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Reaktion auf "Charlie Hebdo"-Anschlag
Kritische Solidarität aus Moskau

Das Attentat in Paris bot der russischen Führung eine willkommene Gelegenheit, sich angesichts des Terrors mit dem Westen zu solidarisieren. Aber in die Anteilnahme mischen sich auch kritische Töne – sie zielen auf das westliche Verständnis von Pressefreiheit.

Von Gesine Dornblüth | 09.01.2015
    Auch vor der französischen Botschaft in Moskau wird Trauer über das Pariser Attentat bekundet.
    Auch vor der französischen Botschaft in Moskau wird Trauer über das Pariser Attentat bekundet. (AFP / ANDREY MAKHONIN)
    Auch vor der französischen Botschaft in Moskau häufen sich Blumen, Kerzen und die Schilder: "Je suis Charlie" beziehungsweise russisch "My vse Charlie". Gestern Abend versammelten sich einige Dutzend Menschen. Die meisten haben beruflich oder privat mit Frankreich zu tun, so wie die Französischlehrerin Julia.
    "Die Toten standen mir nahe. Ich lese die französische Presse aufmerksam und kannte diese Journalisten. Ich fühle mich persönlich betroffen. Das ist wie im Mittelalter. Es ist nicht nur dumm, sondern geradezu obskur, andere anzugreifen, um deren Meinungsfreiheit einzuschränken."
    Putin kondolierte als einer der ersten
    Heute wollen russische Jugendorganisationen vor der Botschaft ihre Solidarität mit dem französischen Volk ausdrücken. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte als einer der ersten kondoliert. In einem Telefonat mit Frankreichs Präsident Francois Hollande verurteilte er den Anschlag in Paris als "zynisches Verbrechen" und bot Hilfe bei der Terrorbekämpfung an. Konstantin Kosatschow, Senator im Föderationsrat, dem russischen Oberhaus, sagte im Staatsfernsehen:
    "Wir sind bereit, den französischen Sicherheitsbehörden wenn nötig alle Hilfe zu gewährleisten, damit die Umstände geklärt, die Schuldigen bestraft und, was das wichtigste ist, die Wurzeln und die Finanzquellen des Verbrechens aufgedeckt werden."
    Russland nehme besonders Anteil, schrieb Kosatschow in einem Blog, weil es in den letzten Jahren mehr als jedes andere europäische Volk die Sinnlosigkeit und Härte des radikalen Terrors zu spüren bekommen habe.
    Doch zur Anteilnahme mischen sich kritische Töne. Gestern demonstrierte auch eine Handvoll orthodoxer Radikaler vor der französischen Botschaft. Ihr Tenor: Die Redaktion der Satirezeitschrift sei selbst schuld, da sie die Gefühle von Muslimen verletzt habe. Das russische Staatsfernsehen brachte ein Interview mit dem Chefredakteur der Zeitschrift "Nationalnaja Oborona", "Nationale Verteidigung". Igor Korotschenko verurteilte, dass westliche Zeitungen Charlie Hebdos Karikaturen nachdruckten.
    "Journalisten müssen Grenzen kennen. Man darf nicht ungestraft die Heiligtümer der Muslime beleidigen und dies mit Meinungsfreiheit begründen. Das ist keine Meinungsfreiheit. Bei uns in Russland werden die Medien niemals so handeln. Die westlichen Medien provozieren damit weitere Anschläge."
    Kritik an "liberaler Politik"
    In Russland sind noch Neujahrsferien, die meisten Zeitungen erscheinen gar nicht. Zudem verbietet aber ein Gesetz, religiöse Gefühle Gläubiger zu verletzen. Bei Verstößen drohen lange Haftstrafen. Im Fernsehinterview fragte die Moderatorin weiter: "Sind Sie einverstanden, dass Europa den Islamisten mit seiner Toleranz und zu großen Freiheit in die Hände gespielt hat?"
    "Absolut", antwortete Igor Korotschenko. "Die liberale Politik hat dazu geführt, dass in Paris autonome Gettos entstanden sind. Die Islamisierung Europas ist ein drängendes Problem. Marseille ist praktisch eine arabische Stadt, in einigen Vierteln ist es bereits gefährlich, französisch zu sprechen. "
    Aleksej Puschkow, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses in der Staatsduma, hatte bereits wenige Stunden nach dem Anschlag über Twitter verbreitet, die Tragödie in Paris zeige, dass nicht Russland die europäische Sicherheit bedrohe – das sei ein Bluff -, sondern der Terror.