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Reaktionen auf Amoklauf
Von Waffen, Killerspielen und Soldaten

Nach den tödlichen Schüssen von München wird diskutiert, ob und wie solche Bluttaten verhindert werden können. Forderungen gibt es viele: Mehr Überwachung, ein strengeres Waffenrecht, ein Verbot von Computerspielen, Bundeswehreinsätze im Inneren. Allen Beteiligten ist aber klar: Hundertprozentige Sicherheit wird es nicht geben.

Von Ronald Menn | 24.07.2016
    Ein Schild mit der Aufschrift "Warum" liegt nahe des Olympia-Einkaufszentrums in München, wo ein Amokläufer neun Menschen erschossen hat.
    Die Frage nach dem "Warum" stellen sich nach dem Amoklauf von München Bürger und Politiker. (AFP / Christof Stache)
    Schon wenige Stunden nach dem Amoklauf kündigte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer an, für die Verteidigung der Sicherheit müsse "alles" getan werden: "Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit".
    Dieses "alles" wurde am Wochenende mit vielen Fragen und Forderungen ausgestaltet: Muss das Waffengesetz geändert werden? Muss etwas gegen die Verbreitung gewaltverherrlichender Computerspiele tun? Brauchen wir die Bundeswehr im Inneren? Fragen, die auch nach früheren Amokläufen schon diskutiert wurden. Ein Überblick über die (wieder) aktuellen Debatten:
    "Verschärfung des Waffenrechts"
    Vize-Kanzler Sigmar Gabriel forderte, es müsse alles getan werden, um den Zugang zu tödlichen Waffen zu beschränken und streng zu kontrollieren. Eine Diskussion, die es bereits nach dem Amoklauf 2009 in Winnenden gab.
    Herausgekommen sind schärfere Auflagen und mehr Kontrollen - beides bezieht sich natürlich auf legal erworbene Gewehre und Pistolen. Der Vater des Amokläufers von Winnenden war Sportschütze und besaß über ein Dutzend Waffen, die er allerdings im Schlafzimmer aufbewahrte und nicht wie vorgeschrieben in einem Tresor.
    Ein Junge zündet am 24. Juli vor dem Olympia Einkaufszentrum in München eine Kerze für die Opfer des Amoklaufs an.
    Ein Junge zündet am 24. Juli vor dem Olympia Einkaufszentrum in München eine Kerze für die Opfer des Amoklaufs an. (Christof Stache / AFP)
    Dekowaffen
    Der Attentäter von München hatte seine Pistole offenbar illegal im Internet gekauft, die Glock 9 Millimeter hatte ein Prüfzeichen aus der Slowakei. Nach aktuellem Ermittlungsstand (Sonntag, 18 Uhr) handelte es sich um eine Deko-Waffe, die nachträglich wieder reaktiviert, also wieder zu einer scharfen Waffe umgebaut wurde. Solche Dekowaffen sind frei verkäuflich, eine Erlaubnis ist nicht nötig. Der Käufer muss lediglich mindestens 18 Jahre alt sein.
    Erst vor wenigen Wochen hatten sich die EU-Innenminister auf schärfere Vorgaben geeingt. Demnach müssen die EU-Staaten sicherstellen, dass sich Dekowaffen nicht mehr zu einer scharfen Waffe zurückbauen lassen. Zudem soll der Waffenhandel im Internet besser kontrolliert werden. Beschlossen wurde das aber bisher nicht - mehrere Länder lehnen die Änderungen ab. Luxemburg etwa findet die Regelungen nach wie vor zu lasch, Tschechien und Polen finden sie dagegen zu strikt.
    "Verbot von Killerspielen"
    Nach Angaben der Ermittler spielte der Täter intensiv Videospiele wie "Counter-Strike", die als gewaltverherrlichend kritisiert werden. Laut bayerischem Landeskriminalamt "ein Spiel, das bisher nahezu jeder ermittelte Amokläufer gespielt hat." Auch beim Amoklauf am Erfurter Guttenberg-Gymnasium 2002 mit 17 Toten und beim Amoklauf von Winnenden mit 16 Toten 2009 waren die Amokläufer Killerspiel-Fans.
    Bundesinnenminister Thomas de Maiziere deutete an, dass er beim Thema Videospiele Handlungsbedarf sieht. Er fordert eine Debatte über das "unerträgliche Ausmaß gewaltverherrlichender Spiele im Internet" - für den Bundesinnenminister sind ihre Auswirkungen "nicht zu bezweifeln". In der Wissenschaft gilt das allerdings als keineswegs bewiesen.
    "Bundeswehreinsatz im Inneren"
    Wie ernst die Bundesregierung die Lage in München zwischenzeitlich nahm, verriet Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Es sei auch ein Einsatz der Bundeswehr im Inland erwogen worden, sagte sie der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Solange das Ausmaß des Anschlages am Freitag nicht klar gewesen sei, sei eine Feldjäger-Einheit in Bereitschaft versetzt worden. Über einen Einsatz der Soldaten hätte die Polizei entschieden.
    Bundeswehreinsätze bei Terroranschlägen im Inneren sind umstritten. Seit Jahren wird über eine Grundgesetzänderung diskutiert, um solche Einsätze zu erleichtern. Die Union ist dafür, die SPD wehrt sich. Seit Kurzem gibt es einen Kompromiss: das Grundgesetz wird so interpretiert, dass die Bundeswehr bei größeren Anschlägen zum Beispiel zur Evakuierung eingesetzt werden kann.
    Sie sehen Soldaten der Bundeswehr, die einen Einsatz gegen Verdächtige üben.
    Einsatz der Bundeswehr auch im Inneren? Bundeswehrsoldaten simulieren in Bergen eine Festnahme von verdächtigen Personen. (picture-alliance / dpa / Peter Steffen)
    Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) reicht das nicht. Er sagte, die Bundeswehr müsse unter Federführung der Länder in Fällen akuter, extremer Bedrohung auch im Inneren zum Schutz der Bürger eingesetzt werden können. SPD-Generalsekretärin Katarina Barley dagegen warnte: "Wer jetzt im Angesicht der Tragödie nach mehr Überwachung, Abschottung und Militär im Inland ruft, instrumentalisiert die Opfer". Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic ist sich sicher: Die Bundeswehr hätte bei einem Einsatz in München "durch martialisches Auftreten Panik verursacht".
    Auch der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Oliver Malchow, sagte, mit einem Bundeswehr-Einsatz würde der Staat nur zeigen, dass er nicht mehr Herr der Lage sei. Ähnlich äußerte sich im DLF auch Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft.
    "Rolle des Internets"
    Der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka forderte eine bessere Ausstattung der Sicherheitsbehörden für den Kampf gegen illegalen Waffenhandel im Internet. "Wir müssen das Darknet durchleuchten", sagte der SPD-Innenpolitikexperte Burkhard Lischka der "Welt". Im Darknet, einem verborgenen Bereich des Internets, soll sich der Täter von München seine Waffe besorgt haben.
    Unions-Fraktions-Chef Volker Kauder forderte, neu über die Rolle der sozialen Netzwerke nachzudenken. Die Sprache im Netz sei verroht, sagte er der "Welt am Sonntag": "Man hat sich auch fast daran gewöhnt, dass extremistische Propaganda überall im Internet zu finden ist. Darüber müssen wir mehr reden". Für gefährlich hält er es auch, wenn Videos der Tat weiterhin abrufbar bleiben. Das könne zum Nachahmen verleiten.
    "Prävention und Aufklärung"
    Den Ermittlern zufolge hat der Täter von München seinen Amoklauf ein Jahr lang geplant. Unter anderem war er nach Winnenden gereist, um sich dort an den Tatorten über den Amoklauf mit 15 Todesopfern im Jahr 2009 zu informieren und Fotos an den Tatorten zu machen. Kurz nach seiner Winnenden-Reise kam er für zwei Monate in die geschlossene Psychiatrie.
    Blick auf eine Frau, die Blumen ablegt. 
    Eine Besucherin der Gedenkveranstaltung legt am 2014 in Winnenden eine weiße Rose auf das Mahnmal "Gebrochener Ring". (dpa / Sebastian Kahnert)
    Der Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick forderte, mehr für junge Menschen in Krisenlagen zu tun. Diese benötigten mehr Unterstützung für die Integration in die Gesellschaft. Hier sei mehr Sensibilität nötig: "Wir müssen uns der Frage stellen, wie Menschen aufgrund von psychischen Krisen, Sinnsuche oder Gewaltnähe so radikal werden, dass sie sich zu so einer Tat entscheiden."
    Die Kriminologin Britta Bannenberg hält es sogar für möglich, dass sich Amokläufe wie der in München verhindern lassen. Die meisten Amoktäter machten im Vorfeld Andeutungen, sagte sie im DLF. Diese müssten von der Schule, Eltern und Nachbarn ernst genommen werden.
    Nach dem Münchner Amoklauf will das Land Brandenburg die Bevölkerung stärker über solche Taten aufklären. "Wir werden mit unserem Verfassungsschutz verstärkt auch in die Prävention gehen, um Menschen zu erklären, woran man erkennen kann, wenn jemand eine Tat vorbereitet", sagte Innenminister Schröter im rbb. Nach seinen Worten gibt es Hinweise, wenn sich Menschen verändern oder radikalisieren: "Selbst ein sehr zurückgezogener Mensch, der möglicherweise einen Amoklauf plant, kann erkannt werden, wenn man die Signale zu lesen versteht."
    Keine Stigmatisierung
    Die Deutsche Stiftung Depressionshilfe warnte davor, die mögliche Depressionserkrankung des Täters als Ursache für den Amoklauf zu sehen. Der Stiftungs-Vorsitzende Hegerl warnte vor einer Stigmatisierung betroffener Patienten. Es gebe keine Hinweise, dass Menschen mit Depressionen häufiger Gewalttaten begingen als andere, eher sei das Gegenteil der Fall: Betroffene neigten zu übertriebenen Schuldgefühlen und "würden deshalb nie auf den Gedanken kommen, fremde Menschen in einem Amoklauf zu töten".
    Nach bisherigen Erkenntnissen litt der Täter von München unter psychischen Problemen und war deshalb seit Längerem in Behandlung - stationär und ambulant. In der Wohnung wurden ärztliche Behandlungsunterlagen gefunden, die auf Depressionen und auf eine Angststörung hindeuteten, Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch sprach von "sozialen Phobien". Auch Psychopharmaka wurden gefunden. Ob der 18-Jährige diese eingenommen hat, wird noch untersucht.