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Rechnen am Genom

Bioinformatik. - Ohne Hochleistungsrechner geht in der Genetik schon lange nichts mehr. Kein Forscher kann Milliarden genetische Buchstaben noch selbst studieren, geschweige denn, die Erbsubstanz verschiedener Arten vergleichen. Computerprogramme werden aber auch immer wichtiger, wenn es darum geht, die vielen, vielen Informationen zu sinnvollen Theorien zu verknüpfen. Systembiologie nennt sich dieses Feld, das letztlich versucht, eine perfekte Kopie der lebenden Zellen im Computer zu rekonstruieren.

Von Volkart Wildermuth | 23.05.2010
    Sechster Stock in einem Plattenbau der Humboldt Universität in Berlin. Vom Fenster aus kann man fast den Dinosaurier im Naturkundemuseum sehen. Doch den hat Edda Klipp schon lange nicht mehr besucht. Das Geheimnis des Lebens ergründet die Profession für theoretische Biophysik nicht in alten Fossilien, sondern im Computer. In den Rechnern ihrer Arbeitsgruppe teilen sich virtuelle Hefezellen, arbeiten die Gene von Avatar-Bakterien, werden Krebszellen aus purer Mathematik behandelt. Nur in solchen Computermodellen lässt sich das Zusammenspiel der vielen Komponenten einer Zelle verstehen, davon ist Edda Klipp überzeugt. Und wenn Craig Venter mehr will, als nur die Natur im Labor zu kopieren, wenn er tatsächlich eine neue nützliche Biologie erfinden will - dann tut er gut daran, sich diese Modelle genau anzusehen.

    "Also die Gene zusammenzustellen, das ist mittlerweile ein Rezept, was quasi in den Laboren gängig ist. Aber wenn er verstehen will, was sozusagen die Kombination der unterschiedlichen Gene in diesem Netzwerk der Zelle bewirkt dann würde ihm ein Computermodell sicherlich sehr helfen, dort zielgenauer zu sein."

    Die alte These, ein Gen, ein Protein, eine Eigenschaft ist längst passe. In den Netzwerken der lebenden Zelle hat jedes Gen viele Wirkungen, hat jede Fähigkeit viele Wurzeln. Die Biologen können unzählige einzelne Beziehungen experimentell nachweisen. Wie sie zusammenwirken, lässt sich nur an virtuellen Zellen verstehen. Und die zu programmieren fordert Informatiker und Mathematiker gleichermaßen heraus. Klipp:

    "Die Entdeckungen in der Biologie treiben auch die Informatik und sicherlich auch manchen Bereiche der Mathematik oder der physikalischen Beschreibung weiter. Dass man quasi sich neue Methoden ausdenkt, wie man mit solch großen Datenmengen umgeht, wie man auch mit Unsicherheiten umgeht, die man in der Biologie hat."

    Entscheidend ist der enge Kontakt zwischen den theoretischen und den praktischen Biologen, den Experimenten im Nährmedium und den Versuchen in Silizium. Edda Klipp und ihre Mitarbeiter arbeiten eng mit Hefeforschern in Göteborg zusammen. In Besuchen und täglichen Gesprächen per Skype werden die Modelle mit den frischesten biologischen Daten gefüttert, lernen die Experimentatoren, wie sie neue Versuche aufbauen müssen. Inzwischen arbeitet Edda Klipp sogar selbst mit echten Hefezellen, um genau die Messwerte zu bekommen, die für die Weiterentwicklung der virtuellen Zellen entscheidend sind. Die elektronische Hefe soll Fragen der Grundlagenforschung klären. An der Humboldt Universität geht es aber auch um ganz praktische Fragen . In den Computern wurde das Signalsystem der menschlichen Schmerzwahrnehmung nachgebildet. Daran wird die Wirkung von virtuellem Aspirin mit einer elektronischen Versionen einer traditionellen chinesischen Medizin verglichen.

    "Die Idee kam ein bisschen durch eine Kontakt zu einer Chinesin, die quasi festgestellt hat, dass in dieser chinesischen Medizin Wirkstoffe sind, die auf dieses Stoffwechselnetzwerk einwirken."

    Während Aspirin sozusagen einen Hauptschalter umlegt, zupfen die verschiedenen Komponenten des chinesischen Mittels an mehreren Punkten des Schmerzsignalnetzwerkes. Klipp:

    "Das kann man sich ein bisschen wie im Straßenverkehr vorstellen. Wenn man quasi eine einzige Straße blockiert, dann hat man vielleicht irgendwo einen Stau, aber wenn man alle Straßen ein bisschen verschmälert, hat man auch weniger Verkehr ohne das man wirklich einen Stau auslöst."

    Solche subtilen Beeinflussungen rational zu planen, das ist ein wichtiges Ziel der Systembiologie. Virtuelle Zellen werden inzwischen auch von der Pharmaindustrie verwendet. Mit ihnen lässt sich zum Beispiel verstehen, wie verschiedene Krebsmedikamente zusammenwirken und warum sie bei dem einen Patienten besser wirken, als bei dem im Bett neben an. Die Systembiologie hat schon große Fortschritte gemacht, erlaubt erste praktische Anwendungen. Besonders weit gediehen sind Modelle des Stoffwechsels, der Zellteilung oder der Stressreaktion, so Edda Klipp.

    "Aber das betrachtet jeweils doch einen gewissen Ausschnitt aus dem Leben der Zelle. Dass wir jetzt sozusagen die Zelle im Computer hätten und alles mit ihr machen könnten, da fehlt noch ein ganzes Stück."

    Da hat Craig Venter mit seinen Experimenten mit lebenden Zellen dann doch die Nase noch ein bisschen vorn.