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"Rechne eher mit einer Großen Koalition"

Die Grünen hätten Jamaika ausgeschlossen, weil sie nicht einer abgewählten Regierung zur weiteren Arbeit verhelfen wollten und auch eine Tolerierung komme nicht infrage, sagt Reiner Priggen, stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Wahrscheinlich sei daher eher eine Große Koalition.

Reiner Priggen im Gespräch mit Friedbert Meurer | 10.05.2010
    Friedbert Meurer: Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, das Bundesland mit den meisten Einwohnern hat gestern gewählt und um genau zu wissen, wie die Wahl ausgegangen ist, musste man diesmal in der Nacht ziemlich lange auf bleiben, bis zum vorläufigen amtlichen Endergebnis. Und das sieht so aus, dass die Regierungsbildung in Düsseldorf eine ziemlich schwierige Angelegenheit zu werden verspricht.

    In Düsseldorf begrüße ich jetzt einen Vertreter der Partei, die sich als Wahlsiegerin des Abends fühlen kann. Reiner Priggen ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen, Herr Priggen.

    Reiner Priggen: Einen schönen guten Morgen.

    Meurer: Was war Ihrer Meinung nach das Erfolgsrezept für Ihre Partei?

    Priggen: Na gut, eine klare inhaltliche Linie und eine erfolgreiche Strecke über die anderen Wahlen, Europawahl, Kommunalwahl, Bundestagswahl. Das war ja die vierte in Nordrhein-Westfalen. Und auch, was die Wahlaussagen angeht: Priorität, mit der SPD zusammen eine Regierung zu bilden, aber durchaus auch eine Zweitoption, wenn es nicht langt, mit der CDU, weil wir doch auch eine Reihe von kommunalen Bündnissen zwischen Grünen und CDU in Nordrhein-Westfalen haben.

    Meurer: Sie kennen, Herr Priggen, jetzt auch die neuen Zahlen, das vorläufige amtliche Endergebnis. Keine Mehrheit für Rot-Grün, keine Mehrheit für Schwarz-Grün. Was gibt es jetzt?

    Priggen: Ich gehe mal davon aus, dass es möglicherweise eine Große Koalition gibt. Das ist für mich auch das Wahrscheinlichste. Was der Kollege von Infratest eben falsch gesagt hat: Die Grünen haben Jamaika ausgeschlossen, weil wir nicht einer abgewählten Regierung zur weiteren Arbeit verhelfen wollen, und wir haben eine Tolerierung ausgeschlossen. Und die FDP hat ausgeschlossen, mit SPD oder Grünen zusammenzugehen. Das heißt, es gäbe für die Grünen noch die Option Rot-Rot-Grün, aber da gehe ich ganz ehrlich gesagt davon aus, das muss als erstes mal die SPD klären, ob sie das für stabil genug hält, ob sie das überhaupt will. Ich halte das für eine sehr schwierige Konstellation. Insofern kann es sein, dass alles auf eine Große Koalition hinausläuft.

    Meurer: Also Sie warnen davor, es soll keine Tolerierung durch die Linke geben?

    Priggen: Nein. Das kann man aus meiner Sicht nicht machen, weil sie in einem Land wie Nordrhein-Westfalen eine stabile Mehrheit brauchen. Die Zeiten werden ja nicht einfacher, es wird ja schwieriger aus wirtschaftlichen Gründen und da können sie nicht mit einer Landesregierung arbeiten, die keine eigene Mehrheit im Parlament hat.

    Meurer: Die Grünen haben, Sie sagen, Jamaika ausgeschlossen, aber die Grünen hatten nicht Rot-Rot-Grün ausgeschlossen. Das hat Hannelore Kraft auch nicht getan. Sie hat immer gesagt, die sind nicht regierungsfähig und –willig, aber definitiv hat sie es nicht ausgeschlossen. Warum glauben Sie nicht, dass es eine Koalition Rot-Rot-Grün in Düsseldorf geben wird?

    Priggen: Ich bin sehr skeptisch, dass die SPD das machen kann. Frau Kraft muss wissen, ob sie sich mit Hilfe der Linken in Nordrhein-Westfalen zur Ministerpräsidentin wählen lassen will. Das ist ein gewisses Risiko, was sie da eingeht, weil die Partei doch sehr, sehr instabil ist. Das muss sie aber auch selber analysieren. Wir werden das erste Gespräch mit der SPD führen, vermutlich morgen oder übermorgen. Dann werden wir sehen, wie die SPD das im Detail sieht, und werden weiter gucken. Die Regierungsbildung ist, das muss man ganz ehrlich sagen, nach diesem Kopf-an-Kopf-Ergebnis der beiden großen Parteien einfach außerordentlich schwierig.

    Meurer: Würden denn die Grünen darauf hinarbeiten, dass es Rot-Rot-Grün wird? Wollen Sie das aktiv befördern?

    Priggen: Wir haben gesagt, wir schließen die Option nicht aus; insofern werden die Gespräche geführt werden, dem werden wir uns nicht verweigern. Aber man wird es dann inhaltlich gucken müssen. Ich sage Ihnen, die Grünen werden nicht irgendeine Zerlegung des Gymnasiums in Nordrhein-Westfalen mitmachen. Wir werden nicht 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich mitmachen. Und der ganze Verstaatlichungsunfug, den die Kolleginnen und Kollegen von der Linken bisher vertreten haben, der hilft ja auch niemandem weiter. Insofern muss man gucken, was dann substanziell da bleibt. Ich bin da sehr skeptisch und rechne eher mit einer Großen Koalition.

    Meurer: Wäre der Preis einer Großen Koalition, Herr Priggen, aus Sicht der Grünen, dass das Kohlekraftwerk in Datteln, in das schon eine Milliarde Euro gesteckt worden sind, dann doch gebaut wird, weiter gebaut wird, weil die beiden großen Parteien es ja wollen?

    Priggen: Passen Sie auf: Das Kraftwerk in Datteln ist vorm Oberverwaltungsgericht in Münster und vorm Bundesverwaltungsgericht gescheitert und es wird letztendlich nicht Politik einer Landesregierung sein, die ein Kraftwerk abreißt. Insofern ist das ein schwieriger Komplex. Es geht ja nicht nur um das eine, es geht um die grundsätzliche weitere Entwicklung der Energiepolitik, und da wissen wir, dass das mit beiden großen Parteien nicht einfach ist. Das muss man im Detail sehen, wenn es überhaupt dazu kommt. Aber Landesregierungen reißen keine Kraftwerke ab, sie bauen auch keine Kraftwerke. Das wird anders entschieden.

    Meurer: Aber sie können gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen, mit deren Hilfe dann so ein Projekt doch weitermachen kann?

    Priggen: Ich sage mal so: Die Landesregierung macht normalerweise Gesetze, an die sich alle zu halten haben, und das, was hier CDU und FDP gemacht haben, nachdem ein Kraftwerk vor den höchsten Gerichten gescheitert ist, nicht vor der Politik, Gesetze so passend ändern, dass eine Baustelle gängig ist, das tut man normalerweise nicht. Das ist auch nicht korrekt, was da gelaufen ist. Insofern ist es natürlich richtig, dass eine Landesregierung, eine neue, eine andere, an der Stelle Parameter anders setzen kann und eigentlich auch muss. Aber trotzdem bleibt es so: Kraftwerke werden nicht von Regierungen abgerissen, das ist nicht unsere Aufgabe.

    Meurer: Schließen Sie die Möglichkeit einer schwarz-grünen Regierung eigentlich jetzt komplett aus? Vor der Wahl hatten Sie das ja als eine mögliche Option gesehen, Herr Priggen.

    Priggen: Na ja, gut. Ich kann die Grundrechenarten. Schwarz-Grün hat 90 Sitze und sie brauchen mindestens 91. Wo soll da eine Mehrheit herkommen? Insofern können wir glaube ich ganz nüchtern davon ausgehen, dass das in Nordrhein-Westfalen jetzt keine Regierung gibt.

    Meurer: Sie haben jetzt eine Nacht über die neuen Zahlen geschlafen. Ist das jetzt eine ziemliche Enttäuschung für die Grünen geworden? Sie werden dann wohl weiter in der Opposition sein.

    Priggen: Es bleibt natürlich, dass wir ein sehr, sehr gutes Wahlergebnis geholt haben, das beste, was jemals in Nordrhein-Westfalen war, und ich bin jetzt seit fast 20 Jahren in der Landespolitik. Das ist schon sensationell. Aber das hören Sie richtig: Es ist ein gewisser Wermutstropfen, weil es wirklich nicht einfach ist, jetzt eine Regierung zu bilden, sondern weil das alles nach einer Großen Koalition riecht.

    Meurer: Reiner Priggen, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im nordrhein-westfälischen Landtag, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Herr Priggen, schönen Dank nach Düsseldorf und auf Wiederhören.

    Priggen: Danke auch und tschüß!