Freitag, 19. April 2024

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Recherchetheater
Thriller über europäische Steueroasen

Die solide Recherche gehört für Journalistinnen und Journalisten zu ihrem täglich Brot. Nicht immer sind die daraus resultierenden Geschichten aber auch packend aufbereitet. Anders ist das im Recherchetheater, das die Lücke zwischen recherchierter Wahrheit und sinnlicher Erfahrung schließen will.

Von Henning Hübert | 01.04.2019
Das Theaterstück thematisiert Steuerhinterziehung und den Mord an der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia
Das Theaterstück thematisiert Steuerhinterziehung und den Mord an der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia. (Theater Bonn/Thilo Beu)
Der Titel des Theaterstücks spricht sich nicht ganz leicht. Er lautet: "Oh, wie schön ist Panama Malta." Dabei ist Panama durchgestrichen und übrig bleibt: "Oh, wie schön ist Malta." Es geht um verfolgte Journalisten, um unbequeme Reporter, die Finanzbetrügereien aufdecken, Verbrechern oder Regierungen unangenehm werden.

Ausschnitt Theaterstück: "Laut Reporter ohne Grenzen sind in den letzten drei Jahren 200 Journalisten getötet worden. Und 300 weitere aufgrund ihrer Arbeit eingesperrt. Apropos – wie läuft‘s denn in Malta?"
Theaterstück mit Tweets und Blogeinträgen von Daphne Caruana Galizia
Regisseur Simon Solberg hat seinen jüngsten Recherchethriller gespickt mit Tweets und Blogeinträgen von Daphne Caruana Galizia. Die kann man zwar nach wie vor auch online nachlesen. Auf der Bühne, gesprochen von Schauspielern, können sie – wie ihr letzter Blog vor der Ermordung - aber eine stärkere Wirkung entwickeln:

"Es gibt überall Gauner. Wo man hinschaut, die Lage ist ausweglos."
Theater basiert auf Presseberichten
Alles findet sich so auch in Pressearchiven oder auf Wikipedia, ist bereits gut dokumentiert. Für den Theatermacher Simon Solberg waren die Panama-Papers und der Mord an Daphne Caruana Galizia auch nur Ausgangspunkt für seinen Recherchethriller über europäische Steueroasen:
"Dass die Pressefreiheit zunehmend in Gefahr kommt. Das war eigentlich der Hauptpunkt, wie das alles losging. Das Ringen eigentlich darum, dass das einer unserer wichtigsten Werte ist, die wir haben. Dass wir Zugang zu Wissen haben. Dass wir Leute haben, die dahinter gucken können."
Recherchierte Wahrheit und sinnliche Erfahrung in Einklang bringen
So motiviertes Theater, das auf Presseberichten basiert: Wann leistet es sogar mehr an Wahrheitssuche und Informationsvermittlung als der Journalismus? Bonns Generalintendant Bernhard Helmich antwortet: Wenn es seinen eigenen Formen der Vermittlung vertraut, mit denen Identifikation und Wahrheitsfindung geschehen können:
"Bei dieser Art von Theater ist es natürlich immer die ganz große Kunst, das Theatralische, das Sinnliche, das Dramatische, das, was uns sofort packt und bewegt als Zuschauer, mit dem in Einklang zu bringen, was recherchierte Wahrheit ist. Und da dient natürlich dann ganz oft Journalistik auch als Grundlage für das, was im Theaterprojekt zu erleben ist. So war es etwa bei unserem Bonnopoly-Projekt in der vergangenen Spielzeit, das sehr, sehr stark auf ganz ausführlichen Recherchen fußte, die der Generalanzeiger gemacht hat."
Verzicht auf Klarnamen weitet Blick aufs Allgemeine
Die lokale Tageszeitung hatte in ihrer Reihe "Millionenfalle" aufgeklärt: über den Bauskandal des WCCB-Kongresszentrums in Bonn. Über einen Zeitraum von sechs Jahren erschienen 95 meist ganzseitige Artikel mit vielen Namen der Beteiligten des WCCB-Skandals. Regisseur Volker Lösch konnte dieses Material nutzen. Das Theater nannte aber keine Klarnamen. Wie die Oberbürgermeisterin hieß, die windigen Finanzhaien aufgesessen war, das musste sich jeder Theaterbesucher selber denken. Der Verzicht auf Klarnamen kann zum einen juristischen Ärger vermeiden – Verleumdungsvorwürfe, Verletzung der Persönlichkeitsrechte. Zum anderen den Blick aufs Allgemeine weiten, betont die Bonner Dramaturgin Elisa Hempel:
"Nichtsdestotrotz sind das in diesem ganz expliziten Fall ja eigentlich eher Sinnbilder für PolitikerInnen, wie sie überall in allen Kommunen, in allen deutschen Städten auftauchen, also das Thema "Ausverkauf der Städte" – und tatsächlich haben wir das ja nicht nur bei uns in Bonn."
Damit diese Konstruktion aufgeht, legt Recherchetheater gerne seine Quellen offen und verrät dem Zuschauer einiges über seine Arbeitsweise. Beim Stück über den Mord an Daphne Caruana Galizia etwa gleich zum Beginn, wenn eine Investigativ-Kollegin auftritt:
"Naja, machen wir uns nichts vor. Wir wissen das alles. Es gibt keine neuen Beweise. Alle Informationen sind uns auch schon bekannt. Alles hier ist schlicht zusammengetragen. Schlimmer noch: Neben vielem Wahren ist auch einiges erfunden. Also zum Beispiel Orte und Menschen oder Geschehnisse wurden aus dem zeitlichen Kontext gerissen. Oder auch: Existierenden Personen werden Worte in den Mund gelegt, die sie eigentlich nie gesagt haben.
Hilft, in der Presse aufgeworfene Missstände zu erkennen
Es ist eine spannende Liaison: Recherchetheater betont die Notwendigkeit zu Fiktionalisierung und Überformung, es geht mit journalistischem Material auf der Bühne mit seinen Mitteln um – und hilft so dabei, in der Presse aufgeworfene gesellschaftliche Missstände zu erkennen und zugleich Distanz zu diesen Missständen aufzubauen. In diesem Punkt kann ein Theaterabend mehr leisten als fleißige Zeitungs- oder Online-Lektüre, auch wenn beide denselben Skandal zum Thema haben.