Dienstag, 19. März 2024

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Reaktionen auf Anschlag
Merkel: "Rassismus ist ein Gift, Hass ist ein Gift"

Führende Politiker reagieren bestürzt auf den Anschlag in Hanau. Sie wählen deutliche Worte, Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer (beide CDU) etwa sprechen vom "Gift" des Rassismus. AfD-Chef Jörg Meuthen nimmt die Taten zum Anlass, vor "politischer Instrumentalisierung" zu warnen.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 20.02.2020
Bundeskanzlerin Merkel hat mit Entsetzen auf die Gewalttat von Hanau reagiert.
Betroffen und alarmiert: Angela Merkel bei ihrem Statement zu den Morden von Hanau (dpa / ap / Markus Schreiber)
Ausgerechnet nach Halle an der Saale hätte die Bundeskanzlerin heute zu einer Veranstaltung fahren wollen - jener Stadt, in der ein Rechtsextremist im Herbst eine Synagoge angegriffen und zwei Menschen ermordet hatte. Nach Halle jetzt Hanau.
Kundgebung der Neonazi-Partei "Die Rechte" für die verurteilte und inhaftierte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck am Jahrestag der Nazi-Reichpogromnacht am 9. November in Bielefeld.
Rassistische Gewalt - Rechte Gewalt als Konstante deutscher Geschichte
Rassistisch oder nationalistisch motivierte Gewalt ist als Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte noch kaum erforscht. Aber auch die Geschichte von Solidarität und Gegenwehr der Opfer ist erst lückenhaft dokumentiert.
Angela Merkel sagte die Reise nach Sachsen-Anhalt am Morgen ab und meldete sich am Mittag in Berlin zu Wort: "Heute ist ein überaus trauriger Tag für unser Land. Der tiefe Schmerz über den gewaltsamen Tod so vieler Mitbürger, den die Menschen in Hanau empfinden, den empfinde ich, und den empfinden Menschen in ganz Deutschland."
Nach Halle jetzt Hanau
Niemand, sagt die Kanzlerin weiter, könne ermessen, welches Leid der Täter über die Familien der Toten und Verletzten gebracht habe. Seit dem frühen Morgen hatte sich Merkel über den Stand der Ermittlungen in Hanau unterrichten lassen und unter anderem Gespräche mit Bundesinnenminister Horst Seehofer, CSU, und Justizministerin Christine Lambrecht, SPD, geführt.
Mehrere Tote bei Schiesserreien in Hanau bei Frankfurt/Main. *** Several deaths in gun battles in Hanau near Frankfurt Main Copyright: xSimonxAdomatx
Extremismusforscher nach Anschlag in Hanau
Extremismusforscher Matthias Quent fordert eine gesellschaftliche Debatte über Rassismus. Das Ziel von Tätern wie dem in Hanau sei es, die Spaltungen innerhalb der Gesellschaft zu vertiefen. Die Botschaftswirkung einer solchen Tat sei erheblich.
"Rassismus ist ein Gift. Der Hass ist ein Gift. Und dieses Gift existiert in unserer Gesellschaft, und es ist schuld an schon viel zu vielen Verbrechen, von den Untaten des NSU, über den Mord an Walter Lübcke bis zu den Morden von Halle."
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier veröffentlichte am Vormittag eine kurze schriftliche Erklärung: Seine tiefe Anteilnahme gelte den betroffenen Familien, die um ihre Toten trauern, erklärt das Staatsoberhaupt. Betroffen, teils verstört, reagiert auch das Bundeskabinett. Am Rande eines Ministertreffens in Paris meldet sich die Bundesverteidigungsministerin und noch CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer zu Wort:
"Aus Mitbürgern Fremde zu machen, das ist ein Gift, das immer stärker in unsere Gesellschaft eindringt. Und es gilt jetzt vor allen Dingen, auch die politische Debatte darüber zu führen, welches Gift es ist, das unsere Gesellschaft zu dem macht, die so etwas hervorbringt, was wir heute Morgen gesehen haben."
Antwort an Rechtsextreme: Nicht Euer Land!
"Es bedarf jetzt einer Antwort des Staates, aber auch einer Antwort unserer Gesellschaft, die genauso kompromisslos und entschlossen ist. Und den Rechtsextremen in Deutschland deutlich macht: Das ist nicht Euer Land, sondern das ist unser Land," erklärte Außenminister Heiko Maas von der SPD in Berlin.
FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae verlangt im Gespräch mit unserem Hauptstadtstudio eine schnelle Aufklärung der Hintergründe:
"Sollte es sich wirklich bestätigen, dass die Tat einen rechtsradikalen und einen rassistischen Hintergrund hat, dann ist das sicherlich ein Thema, das auch den Bundestag beschäftigen muss, seine Gremien, den Innenausschuss und das Parlamentarische Kontrollgremium. Da wird es dann auch notwendig sein, vielleicht nächste Woche zu Sondersitzungen zusammenzutreten."
Zeit für einen Demokratiegipfel
Unterschiedliche Reaktionen sind aus der AfD zu hören: Parteichef Jörg Meuthen twittert am Morgen: "Das ist weder rechter noch linker Terror, das ist die wahnhafte Tat eines Irren." Jede Form politischer Instrumentalisierung sei ein "zynischer Fehlgriff." Fraktionschefin Alice Weidel spricht hingegen bei Twitter von einer "schrecklichen Tat." Ihre Gedanken seien bei den Opfern und ihren Angehörigen.
Gefragt, ob die AfD für die Tat in Hanau eine politische Mitverantwortung trage, sagt die Innenexpertin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, unserem Hauptstadtstudio:
Martina Renner (Die Linke) spricht im Bundestag
Martina Renner - "Rechte Täter sehen sich als Vollstrecker"
Rechtsextreme bezögen sich in ihren Taten auf das, was sie als Realität im Alltag wahrnehmen, sagte die Linken-Politikerin Martina Renner im Dlf. Sie fordert deshalb, rechter Propaganda konsequent zu widersprechen, nicht erst, wenn es zu spät sei.
"Natürlich haben auch politische Debatten etwas damit zu tun. Und ich finde, es wäre an der Zeit für einen Demokratiegipfel in Deutschland. Ich weiß nicht, wie oft die Automobilindustrie zu Gast im Kanzleramt gewesen ist zu sogenannten Automobilgipfeln. Aber hier geht es um die Verteidigung unserer Demokratie."
Dass sie ebenfalls dringenden Handlungsbedarf sieht, daran lässt auch Angela Merkel am Mittag keinen Zweifel:
"Wir unterscheiden Bürger nicht nach Herkunft oder Religion. Wir stellen uns denen, die versuchen in Deutschland zu spalten, mit aller Kraft und Entschlossenheit entgegen."