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Ratingagentur bewertet auch Italiens Politik

Die wirtschaftliche Lage Italiens ist, abgesehen von den hohen Zinsbelastungen, im europäischen Vergleich gar nicht so schlecht. Doch Standard & Poor's hat offenbar auch über die Politik von Silvio Berlosconi gerichtet.

Von Massimo Agostinis | 21.09.2011
    Die Reaktion auf die Herabstufung durch Standard & Poor's fiel ungewöhnlich scharf aus: Palazzo Chigi, der Regierungspalast in Rom, ließ verlauten, die Ratingagentur ließe sich ganz offenbar von den vielen Negativberichten in italienischen Zeitungen leiten. Die Regierung habe bereits zwei Sparpakete verabschiedet, die das Defizit bis in zwei Jahren auf Null senken würden.

    Standard & Poor's wiederum wies die Kritik umgehend zurück, sagte aber auch, Spanien beispielsweise habe viel besser auf die Krise reagiert als Italien. Das war eine Provokation: Maurizio Lupi, Parlamentarier und Mann für's Grobe in Berlusconis Partei "Popolo della Libertà" höhnte:

    "Standard & Poor's, das ist doch jene Agentur, die die pleitegegangene US-Bank Lehman Brothers bis zuletzt als sicher bewertet hat."

    Damit wollte Lupi das Verdikt von Standard & Poor's ins Lächerliche ziehen. Doch Tito Boeri, angesehener Wirtschaftsprofessor an der Mailänder Bocconi Universität, widerspricht ihm:

    "Italien wird als Land, das immer Schulden macht wahrgenommen und unfähig ist, seine Ausgaben unter Kontrolle zu halten. Deshalb werden wir attackiert."

    Und Mario Deaglio, Professor für internationale Wirtschaft an der Uni Turin, sagt:

    "Die Regierung hat die Mehrwertsteuer heraufgesetzt und hofft dadurch auf Mehreinnahmen. Die Italiener werden dadurch weniger in der Geldbörse haben und weniger ausgeben, was wiederum zu tieferen Staatseinnahmen führt. Logisch, dass eine solche Politik die Ratingagenturen nicht überzeugt. Sie erkennen, dass die Regierung ihre Haushaltsziele nicht erreichen kann."

    Trotzdem: Die Attacke der Finanzmärkte und Ratingagenturen gegen Italien ist nicht einfach nachvollziehbar. Das Wirtschaftszentrum Mailand gehört trotz Krise zu den drei stärksten in ganz Europa. Italiens Arbeitslosenquote liegt unter dem EU-Schnitt. Müsste das Land für seine Schulden von 1900 Milliarden Euro nicht jedes Jahr 80 Milliarden an Zinsen zahlen, wiese der Staatshaushalt gar schwarze Zahlen auf. Das würde nicht mal Deutschland schaffen.

    Aber Italien ist lang: Im Süden kommt die Wirtschaft nicht vom Fleck und reißt die Fundamentaldaten des ganzen Landes in die Tiefe, seit 20 Jahren. Das sind die Zahlen, die die Ratingagenturen erschrecken. Aber nicht nur.

    Die Agentur schreibt wörtlich, diese Regierungsmannschaft scheint nicht in der Lage zu sein, das Problem zu lösen.

    Das heißt, Standard and Poor's stört sich auch an Ministerpräsident Silvio Berlusconi und seinen notorischen Skandalen, die ihn vom Regieren abhalten.

    Die Oppositon verlangt deshalb - wie seit Monaten - den Rücktritt von Berlusconi. Enrico Letta vom Partito Democratico.

    "Unsere Wirtschaftskrise ist keine Erfindung der Zeitungen. Diese Regierung müsse weg und ersetzt werden durch eine Regierung der nationalen Verantwortung."

    Letta ruft als nicht nach Neuwahlen. Die Rechte solle ruhig weiterregieren, aber ohne Berlusconi, sagt er.

    Noch genießt der geschwächte Regierungschef die Unterstützung seiner Koalition. Beim Juniorpartner Lega, aber auch in der eigenen Partei, rumort es freilich seit Monaten. Nicht auszuschließen, dass es schon bald zu einem parlamentarischen Unfall kommt und Berlusconi über eine Nichtigkeit stolpert und von seinen eigenen Leuten nach Hause geschickt wird. Für die Parlamentarier hätte das den Vorteil, den lukrativen Parlamentsposten behalten zu dürfen, die Altlast Berlusconi aber endlich loszuwerden.

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