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Rathenow: Verdienste Gaucks und Klarsfelds nicht gegeneinander ausspielen

Beate Klarsfeld, die Kandidatin der Linken, wird häufig als Nazi-Jägerin bezeichnet, Joachim Gauck als Stasi-Jäger. Lutz Rathenow, Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen in Sachsen, warnt vor einem solchen Vergleich - zumal wenig reflektiert würde, dass Klarsfeld sich bei ihrer Arbeit auch auf Stasi-Unterlagen stützte.

Lutz Rathenow im Gespräch mit Peter Kapern | 28.02.2012
    Peter Kapern: Das Kandidatenfeld steht: Beate Klarsfeld, die Nazi-Jägerin, geht für die Partei Die Linke in das Rennen um das Amt der Bundespräsidentin. Joachim Gauck tritt für die anderen im Bundestag vertretenen Parteien an. Gegen beide Kandidaten regt sich allerdings subkutaner Unmut - bei den Verbänden der Stasi-Opfer im Falle Klarsfelds und in den Reihen der Bürgerrechtler in Ostdeutschland im Falle Gauck. Über beides wollen wir jetzt reden mit dem Bürgerrechtler und sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Lutz Rathenow. Guten Tag.

    Lutz Rathenow: Guten Tag.

    Kapern: Herr Rathenow, beginnen wir mit Beate Klarsfeld. Die hat sich bei ihrer verdienstvollen Arbeit als Nazi-Jägerin auch auf Unterlagen der Stasi gestützt. Das ist nicht neu, das weiß man seit geraumer Zeit. Aber was genau führt denn nun zu dem Unmut unter den Opfern der Stasi-Unterdrückung?

    Rathenow: Ja, dass diese Tatsache gar nicht reflektiert wird. Also um erstens mal eins klarzustellen: Beate Klarsfeld ist eine mutige Frau, die vieles verdient hätte, zum Beispiel das ihr noch nicht verliehene Bundesverdienstkreuz, finde ich. Aber in dieser Konstellation Spitzenkandidatin der Linken zu werden, das bügelt mehreres weg. Da gibt es ja nun mehrfach die Schlagzeile: "Nazi-Jägerin tritt gegen Stasi-Jäger an". Das ist eine ganz ungute Diffamierung eigentlich von Joachim Gauck als Stasi-Jäger. Das ist von denen, die die Totalitarismus-Doktrin ablehnen, quasi über Umwege kommt die wieder zurück und man fühlt hier zwei Dinge verglichen, um dann wahrscheinlich die Jagd auf Nazis als natürlich das noch Wichtigere zu klassifizieren, und fühlt sich da wirklich hintergangen. Ich habe noch vor kurzem erst einen Artikel gelesen, dass sie mal die Entführung - ihr Mann und sie - von dem Verbrecher und Massenmörder Alois Brunner aus Syrien organisieren wollte durch den DDR-Geheimdienst; er hat es dann nicht gemacht, er hat es blockiert. Es wäre wichtig, dass die West-Linke über diese Zuarbeit aus Ostgeheimdienstkreisen ihrer Arbeit auch mal nachdenkt, auch mal reflektiert.

    Kapern: In welchem Sinne denn, Herr Rathenow, denn es diente doch der guten Sache, könnte man sagen, wenn Beate Klarsfeld tatsächlich alte Nazis zur Strecke oder vor Gericht gebracht hat?

    Rathenow: Ja! Das ist auch in vielen Fällen absolut richtig. Aber man darf schon mal darüber nachdenken, Führungsoffiziere, ehemalige, der Herr Bonsack hat das dem "Spiegel" geschrieben, manchmal gab es auch gefälschte Papiere, bei Kiesinger waren sie echt, bei Lübke war nicht alles echt, das war aber nicht Beate Klarsfeld. Man muss einfach über diesen staatlich verordneten Antifaschismus aus der DDR, der eben kein Antinationalsozialismus im umfassenden Sinne war, einmal nachdenken, auch um über die Folgewirkung heute bei den jungen ostgeprägten Nazis oder rechtsterroristischen Aktivisten, um die besser beurteilen zu können. Da ist ja ganz viel unverarbeitete DDR dabei. Die hat mit diesem staatlich gelenkten und zu eng auf ökonomische Bedingungen geführten Antifaschismus zu tun. Antifaschismus ist fast eine Verharmlosung.

    Kapern: Aber, Herr Rathenow, wenn ich da noch mal nachfragen darf. Für diesen Antifaschismus und seine Defizite in der DDR, dafür kann man doch Beate Klarsfeld jetzt nicht verantwortlich machen.

    Rathenow: Nein, würde ich auch nicht. Deswegen würde ich ja auch sagen, dass ich ihre Verdienste überhaupt nicht in Frage stelle. Nur die instrumentale Benutzung dieser Verdienste jetzt, und die ganz andere sich nicht auf Verbrechen, sondern auf staatliche Vergehen höchstens, die ganz andere Form der Aufarbeitung in der DDR gleichzusetzen und die gegeneinander auszuspielen, darüber sollte man schon nachdenken. Und da fühlen sich dann Opfer untergebügelt - vor allen Dingen auch deshalb, weil sie das Thema gar nicht mehr in der Öffentlichkeit sehen. Es wird gar nicht für ein Problem gehalten, dass man möglicherweise auch gefälschte Papiere des MfS benutzt hat, oder dass Beate Klarsfeld sagt, dem Journalisten der "Berliner Zeitung", na ja, Entführung war das nicht, das sollten die DDR-Behörden selbst regeln mit Syrien. Erstens haben sie nichts geregelt, ... .

    Kapern: Im Falle Brunner, Alois Brunner?

    Rathenow: Ja, Alois Brunner. Sie haben nichts geregelt, sie haben es verschleppt, sind auch hinters Licht geführt worden. Und zweitens ist das eben so eine Frage, ob man einen Geheimdienst osteuropäischer Prägung - in der DDR will ich das MfS mal als den bezeichnen -, ob man dieses Vertrauen aufbringen kann, ob man da nicht zum Teil den Beelzebub mit dem fast Teufel austreiben wollte.

    Kapern: Lassen Sie uns noch kurz auf Joachim Gauck schauen, der Bürgerrechtler, der jetzt für die anderen im Bundestag vertretenen Parteien antritt bei der Wahl um das Bundespräsidentenamt. Andere Bürgerrechtler sagen nun, Joachim Gauck sei gar kein Bürgerrechtler gewesen, weil er sich erst da engagiert hat, als das Engagement keine Gefahr mehr darstellte. Wie sehen Sie das?

    Rathenow: Na ja, das ist nicht ganz richtig. Er hat in der letzten Phase der DDR sich sehr mutig, sehr klug und sehr taktisch verdienstvoll verhalten. Er beansprucht nicht, Bürgerrechtler und DDR-Oppositioneller gewesen zu sein. Wissen Sie, jetzt bei dieser Gauck-Debatte kommt all das wieder hoch, was so als Manko in den öffentlichen, periodisch auftauchenden Debatten nicht hinreichend beachtet wurde. Zum Beispiel wer war was wie in der DDR, wer war wirklich oppositionell. Hans-Jochen Tschiche, der ihn kritisierte, oder Heiko Lietz (beide kenne ich sehr gut) sind sehr tapfere, mutige, wichtige Leute innerhalb der Kirche gewesen. Natürlich waren sie auf andere Art Oppositionelle als Joachim Gauck, der eher so eine Art innere Emigration verkörperte und als Kirchenmann seelsorgerlichen Rat bot und auch geschützte Nischen einnahm und der noch ein anderes Phänomen verkörpert: Wirkliche Antikommunisten in der DDR - Joachim Gauck war einer, das hat die Staatssicherheit auch ganz klar erkannt - machten nicht so viel gegen die DDR, denn sie hielten den Kommunismus für so übermächtig und so tötungsverdächtig, dass sie eher da in eine politische Handlungsstarre kamen. Während Leute mit anarchistischen, sozialistischen oder irgendwie anders gearteten Motivationen, die den Sozialismus irgendwie noch veränderungsfähig hielten, dann eher rebellierten.
    Aber ich finde es ein bisschen arrogant, das von Joachim Gauck so zu verlangen und ihm die Untätigkeit vorher vorzuwerfen. Das stimmt nicht so. Worüber nachgedacht werden müsste, wäre seine Zeit als Installateur der dann nach ihm benannten Behörde. Da gibt es einige offene Punkte, die sollte man mal ganz fair durchdiskutieren, die Aufarbeitung der Aufarbeitung betreiben. Ich finde, dass seine Verdienste überwiegen und dass man ihm die Chance geben sollte, seine eigene Rolle in der Rolle des Bundespräsidenten zu finden und die auch einzunehmen.

    Kapern: Lutz Rathenow war das, der sächsische Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen und DDR-Bürgerrechtler. Herr Rathenow, vielen Dank für das Gespräch heute Mittag.

    Rathenow: Besten Dank.

    Kapern: Auf Wiederhören!

    Rathenow: Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.