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"Ratings orientieren sich viel zu eng an der aktuellen Marktentwicklung"

Michael Heise sagt, dass es nicht sinnvoll ist, wenn einzelne Institute "so weit reichende Entscheidungen" haben, die auch die europäische Integration beeinflussen könnten. Der Chefvolkswirt der Allianz-Grupe hofft, dass Ratingagenturen die langfristige Bonität der Länder analysieren würden.

Michael Heise im Gespräch mit Silvia Engels | 06.12.2011
    Silvia Engels: Die deutsche Börse und auch der Rentenmarkt für fest verzinsliche Papiere reagierten heute zunächst recht entspannt auf die Nachricht von Standard & Poor's, die Bonität von 15 Eurostaaten überprüfen zu wollen. Bis zum Mittag verlor der DAX in Frankfurt am Main nur leicht, er sank auf aktuell 6.09 Zähler, ein Minus von nur 0,2 Prozent. Die politischen Reaktionen fielen dagegen deutlich heftiger aus.

    Der Deutschland-Analyst von Standard & Poor's, Moritz Kraemer, begründete die Entscheidung seiner Ratingagentur, die Bonität im Euroraum prüfen zu wollen, so:

    Moritz Kraemer: Der Zeitpunkt ist natürlich gar nicht zufällig. Es ist nach unserem Dafürhalten in der Tat so, dass wir jetzt am kommenden Wochenende eine Chance haben, die genutzt werden sollte von der europäischen Politik, um diesen Prozess umzukehren. Wie viel Zeit danach noch bleibt, ist natürlich fraglich, und wir haben die Sorge, die wir in diesem Beobachtungsstatus mitteilen, dass die Krise, falls es zu einem enttäuschenden Ergebnis kommen sollte in Brüssel am Wochenende, noch einen ganz großen Schritt nach unten gehen würde und möglicherweise eine noch stärkere Verschlechterung nach sich zieht, was natürlich auch die Rezessionsgefahren in Europa und auch in Deutschland dann nachhaltig wieder verstärkt.

    Engels: Moritz Kraemer, der Deutschland-Analyst von Standard & Poor's. Er kommt heute auch im Deutschlandfunk noch ausführlich im Börsengespräch zu Wort, ab 13:35 Uhr in der "Wirtschaft am Mittag". - Am Telefon zugeschaltet nun ist uns Michael Heise. Er ist Chefvolkswirt der Allianzgruppe, die ja das Kerngeschäft Versicherung hat. Guten Tag, Herr Heise.

    Michael Heise: Guten Tag, Frau Engels.

    Engels: Sie haben Herrn Kraemer von Standard & Poor's gerade gehört. Er gibt da ja recht offen zu, dass die Ankündigung einer möglichen Herabstufung für den Euroraum durchaus dazu gedacht ist, den Druck auf die Politik zu erhöhen, sich beim EU-Gipfel Ende der Woche zu einigen. Ist das angemessen?

    Heise: Ich glaube, das ist ein wenig problematisch. Der Druck auf die Politik ist hoch genug. Die Politik weiß, was auf dem Spiel steht. Wir sehen täglich die Reaktionen an den Märkten, auch auf politische Maßnahmen oder auf nicht getroffene Maßnahmen. Insofern bedarf es nicht der Ratingagenturen, um hier noch weiteren Erwartungsdruck zu schaffen. Ich denke, die Ratingagenturen sollten ihre Ratings dann ändern, wenn sie neue Indizien für neue mittelfristige Entwicklungen und bessere oder schlechtere Entwicklungen in einzelnen Ländern haben, aber nicht ihr Timing nach politischen Treffen und Gipfeltreffen optimieren.

    Engels: Was wäre denn gefährlich daran, wenn sich Standard & Poor's nun offenbar auch offen auch als eine Art politischer Akteur versteht?

    Heise: Ich glaube, da würden sie ihre Rolle überschreiten. Wenn Sie in die Begründungen für die Ratingurteile schauen, ist ja auch in der Regel keine wirtschaftspolitische Analyse, schon gar nicht längerfristige wirtschaftspolitische Analyse dort zu vernehmen. Ich finde es fast etwas betrüblich, dass die Argumente für solche Negativpositionierungen einzelner Länder eher kurzfristig sind. Man bezieht sich auf die Risikoprämien, die an den Märkten hochgegangen sind; das wissen wir, dazu brauchen wir eigentlich nicht die Ratingagenturen. Man bezieht sich auf die Tatsache, dass eine hohe Staatsverschuldung und Haushaltsverschuldung da ist; auch das ist bekannt. Und man bezieht sich auf die Gefahr einer Rezession. Aber ich glaube, es ist problematisch, wenn jetzt Ratings sich an solchen kurzfristigen Dingen orientieren, zumal wir wissen, wie unsicher Prognosen über die Konjunktur sind, und da sind die Ratingagenturen keineswegs besser als andere.

    Engels: Herr Heise, würden Sie dann dem Chor zustimmen, der da aus der Politik schallt, der das für unangemessen hält, was Standard & Poor's da tut?

    Heise: Ich würde es jetzt nicht als unangemessen ansehen. Ich glaube, wir müssen nur die Bedeutung etwas relativieren. Manche Dinge sind auch nicht gerade besonders überzeugend, wenn man beispielsweise der deutschen Wirtschaft ein Downgrading, eine Herabstufung androht, der Wirtschaft Großbritanniens aber ein Triple-A-Rating noch mal bestätigt. Dann fragt man sich natürlich schon nach der Logik. Die deutsche Wirtschaft steht zweifellos besser da als die Großbritanniens, und auch die Tatsache, dass wir hier in eine zunehmende Haftung hineingehen für europäische Staatsanleihen, ist kein wirkliches Differenzierungsmerkmal, denn auch die Notenbank der Engländer kauft in noch viel größerem Umfang Staatspapiere auf. Also da muss dann schon mit einer Elle gemessen werden. Den Eindruck hat man nicht immer.

    Engels: Es gibt ja in der Tat häufiger den Vorwurf, dass gerade die Ratingagenturen durch ihren starken Bezug zum US-amerikanischen und auch zum britischen Raum dort immer etwas sanfter aus Eigeninteresse heraus Ratings angehen. Würden Sie nach diesem Vorgang heute das auch so sehen?

    Heise: Ich glaube nicht, dass es politisch motiviert ist. Man kann auch als Gegenargument sagen, dass Standard & Poor's ja auch die USA kritisch unter die Lupe genommen hat und hier auch eine Herabstufung vorgenommen hat. Mein Kritikpunkt wäre eher, dass sich diese Ratings viel zu eng an der aktuellen Marktentwicklung orientieren. Wenn Länder an den Märkten in Schwierigkeiten geraten, wie das beispielsweise in Portugal, Spanien, Italien der Fall gewesen ist, dann stellt man sehr, sehr kurz darauf fest, dass die Ratingagenturen ihre Ratings herunternehmen, weil sie sagen, der Kapitalmarktzugang für bestimmte Länder ist teurer geworden, oder die Wiederkehr an den Kapitalmarkt ist unwahrscheinlicher geworden, und in dem Moment gibt es eine Herabstufung. Das ist natürlich ein äußerst prozyklischer Prozess, der sich gegenseitig verstärkt. Die Märkte stellen sich gegen Länder, Ratingagenturen gehen herunter mit ihren Ratings, und das veranlasst dann die Märkte, die Risikoprämien weiter hochzuschrauben. Dann sind wir in einem Kreislauf. Das kann absolut nicht sinnvoll sein und deswegen würde ich von den Ratingagenturen hoffen, dass sie eher die langfristige Bonität der Länder analysieren, und zwar in umfassender Weise, einschließlich der Politik, die dort betrieben wird. Ob diese nun zielführend oder nicht zielführend ist, da kann man sich ein Urteil drüber bilden und das dann auch der Öffentlichkeit mitteilen. Aber bitte nicht so eng an den Marktpreisen orientieren.

    Engels: Herr Heise, Sie deuten da eine Art Automatismus an, der allein durch eine solche pure Ankündigung einer möglichen Herabstufung in Gang kommen kann. Wie sieht das denn für große institutionelle Anleger aus, also Pensionsfonds oder auch Versicherungen wie Ihre Gruppe, die Allianz? Dort ist man ja verpflichtet, in Anlageentscheidungen das Rating jeweils mit zu berücksichtigen, um eben für die Kunden möglichst sicher zu platzieren. Verändert diese Andeutung von Standard & Poor's jetzt schon auch das Portfolio Ihrer mittelfristigen Planung?

    Heise: Nein, das würde ich so nicht sehen. Es handelt sich ja jetzt hier in diesem Falle um Euroländer, bei denen diese Ratings nicht diese Rolle spielen für die Kapitalunterlegungspflichten, die Banken oder Versicherer haben. Das ist ja eine Diskussion, die wir führen, ob Staatsanleihen auch aus der Eurozone entsprechend mit Kapital unterlegt werden sollen. Im Moment ist das noch nicht der Fall, deswegen kann man, glaube ich, keine krassen Reaktionen oder muss man keine krassen Reaktionen der institutionellen Anleger befürchten. Grundsätzlich ist es aber natürlich schon so, wenn man außerhalb der Eurozone geht, dass die Ratings immer noch eine hohe Bedeutung für Investoren haben. Wenn ein Land jetzt außerhalb der Eurozone oder ein Unternehmen unterhalb des sogenannten Investment-Grade, also einem Triple-B angeordnet ist, dann müssen viele verkaufen aufgrund der Statuten ihres Investments und dann ist natürlich ein Teufelskreis gegeben.

    Engels: Kurzfristig also keine Folgen, auch nicht für den Euroraum. Aber mittelfristig schon?

    Heise: Ich denke, mittelfristig hat es eine enorme Bedeutung, und ich glaube, wir müssen auch schauen: Die Regulatoren, die Bank- und Versicherungsregulierungen machen, die Notenbanken, Wirtschaftsprüfer, viele andere, wie man die Bedeutung, diese sehr, sehr große Bedeutung der Ratings über die Zeit etwas mindern kann, denn es kann nicht sinnvoll sein, dass eben einzelne Institute so weit reichende Entscheidungen, die ja dann letztlich tatsächlich auch die europäische Integration beeinflussen können, dass einzelne Institute so weit reichende Entscheidungen haben.

    Engels: Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz-Gruppe. Vielen Dank für das Gespräch.

    Heise: Danke Ihnen.

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