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Ratzinger-Film "Verteidiger des Glaubens"
"Es kann nicht sein, dass er sich aus der Verantwortung zieht"

Der Regisseur Christoph Röhl hat Filme über sexuellen Missbrauch an der Odenwald-Schule gedreht. Nun setzt er sich in einer Dokumentation mit dem früheren Papst Benedikt XVI. auseinander. "Mein Anliegen ist, dass Opfer eine Stimme bekommen", sagte Röhl im DLF

Christoph Röhl im Gespräch mit Christiane Florin | 22.10.2019
Papst Benedikt XVI. steht am 28.02.2013 auf dem Balkon des Apostolischen Palastes in Castel Gandolfo und grüßt die versammelten Gläubigen. Foto: Michael Kappeler/dpa (re-cropped version) | Verwendung weltweit
"Verteidiger des Glaubens" heißt der Dokumentarfilm von Christoph Röhl über Joseph Ratzinger (dpa)
Christiane Florin: Was hat Sie fasziniert an Joseph Ratzinger?
Röhl: Ich habe am Anfang etwas geahnt. Es war nur ein Gefühl, dass er etwas Paradigmatisches an sich hatte, etwas Exemplarisches. Ich wusste nur damals nicht, was das war. Aber irgendwann kam ich darauf, dass er eine Verkörperung eines Systems ist.
Florin: Wie ist dieses System? Es ist ein Herrschaftssystem, so zeigen Sie es.
Röhl: Genau. Um noch mal zurück auf Ratzinger zu kommen, verkörpert er für mich diesen Anspruch, die absolute Wahrheit zu haben. Er hat auch in seiner Person keine anderen Wahrheiten zugelassen, hat sich dann auch nicht – das hat man gesehen während seines Pontifikats – mit der Realität umgehen können, mit ihren ganzen dreckigen Facetten. Das ist das eine. Das andere ist, dass er an eine autoritär geführte hierarchisch strukturierte Kirche geglaubt hat und dass man damit ein Bollwerk gegen das Böse hat, um den Teufel – um seine Worte zu benutzen – bekämpfen zu können.
"Glaube ist Heimat, Familie, Nostalgie"
Florin: Eine starke Szene fand ich dieses Familienbild, also seine eigene Familie: Die Eltern heißen Maria und Joseph, die Schwester heißt Maria, er heißt Joseph, der Bruder heißt Georg. Beide Söhne von Maria und Joseph werden Priester. Also das war ja auch damals nicht die Regelfamilie, sondern auch damals schon eine Ausnahme. Woher kommt dieses Katholische der Familie Ratzinger? Haben Sie da etwas herausgefunden?
Röhl: Was mich daran interessiert hat, war diese Identifikation mit dem Glauben in Verbindung mit Kindheitserinnerungen. Und das sieht man ja auch an Ratzinger: Er identifiziert sich mit dem Glauben und stellt es gleich mit seinen eigenen theologischen Gedanken. Wenn er selbst angegriffen wird, tut er so, als ob die Kirche angegriffen würde. Mein Ziel war, den Glauben darzustellen, was dieser Glaube bedeutet. Und das bedeutet halt: Heimat, Familie, nostalgische Erinnerungen an der Kindheit.
"Ich bin kirchenfern und atheistisch"
Florin: Würden Sie sagen, da hat jemand seine eigenen Maßstäbe zum Maßstab für alle gemacht?
Röhl: Das würde ich sagen. Das ist seine Tragik - und unsere Tragik auch. Die Leute, die andere Wahrheiten haben, wurden diffamiert, diskreditiert, desavouiert. Ihre Wahrheiten – also besonders verkörpert durch die Opfer – werden nicht zugelassen.
Florin: Die Opfer sexualisierter Gewalt.
Röhl: Nicht nur.
Florin: Die Opfer seiner lehramtlichen Eingriffe.
Röhl: Ja.
Florin: Dass er Theologen bestraft hat.
Röhl: Auch die spirituellen Opfer – diejenigen, die jetzt nicht körperlich oder auch sexuell missbraucht worden sind, sondern seelisch missbraucht.
Bildnummer: 59688490 Datum: 25.09.2012 Copyright: imago/epd Der Jury-Vorsitzende des Robert Geisendörfer Preises, der badische Landesbischof Ulrich Fischer (re.), übergibt am Dienstag (25.09.2012) in München den Preis in der Kategorie Fernsehen an den Autor der 3sat-Dokumentation Und wir sind nicht die Einzigen , Christoph Röhl. In dem Interviewfilm über die Missbrauchsfälle in der Odenwaldschule kommen nach Meinung der Jury diejenigen zu Wort, deren Hilferufe jahrzehntelang nicht erhört wurden . Mit dem Robert Geisendörfer Preis wurden insgesamt sechs herausragende Beiträge aus Hörfunk und Fernsehen ausgezeichnet. Die Preisträger setzten sich in ihren Sendungen mit Tod, Verbrecherleben, häuslicher Gewalt und der schmerzlichen Erinnerungsarbeit missbrauchter Schüler auseinander, sagte Fischer. Die Auszeichnung ist mit insgesamt 30.000 Euro dotiert und wird seit 1983 jährlich im Gedenken an den christlichen Publizisten Robert Geisendörfer verliehen. Die Geschäftsführung des Preises liegt beim Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) in Frankfurt am Main. (Siehe epd-Meldung vom 25.09.2012) DER ABDRUCK DES EPD-FOTOS IST HONORARPFLICHTIG! Robert Geisendörfer Preis in München verliehen xcb x0x 2012 quer Auszeichnungen Evangelische_Kirche Fernsehen Hörfunk Kultur Medien Religionen 59688490 Date 25 09 2012 Copyright Imago epd the Jury Chairman the Robert Price the Baden Bishop Ulrich Fischer right passes at Tuesday 25 09 2012 in Munich the Prize in the Category Television to the Author the 3Sat Documentation and We are not the single Christoph Röhl in the above the Abuse cases in the Odenwaldschule come after Opinion the Jury those to Word others Cries for help not heard were with the Robert Prize were a whole six outstanding Contributions out Radio and Television excellent the Prize winners continued to in theirs Broadcasts with Death domestic Violence and the painful abused Students apart said Fischer the Award is with a whole 30 000 Euro and will since 1983 annually in Remembrance to the Christian Publicists Robert awarded the Management the Price is the Community work the Protestant Journalism GEP in Frankfurt at Main See epd Message of 25 09 2012 the Imprint the epd Photos is Robert Prize in Munich awarded x0x 2012 horizontal Awards Television Radio Culture Media Religions
Florin: Die das, was er gesagt hat, ernst genommen haben, und darunter dann gelitten haben, dass das mit ihrem Leben nicht übereinstimmte. So?
Röhl: Richtig. Und da gibt es ja zwei Leute, die das wirklich geglaubt haben und zum Beispiel Priester werden wollte bei den Legionären Christi, der wirklich gelitten hat darunter. Doris Wagner (Reisinger) war ja auch jemand, die wirklich das geglaubt hatte und glauben wollte.
Florin: Wie war Ihr Bild von Joseph Ratzinger bevor Sie angefangen haben zu recherchieren und wie ist es jetzt?
Röhl: Ich wusste nicht so viel über ihn. Ich komme aus England, bin kirchenfern, atheistisch. Ratzinger war für mich nur eine Randfigur, für mich in meinem Leben. Ich habe nur festgestellt, dass er eine umstrittene Figur ist, dass er sehr stark polarisiert. Da war meine Neugier geweckt: Was ist denn nun? Was hat er denn gemacht – zum Beispiel, was die Vertuschung betrifft? War der jetzt der große Aufklärer, wie er von seinen Fans dargestellt wird, oder hat er tatsächlich vertuscht?
Ich wollte einfach jenseits jeder Polemik die Wahrheit herausfinden. Das war wahnsinnig schwierig. Denn da gibt es einen Mythos, der vom Vatikan propagiert wird. Es ist sehr schwer dahinter zu gucken, hinter diese Fassade und an die realen Fakten zu kommen. Aber wenn man das tut, dann entsteht ein ganz anderes Bild. Natürlich ist dieses Bild komplexer, es ist kein einfaches Bild. Aber es ist auf keinen Fall das positive Bild, was nach außen hin propagiert wird. Ich finde das wahnsinnig wichtig, das aufzuklären.
"Das ist einfach unüberlegte Papstverehrung"
Florin: Benedikt XVI. hatte viele Fans. "Wir sind Papst", hat die Bild-Zeitung 2005 geschrieben. Seine Bücher, vor allem die Jesus-Bücher, haben sich sehr gut verkauft – waren Bestseller. Was hat seine Fans an ihm fasziniert?
Röhl: Es sind einmal die Hardcore-Anhänger von ihm, die ein ähnliches Konzept von Kirche vertreten wie er und eine ähnliche Sichtweise auf die moderne Welt haben – als etwas Böses, als etwas Schlechtes.
Was seine Bücher betrifft: Das ist einfach diese unüberlegte Papst-Verehrung – unkritisch, weil sie Katholiken sind. Was interessant war an meinem Film zum Beispiel, war: In dem Moment, in dem er zurückgetreten ist, hat man gedacht: Jetzt ist die Geschichte vorbei. Man will sich nicht kritisch damit auseinandersetzen. Das ist mein Punkt.
Florin: Er hat in einem Text über sexuellen Missbrauch den Eindruck erweckt, als habe er mit der Sache eigentlich wenig zu tun. Woher kommt das, dass ein Mann, der die höchsten Ämter innehatte, offenbar keine Verantwortung verspürt?
Röhl: Tja.
Florin: Dass er so so tut, als habe er diese Ämter niemals angestrebt.
Röhl: Ja.
Florin: Die Bildersprache sagt etwas anderes. Sie fangen mit dem ersten Moment des Papstes Benedikt an, wo er auf die Loggia tritt, die Masse ihm zujubelt. Wie deuten Sie diese eine Szene?
Röhl: Ihre Frage, was die Verantwortung betrifft, ist natürlich wahnsinnig wichtig. Es kann nicht sein, dass er sich aus der Verantwortung zieht. Das tut er ja die ganze Zeit. Das gehört ja auch zu diesem nach außen hin propagierten Mythos. In seinem Brief stellt er sich ja als Opfer dar – nicht nur sich selbst, sondern den Glauben, die Kirche. Aber er erwähnt die eigentlichen Opfer gar nicht: die Kinder, die missbraucht worden sind. Oder auch die erwachsenen Missbrauchten, die Überlebenden, die später gehört werden wollten und die wollten, dass ihnen geglaubt wird. Die hat er gerade desavouiert. Es ist natürlich ein Skandal, dass er nicht selbstkritisch ist und sich fragt: Was habe ich daran selbst für Schuld auf mich geladen? Und nicht nur er selbst, sondern das System Kirche.
"Er hat die Opfer als Bedrohung gesehen"
Florin: "Verteidiger des Glaubens" heißt ihr Film. Das heißt, da fühlt sich jemand angegriffen. Hat er auch die Betroffenen von sexueller Gewalt als Angreifer gesehen?
Röhl: Er hat die Opfer als Bedrohung gesehen, weil sie die Mission der Kirche infrage stellten. In dem Film gibt es den Satz, dass er eher bereit war, dass neun Opfer nicht zu ihrem Recht gekommen sind, als dass Millionen von Katholiken an ihrem Glauben zweifeln. Dieser Satz sagt alles aus. Also: Er ist bereit, die Opfer und ihre Wahrheiten aufzuopfern zugunsten der absoluten Wahrheit, um die Institution Kirche, weil sie heilig ist, zu schützen.
Florin: Auffallend fand ich, dass sehr ruhig gesprochen wird, sehr analytisch. Es gibt kaum Wut, kaum Zorn, keine Abrechnungsgelüste. War das von Ihnen so gewollt?
Röhl: Ja, absolut. Dieses Thema ist so emotional beladen, dass man nur daran herangehen kann - erst Recht, wenn wir von Filmen sprechen -, wenn es nüchtern ist und gründlich recherchiert und ruhig vorgetragen. Ohne Polemik. Nur so erreicht man eine wahrhaftige Analyse. Die Emotionen müssen beim Zuschauer stattfinden. Das ist meine Art Filme zu machen: eher versuchen aufklärerisch zu sein, als dass man skandalisiert oder emotionalisiert. Dass man ganz nüchtern die Fakten darlegt, aber dennoch eine Geschichte erzählt. Ich erzähle eine Geschichte. Ich stelle Zusammenhänge dar die eine Aussage treffen über den Plot hinaus. Die Geschichte an sich ist die einer tragischen Figur, eines tragischen Helden.
"Ein tragischer Held im Sinne Shakespeares"
Florin: Tragik bedeutet, dass man in etwas hineinschlittert, dass man gar nicht bewusst eine Entscheidung getroffen hat, sondern durch die Verhältnisse in etwas hineingetrieben wurde, von dem man hinterher sagen muss: Das war nicht gut. Ist das wirklich Ihre Aussage: Tragik?
Röhl: Eine super Frage, finde ich. Ich habe sehr viel darüber nachgedacht. Ist er eine tragische Figur im Sinne von Sophokles oder im Sinne von Shakespeare? Ich bin der Meinung, dass er ein tragischer Held im Sinne von Shakespeare ist. Er ist nicht Ödipus, der blind ist. Eher Macbeth, der sehenden Auges Schuld auf sich lädt. Ratzinger hat, im Gegensatz zu anderen, die sexuellen Missbrauch völlig dementiert und als große Lüge der säkularen Welt dargestellt haben, zumindest geglaubt, dass es stattfand. Er hat die Gefahr für die Kirche erkannt. Die Frage ist, was er mit diesem Wissen getan hat. Er hat das innerhalb der Kirche geheim gehalten, nichts nach außen dringen lassen. Alles intern regeln, alles vertuschen - das hat er getan.
Das war ja so groß, dass man das gar nicht leugnen konnte. Das vergisst man einfach in Deutschland. Man denkt in Deutschland, dass die Missbrauchskrise 2010 angefangen hat. In der Realität hat es Mitte der 1980er schon angefangen und zwar ziemlich groß. In den 1990ern gab es weitere Wellen. Die Wellen waren so groß, dass die Bischöfe in Irland und in Amerika richtig Angst bekommen haben und händeringend zum Vatikan gegangen sind, um Maßnahmen zu erarbeiten, um mit dem Problem umzugehen.
Florin: Sie sind selbst kein gläubiger Mensch, sie sind Atheist. Warum muss sich ein Atheist mit der katholischen Kirche auseinandersetzen? Warum nicht einfach sagen: Ich bin da raus - und gut ist es?
Röhl: Ich hatte zwei Filme zum Thema sexueller Missbrauch schon gemacht, über die Odenwald Schule. Ich bin in diesem Zusammenhang mit Opfern im kirchlichen Kontext zusammengekommen. Mein Anliegen ist es, dass Opfer eine Stimme bekommen. Das Interessante ist ja, dass ich mich eigentlich christlicher verhalte, indem ich ihnen glaube und Gehör schenke, als diejenigen in der Kirche, die sich als fromm darstellen.
Ist Joseph Ratzinger mit sich im Reinen?
Florin: Sie haben mit Joseph Ratzinger selbst nicht gesprochen. Er taucht zwar im Originalton auf, aber mit alten Interviews. Haben Sie ein Gespräch mit ihm angefragt oder war von vornherein klar, dass sie das nicht wollen?
Röhl: Ich habe das natürlich angefragt und Georg Gänswein (Sekretär von Joseph Ratzinger) hat mir sogar in Aussicht gestellt, dass ich ihn treffen kann. Aber dieses Treffen ist nie zustande gekommen, weil er in dem Moment sehr krank wurde. Ich hätte ihn auch nicht interviewen dürfen, das hat man mir ganz deutlich gesagt. Die Frage ist, was er überhaupt zum Film hätte beitragen können. Ich habe kein Biopic über Ratzinger gemacht, ich habe einen Film gemacht über Ratzinger als Symbolfigur stellvertretend für ein System. Ein System, das viele Fehler aufzeigt. Ich glaube nicht, dass Ratzinger selbst diese Systemfehler, diese struktuellen Fehler überhaupt sieht.
Florin: Haben Sie nach all dem, was Sie herausgefunden haben, den Eindruck: Da ist jemand mit sich im Reinen? Das ist ein - blödes Wort, ich sage es trotzdem - glücklicher Mensch, dieser Joseph Ratzinger?
Röhl: In dem Film sagt sein Weggefährte, der Theologe Wolfgang Beinert, einen sehr wichtigen Satz zum Thema Kammerdiener. Beinert beschreibt das Verhältnis zwischen Ratzinger und diesem Kammerdiener Pablo Gabriele, der die Briefe von Ratzingers Tisch geklaut und der Presse zugespielt hat, als Vater-Sohn-Verhältnis. Er sagt dann diesen wichtigen Satz, dass Ratzinger jemandem wieder Liebe geschenkt hat und dass er wieder enttäuscht wurde. Man sieht, dass es doch nicht ausreicht, nur an das Jenseits zu denken, sondern jeder Mensch braucht doch Liebe.
"Sich öffnen dafür, dass Leid produziert wurde"
Florin: Man sieht in Ihrem Film Gläubige in Massen Päpsten zujubeln: Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Wie sehen Sie diese Gläubigen: Sind das Verbündete? Solch ein System, wie Sie es beschreiben, hat immer zwei Seiten. Da ist der, der die Macht will, der diese Kirche so will, aber da sind auch die von unten, die dieses System mittragen.
Röhl: Was ist mir wünsche ist, dass diese Menschen diesen Impuls, die Kirche schützen zu müssen, aufgeben und den Opfern mal zuhören und vielleicht Glauben schenken. Dass sie diese Angst, dass die Kirche zugrunde geht, aufgeben und sich öffnen dafür, dass Leid produziert worden ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.