Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Raubkunst als Romanstoff

In ihrem neuen Roman wagt sich Barbara Bongartz an ein brisantes Thema, das die Gemüter seit Jahren erhitzt: an das Schicksal jener Bilder, die einst im Besitz von jüdischen Familien waren und dann in den illegitimen Besitz der Nazis übergingen.

Von Claudia Kramatschek | 07.12.2009
    Ein Amerikaner in Berlin, ein so zwielichtiger wie schriller Nazienkel und ein Gemälde von Courbet – das sind die wenigen Ingredienzien, aus denen Barbara Bongartz mit "Perlensamt" einen inhaltlich vielschichtigen und formal spannungsreichen Roman geschaffen hat, der um die heiklen wie schwierigen Themenfelder von Raubkunst und Restitution kreist.

    "Das Thema Raubkunst ist ja in den letzten zehn, fünfzehn Jahren als Thema erst in die Öffentlichkeit gedrungen – vorher war es etwas, womit sich ausschließlich Fachleute, wenn überhaupt, beschäftigt haben. Und ich habe eigentlich gar nicht recht verstanden, wo das Problem lag. Ich wusste, dass der deutsche Staat nach dem Krieg an andere Länder, zum Beispiel an Frankreich en gros restituiert hatte, und war immer der Meinung gewesen, damit sei das Problem eigentlich vom Tisch und las nun immer wieder in der Zeitung: Da taucht hier ein Bild auf, da taucht dort ein Bild auf, da tauchen Ansprüche auf der ehemaligen Eigentümer. Und aus diesem nicht Verstehen-können der ebenso komplexen wie komplizierten und verworrenen Situation fing ich an, mir dieses Thema anzueignen und daraus ist dann ein Romanstoff geworden."

    Der Amerikaner in Berlin: Das ist Martin Saunders, ein Kunsthistoriker und der Sohn einer Deutschen, die kurz nach Kriegsende nach New York ausgewandert ist, wo Martin für ein großes Auktionshaus tätig ist. Die Provenienzforschung hat er eigentlich schon länger satt. Doch dann wird der Berliner Dependance, für die er derzeit arbeitet, von einem anonymen Besitzer ein Courbet angeboten – und diesen Courbet hat Saunders wenige Tage zuvor in einer Privatsammlung gesehen, allerdings unter höchst merkwürdigen Umständen. Denn die Sammlung gehört einem gewissen David Perlensamt, dessen Mutter nicht nur kurz zuvor in der Villa der Perlensamts ermordet worden ist; David behauptet zudem, der Enkel von Otto Abetz zu sein, und dieser Abetz – eine historisch verbürgte Person – war niemand Geringeres als Hitlers Botschafter in Paris und als solcher nicht zuletzt einer der zentralen Nazihandlanger in Sachen Raubkunst.

    - Außerordentlich, in Berlin eine über Generationen erhaltene Sammlung französischer Kunst zu sehen. Und dann der Courbet – eine besonders schöne Version des Motivs.
    - Version?
    - Ich wollte sagen, Courbet hat das Motiv mehrmals gemalt.
    - Das Bild vom Meer, glaube ich, war der Anfang.
    - Der Anfang?
    - Ich habe nicht viel übrig für diese Art von Kunst.
    Ich sah ihn fragend an.
    - Für das 19. Jahrhundert, meine ich ... Man muss sich doch fragen, was dieser Ästhetik innewohnt, wenn sie die Nazis so entzückte. ... Mein Vater hat alles, was Sie hier sehen, von seinem Vater geerbt. ... Nun bin ich der letzte in der Familie, der dies hütet – oder es in alle Winde zerstreut. ... Und ich verabscheue sie.


    Nicht nur die Polizei steht, was den Mord anbelangt, vor einem Rätsel – auch Martin. Denn David Perlensamt, in den Martin sich verlieben wird, erweist sich als ein so liebenswürdiger wie obsessiver Charakter und zieht Martin in einen Strudel der Empfindungen und Ereignisse. Das gilt auch für den Leser – denn in diesem Roman, der bis in die Form hinein einer kriminalistischen Spurensuche gleicht, ist nichts das, was es scheint. Geschickt zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Berlin, Paris und New York, zwischen Fakten und Erfindung hin- und herblendend, trägt Barbara Bongartz dabei Schicht für Schicht des plakativen Plots ab und unterläuft mit immer neuen Wendungen die Erwartung ihrer Leser.

    Wo von Raubkunst die Rede ist, ist vielmehr die unterschiedliche Weise gemeint, in der hier die Charaktere mit ihrer eigenen Vergangenheit ringen: Martin etwa weiß weder, wer sein Vater ist, noch will er etwas zu tun haben mit seinen deutschen Wurzeln und dem in seinen Augen peinlich wiedergekäuten Bekenntnis der Deutschen zu ihrer historischen Scham; Martins Mutter Rosie wiederum hat ihre Vergangenheit in dem Moment abgelegt, in dem sie nach New York gegangen ist, um dem Sohn – wie sich letztlich heraus stellen wird – die Schande zu ersparen, ein Deutscher zu sein; und schließlich ist da David Perlensamt selbst, dessen ganzes Denken und Handeln ausschließlich danach trachtet, die Schuld zu tilgen, die seine Familie nicht allein mit dem Besitz der aus Raubkunst bestehenden Sammlung in seinen Augen auf sich geladen hat, und der dafür in einem Akt übersteigerter Selbstgerechtigkeit keine Mittel scheut.

    'Stell dir vor, wir heben sie alle aus. Guten Abend, Frau von Blabla, herzlichen Dank für Ihre Einladung. Aber ja, gerne führe ich Ihre Nichte zu Tisch. Sie sammeln auch? Ach, Sie haben die Sammlung von Ihrem Onkel geerbt? Aufgebaut in den dreißiger Jahren? Sogar Picasso? Braque? Ist ja interessant. Galt doch damals als entartet.' ... Nach einer Atempause leuchteten seine dunklen Augen erregt. Leiser fügte er hinzu: 'Rache nehmen. Wo sich die Täter selbst entziehen, muss man ausweichen auf die Nachkommen.' Rache? Einen Augenblick war ich sprachlos.

    Tatsächlich entpuppt sich David – der zentrale Charakter des Romans – als eine so tragische wie abstoßende Figur. Denn sein fast koketter Anspruch darauf, ein Täterenkel zu sein, erweist sich als narzisstische Fantasie, geboren aus einer rein persönlichen Not.

    "Ich wurde schon mal gefragt, ob ich meine Figuren erstens liebe in dem Roman, und ob ich auch David Perlensamt liebe – und natürlich liebe ich auch David Perlensamt. Ich liebe die Verlorenheit und diese Verzweiflung, die er natürlich nicht zugibt, weil er so ein übersteigerter Akteur ist. Und würde er diese Verzweiflung zugeben, die ihn reitet, würde der ganze Mann zusammenbrechen. Das ist der Punkt, warum er das macht: Er inthronisiert sich dadurch, dass er sich zum Nazienkel macht. Das berechtigt ihn, sein persönliches Rechtssystem zu erschaffen und so rigide zu sein, wie sonst keiner rigide sein darf. Er braucht diesen Nazihintergrund, um überhaupt handeln zu können. Dass dahinter dann noch mal ein ganz persönlicher Grund steht, ist perfide – auch in der Anlage der Figur perfide. Aber ich habe solche Menschen kennengelernt, genau, wie ich Menschen kennengelernt habe, die behaupten, jüdisch zu sein oder jüdische Vorfahren zu haben und es gar nicht sind oder keine jüdischen Vorfahren habe. Menschen, die diese gruselige deutsche Geschichte für ihre eigene Selbstdarstellung und ihre eigene Problemlösung benutzen."

    Damit aber erweist sich auch "Perlensamt" in seiner letzten Schicht nicht so sehr als ein Roman über Raubkunst und Vergangenheitsbewältigung, sondern als Identitätsroman. Wer bin ich, wer spricht – diese Frage grundiert und strukturiert alle Bücher von Barbara Bongartz und sie umreißt auch hier die fast freudianisch anmutende Urszenerie. Beständig wechseln hier alle ihre Identität und agieren in einem Akt mal bewusster, mal unbewusster Camouflage.

    Dieses Moment des Ungreifbaren kennzeichnet den Roman in Gänze. Wie ein Vexierbild kippt er von einer Ebene in die andere, überlagern sich das Historisch-Öffentliche und das Intim-Individuelle. Das macht den Reiz des Buches aus – aber auch seine Irritation. Denn wie heißt es zu Anfang des Romans? Der wahre Familienroman handelt von Wahlverwandtschaften – in "Perlensamt" sind sie in jeder Hinsicht von äußerst prekärer Natur.

    Barbara Bongartz: "Perlensamt". Roman. Weissbooks 2009. 321 S., 19,80 Euro