Donnerstag, 25. April 2024

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Raubkunst-Rückverkäufe nach 1945
"Man hat da nicht groß überprüft"

Hat Bayern Raubkunst, die nach dem Willen der Alliierten nach Kriegsende wieder an ihre ursprünglichen Besitzer gehen sollte, heimlich wieder an die Räuber zurückverkauft? So schreibt es die "Süddeutsche Zeitung". Die Vorwürfe stimmten, sagte der Kunstexperte Willi Korte im DLF. Dies sei aber nicht nur eine bayerische Angelegenheit - auch die Bundesregierung habe nach 1945 solche Verkäufe betrieben.

Willi Korte im Gespräch mit Beatrix Novy | 25.06.2016
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Einige Raubkunstwerke wurden ihren ursprünglichen Besitzern zurückgegeben, andere hingegen nicht. (Fredrik von Erichsen dpa/lhe (zu dpa-lhe 7137)
    Beatrix Novy: Seit den 90er-Jahren ist Raubkunst ein Begriff und die dahinterstehende Geschichte bekannt. In dieser Zeit begannen Museen, in ihren Beständen zu forschen, ist die Datenbank "Lost Art" entstanden, in der Kunstwerke gelistet sind, die einst von den Nazis ihren meist jüdischen Eigentümern entwendet und nie zurückgegeben wurden. Aber die Geschichte hat immer neue Fassetten.
    Eine davon bringt heute die "Süddeutsche Zeitung". Kurz zusammengefasst: Nach dem Krieg hatten die berühmten "Monuments Men" der amerikanischen Armee geraubte Kunstwerke zusammengetragen mit dem Ziel, sie zurückzuerstatten. Bei ihrem Abzug ließen die Amerikaner die Kunstwerke dem bayerischen Staat zurück - zunächst -, zu treuen Händen. Der aber gab vieles den Räubern zu günstigen Preisen zurück, zum Beispiel der Nazi-Witwe Henriette von Schirach. Es gab sogar Netzwerke alter Nazis, zumindest in Bayern, die mit dieser Kunst handelten. Den New Yorker Kunstexperten Willi Korte habe ich zu diesem Thema befragt, zunächst mit der Frage, ob ihm diese Fakten bekannt sind.
    Willi Korte: Nicht jedes Detail. Einige Geschichten kenne ich aus eigener Bearbeitung. Ansonsten würde ich sagen: Das was die "Süddeutsche" schreibt, ist leider zutreffend und richtig und ist aber auch nicht auf Bayern und München beschränkt. Zugleich will ich dazu sagen: Die Sachen, die im Collecting Point übrig geblieben sind, sind zwar zunächst den Münchnern in die Hände gegeben worden. Der Bestand wurde dann allerdings zwischen Bund und Bayern aufgeteilt. Das Verkaufen von Kunstwerken, ohne dass man vorher die Provenienz überprüft hätte, war nicht nur eine bayerische Angelegenheit, sondern das hat auch die Bundesregierung in der Nachkriegszeit betrieben.
    Novy: Wohin gingen denn dann von Bayern aus die Kunstwerke?
    Korte: Na ja. Es handelt sich, wenn man es alles zusammenrechnet - wir haben ja immer noch keine genauen Zahlen -, wahrscheinlich um einige tausend Kunstwerke und die Auswahlpolitik war im Wesentlichen die, dass man sich die Kunstwerke danach beurteilt hat, ob sie für die deutschen Museen oder für deutsche Amtsstuben gut genug sind als Kunstwerke, und was man nicht für interessant und gut genug hielt, hat man über verschiedene Auktionshäuser verkauft und das Geld eingesammelt.
    "Kein besonderes Interesse in den 50er-, 60er-Jahren, die Kunstwerke im Einzelfall aufzuarbeiten"
    Novy: Aber das war doch alles gegen den ausdrücklichen Auftrag der Amerikaner. Wieso ging denn das so durch?
    Korte: Rückblickend ist es der große Fehler der Amerikaner gewesen oder auch der Westalliierten allgemein, dass man nach Beendigung der Besatzungstätigkeit die Einzelfall-Restitution in die Hände der betroffenen Länder gegeben hat. Das ist auch ein Problem, das wir in unseren Nachbarländern haben, aber in Deutschland natürlich besonders unangenehm. Da gab es kein besonderes Interesse in den 50er-, 60er-Jahren, die Kunstwerke im Einzelfall aufzuarbeiten und auch noch die Erben zu finden.
    Es ist ja in diesem Artikel ein Bildchen von Zimmermann angesprochen aus einer jüdischen Sammlung aus Aachen, ein Fall, der mir persönlich sehr gut bekannt ist. Da hat man sich von deutscher Seite bei den Erben in England nach der Provenienz noch des Bildes erkundigt und nachdem die Erben gesagt haben, na ja, das war das Bild unserer Großmutter, die hat das dann verkaufen müssen, bevor sie nach England fliehen konnte, hat man sich artig von deutscher Seite dafür bedankt, für diese Information, hat das Bild dann an den Kunsthandel gegeben und das Geld einkassiert, die 600 D-Mark.
    In der ganzen Korrespondenz kommt niemals der Gedanke irgendwie hoch, dass man dieses Bild vielleicht restituieren sollte.
    Novy: Aber offenbar gab es ein großes Interesse daran, zumindest zu einer bestimmten Zeit und in Bayern, ehemaligen "Nazi-Besitzern", denen, die durch Raub einmal an diese Kunstwerke gelangt waren, denen die zu erstatten beziehungsweise zurückzuverkaufen.
    Korte: Sie können ein ganzes Poesiealbum füllen mit herzergreifenden Briefen von Töchtern und Witwen beziehungsweise Ehefrauen, ehemaligen Ehefrauen von Nazi-Größen, die alle auf die schwierige Situation immer verwiesen, in der sie sich befinden würden, die wirtschaftlich schwierige Situation. Sie müsste ja ihre Kinder durchbringen und man hätte ihnen ja alles weggenommen, und um überhaupt noch mit den Kindern durchzukommen, müsse man doch nun sein Vermögen bitte zurückbekommen, und das ist in der Regel in den 50er-, 60er-Jahren sehr großzügig gehandhabt worden.
    Man hat da nicht groß überprüft, ob die Sachen nun tatsächlich schon vor 33 Familienbesitz waren, und so sind die Angehörigen wieder zu einem Gutteil ihres Vermögens gekommen, was auch nicht im Sinne der Alliierten-Politik in der Nachkriegszeit war.
    "Das Ärgerlichste ist nach wie vor der Zugang zu den Archivalien"
    Novy: Wie sind Sie eigentlich, Herr Korte, zufrieden mit dem heutigen Stand der Restitution durch Museen an ehemalige Eigentümer?
    Korte: Leider ist das, was hier für München beschrieben wird, auch für den Rest des Landes zutreffend. Die Aufarbeitung des Raubkunstthemas ist nicht auf die Jahre _33 bis _45 beschränkt, sondern auf die Jahre wahrscheinlich 33 bis 65, 75 auszuweiten.
    Das Ärgerlichste ist nach wie vor der Zugang zu den Archivalien. In der Regel sind ja in den meisten Museen, vor allem kommunalen Museen die Akten nach wie vor in den Museen anstatt in den Stadtarchiven, und ich finde es bis heute unerträglich, fast 20 Jahre nach der Washingtoner Konferenz, dass immer noch nicht die Akten der Museen vernünftig zugänglich sind in vielen, vielen Fällen.
    Dabei erfordert es ja kein neues Gesetz, sondern man muss einfach nur sagen, passt mal auf, Leute in Museen, gebt mal eure Sachen ans Stadt- oder Staatsarchiv weiter, damit die die Sachen vernünftig aufarbeiten können, damit die Leute hier vernünftig Zugang haben.
    Das klappt immer noch nicht und damit haben Sie natürlich einen Riesenspalt zwischen dem, was die große Politik international gerne vorträgt, was die Bemühungen des Landes angeht, auf der einen Seite und der eher unerfreulichen Realität auf der kommunalen und staatlichen Ebene so wie in München, aber auch in Düsseldorf oder in anderen Städten. Da kann ich Ihnen eine ganze lange Liste nennen.
    Novy: ... sagt der Kunstexperte Willi Korte. Also noch viel Grund zur Unzufriedenheit.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.