der Menschen gesprochen, und das in einem christlichen Bewusstsein, dass in der Liebe, die uns Christus gezeigt hat - oder uns Gott gezeigt hat durch Christus, das ist eigentlich das, worum es in Rastafari geht."
Uwe Schäfer ist seit über 30 Jahren Rasta. Wie viele andere auch ist er über die Musik zu der Bewegung gekommen, denn Rasta ist eng verknüpft mit Reggae. Auch Uwe Schäfer ist Musiker und nennt sich dann Uwe Banton. Hier singt er davon, dass man keine Angst haben muss, wenn man mit Jah geht.
"From Yuh A Walk with Jah / there is no need to fear the murderer"
Bob Marley machte Rastafari bekannt
Es war auch ein berühmter Musiker, der Rastafari wie kein Zweiter in der Welt bekannt gemacht hat. Uwe Schäfer:
"Bob Marley selber hat es nie verleugnet. Er hat ja seine Konzerte stets so begonnen, indem er gesagt hat: 'Greetings in the name of his imperial majesty emperor Haile Selassie I the first - Jah Rastafari.'"
Also in etwa: "Seid gegrüßt im Namen von Kaiser Haile Selassie, dem Gott Rastafari!"
"Old pirates yes they rob I / sold I to the merchant ships."
Hier singt Bob Marley über Sklaverei und Freiheit. Wichtigstes Anliegen der frühen Rastas: die Befreiung der Schwarzen aus der Unterdrückung und die Rückkehr nach Afrika.
"Eine antikoloniale, antirassistische Bewegung"
Rastafari war und ist eine Befreiungsbewegung mit einer religiösen Heilsbotschaft: Im biblischen Auszug aus Ägypten oder in der Rückkehr aus dem babylonischen Exil sehen sie Vorbilder für ihren eigenen Kampf. Aber wie passen dazu weiße Rastas aus Europa?
"Die Menschheit hat eine Wurzel, und die ist in Afrika. Das Element aus Afrika ist sehr stark, wenn man es spürt. Wir sagen: ‚Who feels it knows it.‘ Von daher kann ich nicht sagen, das geht mich nichts an. Also auch, wenn ich in Berlin geboren bin, weiß ich, dass ich von dort stamme", sagt Ifua. Und Robin meint:
"In Rasta, würde ich schon sagen: Wir sind eine antikoloniale, antirassistische Bewegung. Wir kämpfen dagegen in dieser Gesellschaft an, und unser Platz ist hier, auch als weiße Mitteleuropäer, um genau gegen diese Sachen vorzugehen."
"Versklavung, Ausbeutung, Vernichtung"
Ähnlich sieht es auch Werner Zips. Er ist Professor für Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien:
"Rasta ist ein Wissen über die historischen Verhältnisse auf der Welt. Und da natürlich auch über die historischen Fragen von Versklavung, Ausbeutung, Vernichtung auf den Plantagen der Neuen Welt."
Werner Zips forscht nicht nur seit mehreren Jahrzehnten zu Rastafari, er versteht sich auch selbst als Rasta – oder wie er sagt:
"Ja, ich fühle Rasta."
"Rastas haben keine Zahlen"
Rasta ist für Werner Zips vor allem eine Philosophie. Manchmal antwortet der Wissenschaftler auch als Rasta – etwa bei der Frage, wie viele Rastas es eigentlich gibt.
"Die Frage, wenn Sie die Rastas stellen, wird sie meistens zurückgewiesen mit dem Satz: 'Rasta numberless'. Also: Rastas haben keine Zahlen. Rastas zählen nicht danach, wen man jetzt auf der Straße mit Dreadlocks sieht. Ich habe ja auch keine Dreadlocks und sitze in Anzug und Krawatte - nicht immer, aber auch - in der Vorlesung."
In Jamaika sollen rund 24.000 Rastas leben. In Deutschland und Österreich sind es wohl einige Hundert. Allerdings kommen zu den Treffen eher nur eine Handvoll oder mal ein Dutzend, sagt etwa Dominik Frühwirth. Er organisiert die Rasta-Gemeinde in Wien:
"Wir haben die spezielle Situation: Hier hatten wir seit den frühen 80ern Rastafari Elders. Sind in unseren Straßen gegangen. Haben hier mit unseren Jugendlichen in den Parks gereasoned, sich unterhalten. Darauf sind die Rastas in Österreich stolz und verweisen auch immer wieder darauf, weil das eben sehr wichtig ist, diese direkte Connection."
"Wofür sie gelitten haben und gestorben sind"
Zu den Elders, also den "Älteren", den Autoritäten der Rasta-Bewegung. Dominik Frühwirth schreibt seine Doktorarbeit über Rastafari. Schon mit 13 Jahren ist er Rasta geworden. Wichtig ist ihm, dass die Rasta-Lehre nicht "verwässert" wird:
"Viele haben versucht, Rasta zu kompromittieren, um es eben mehr mit der Gesellschaft in Einklang zu bringen. Deswegen findet man sehr verbreitet Rasta, die Bier trinken, Rasta, die Fleisch essen. Andere Rasta bezeichnen das dann immer etwas abwertend als sogenannte 'Chicken-Rasta'."
Also als "Hähnchen-Rasta". Fleisch ist für viele Rastas tabu, Alkohol und andere Drogen auch, außer Marihuana. In seinem YouTube-Kanal sammelt Dominik Frühwirth Aussagen von Elders, um so ihre Lehren weiterzugeben:
"Wofür die Elders gelitten haben und teilweise auch einige gestorben sind - und verfolgt wurden dafür, um diesen Glauben an das Licht der Welt zu bringen. Und deswegen dürfen wir das jetzt nicht in einer Art von Popkultur trivialisieren und verwässern."
"Jeder bringt seine Meinung mit ein"
Für Ifua und Robin, die beiden Rastas aus Berlin, ist es alles andere als Popkultur. Rastafari prägt ihr Leben. Dazu gehört nicht nur das Chanting, also Trommeln und Singen, sondern auch etwas, das Rastas "Reasoning" nennen. Ifua:
"Reasoning ist ähnlich dem, was wir jetzt hier gerade machen. Frage stellen, beantworten. Jeder bringt seine Meinung mit ein oder seine Erkenntnisse."
Gegenseitig voneinander lernen, das ist vielen Rastas wichtig. Und dabei reden sie eben auch schon mal über die Bibel. Ifua:
"Die Bibel ist ein Lernbuch und kein Lehrbuch. Es ist wichtig, dass man nicht immer sagt: Das hier ist richtig und deine Meinung ist falsch."
Robin: "Was mich daran immer fasziniert hat: Dass es eine Form der Gesprächskultur ist, die eigentlich jeden zu Wort kommen lässt, die nicht darauf bedacht ist, jetzt unbedingt zu einer Lösung zu kommen, sondern vielleicht eher zu einer Auseinandersetzung mit Themen. Weil es sind nicht nur die Bücher, von denen wir lernen, sondern es sind tatsächlich auch die Menschen und die Interaktion mit den Menschen."