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RBB Sommerinterview
Plattform für Rechtsradikale?

Der RBB führt derzeit Sommerinterviews, diese Woche auch mit Andreas Kalbitz von der AfD. Er wird vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft. In ihrer Kolumne hält Marina Weisband ein unkritisches Interview am See für keine gute Idee.

Von Marina Weisband | 08.07.2020
Andreas Kalbitz, ehemaliger AfD-Chef von Brandenburg, nimmt an einer Kundgebung der AfD in Senftenberg teil.
Andreas Kalbitz ist nach der Annulierung seiner Mitgliedschaft trotzdem weiter öffentlich aufgetreten, wie hier auf einer AfD-Kundgebung in Senftenberg (picture alliance/dpa/Oliver Killig)
Der RBB hat dem Brandenburgischen AfD-Landesvorsitzendem Andreas Kalbitz 40 Minuten Sendezeit bei einem lauschigen Sommerinterview eingeräumt. Grund: diese Sommerinterviews wurden mit Vertreter*innen aller Parteien geführt. Warum es eine schlechte Idee ist, einem erwiesenen Rechtsradikalen die Bühne eines menschelnden, entspannten Interviews zu geben, haben andere Autor*innen schon sehr gut beschrieben . Ganz einfach: es normalisiert ihn. Es normalisiert seine Ideen. Und das greift genau die offene Gesellschaft an, der der RBB verpflichtet ist.
Alle Positionen sollen zu Wort kommen
Der Sender allerdings verteidigt sich nun und erklärt, dass er im Sinne der "Meinungsvielfalt sowie der Ausgewogenheit der Angebote" alle Positionen zu Wort kommen lassen müsste. Alle Positionen?
Ich habe da auch eine Debatte. Ich bin der Ansicht, ich sollte nicht erschossen werden. Gestern Abend bekam ich einen Brief von jemandem, der in diesem Punkt eine andere Meinung vertrat. Sollen wir jetzt eine Talkshow machen und ausgewogen beide Positionen beleuchten. Sollte ich ruhig und rational begründen, warum ich nicht erschossen werden sollte?
Klar, der Chefredakteur des RBB sagt erwartbar: "Wir können und wollen den Fraktionschef der größten Oppositionspartei nicht ignorieren". Und das stimmt, der RBB hat bestimmte Pflichten. Aber die sind nicht damit erledigt, so zu tun, als sei das der normale Fraktionschef einer normalen Partei! Zwischen "ignorieren" und "Sommerinterview ohne kritische Rückfragen" liegen Welten! Wenn man die Absicht hätte, notgedrungen gesetzliche Vorgaben zu erfüllen und dennoch gegen Faschismus zu stehen, hätte man ein Format machen können, das genau diese sehr kritische Distanz, das Unnormale betont. Hat man aber nicht.
Fatale Botschaft
Es ist nicht neutral, eine demokratische und eine antidemokratische Sichtweise nebeneinander zu stellen! Das ist kein passives Berichten. Das ist eine aktive Handlung. Sie normalisiert und legitimiert die antidemokratische Haltung. Das ist, was Kalbitz von jedem anderen Interviewgast unterscheidet.
Der "freie Marktplatz der Ideen" ist die idealisierte und naive Vorstellung, dass alles Gesagte ja von den Zuschauern auf seinen Inhalt untersucht werden kann. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Denn es zählt nicht der Inhalt des Gesagten. Etwas zu sagen ist immer auch eine Aktion. Es tut etwas. Zum Beispiel kann ein Kreisvorstand der AfD sagen, "Juden hätten in Deutschland wirtschaftlich und kulturell sehr viel Einfluss und das sei ein großes Problem."
Der Inhalt der Aussage ist das eine. Man kann dem widersprechen, man kann es widerlegen. Man könnte sich für diese Aussage sogar entschuldigen und sie zurücknehmen. Was man aber nicht zurücknehmen kann, ist was sie tut. Was sie tut, ist, das Leben für Menschen wie mich aktiv unsicherer machen. Weil sie allen Menschen mit Judenhass signalisiert: Ihr seid nicht allein. Seid mutiger.
Marina Weisband wurde 1987 in der Ukraine geboren und kam 1994 als Kontingentflüchtling nach Deutschland. Von 2011 bis 2012 war sie politische Geschäftsführerin der Piratenpartei. Die Schwerpunkte der Autorin und Diplompsychologin sind Partizipation und Bildung. In ihrem Buch "Wir nennen es Politik" schildert sie Möglichkeiten neuer politischer Partizipation durch das Internet. Seit 2014 leitet sie bei politik-digital.de das aula-Projekt zur Demokratisierung von Schulen.
Hauptprinzip von Werbung
Wann immer diese Leute ihre Sprüche wiederholen dürfen, gewöhnen sich selbst die kritischsten Ohren daran. Durch den sogenannten "Effekt des bloßen Kontakts" empfinden wir Dinge, die wir oft gehört haben, als positiver. Das ist das Hauptprinzip von Werbung. Jedes Interview, jedes Portrait, jedes Zitat wertet Rechtsradikale auf. Darüber hinaus kann man auch vor ihnen warnen, sie kritisch einordnen, aber das muss sich die Waage halten.
Wann ist dieser journalistische Auftrag das Verbreiten ihrer Positionen wert? Ein unkritisches Sommerinterview ist nicht neutral, sondern ein aktiver Dienst an einer Partei, die, wäre sie an der Macht, als erstes die Öffentlich-Rechtlichen abschaffen würde.
Auch Andreas Kalbitz hat ein Recht auf freie Meinungsäußerung. Er hat aber kein Recht auf bequeme Interviews.