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Rechnen mit den Fingern und viel Geduld

"Zwei mal drei macht vier, widdewiddewitt, und drei macht Neune." Pippi Langstrumpf macht sich die Welt, wie's ihr gefällt. Doch in der Grundschule geht das nicht. Kinder mit einer Rechenschwäche verzweifeln dort an den einfachsten Aufgaben - und finden selten richtige Hilfe.

Von Doris Arp | 06.02.2010
    " Hallo Til. Hallo. Na, hast Du Deine Mappe mit. Okay. Was hattest du auf."

    "Ich heiße Til. Ich bin acht Jahre alt. Ich bin in der zweiten Klasse. Am liebsten mache ich Sport und Englisch - und Mathe nicht so gern."

    "Wo mir das aufgefallen ist: Er hat dann nicht verstanden, dass vier plus drei sieben sind; und dass drei plus vier dann auch sieben sind. Das hat er nie verstanden. Dann auch mit dem Fingerzählen, die hat er lange benutzt."

    "Dann wurde es ein bisschen blöder. Manchmal spielen wir Eckenrechnen. Dann sagt unsere Lehrerin immer so Rechenaufgaben und wer die zuerst hat, darf immer eine Ecke weiter gehen. Wenn ich mit Fingern rechne, kann ich ja nicht so schnell rechnen."

    Die meisten Kinder zählen schon vor der Einschulung Bonbons und Freunde ab, zählen die Teller auf dem Tisch, die Leute, die mitessen, und wie viele Teller noch fehlen. Und dabei darf es auch in der Schule zunächst bleiben.

    Kinder mit einer Rechenschwäche lösen sich aber auch im zweiten Schuljahr nicht von ihren Fingern. Sie haben kein Verhältnis zu Mengen, Größen, Zahlenwerten, erklärt der Dyskalkulietherapeut Ulf Grebe.

    "Grundlegend gleich ist bei allen Kindern mit Rechenschwäche, dass sie einen Entwicklungsrückstand im Denken über Mathematik haben. Was viele Kinder schon entwickelt haben, wenn sie eingeschult werden, fehlt diesen Kindern oft noch im zweiten Schuljahr."

    "Also Plus fand ich immer ganz einfach, weil wir da so Würfel hatten, wo wir das mit machen konnten. Und dann sollten wir uns immer zehn Würfel holen. Dann musste man, wenn sie drei gesagt hat, drei Würfel da hinlegen. Das hat Spaß gemacht."

    Marie hat den Zahlenraum bis 20 noch mit den Fingern und irgendwie zählend hingekriegt.

    "Aufgefallen ist uns das schon relativ früh im Verlauf des ersten Schuljahres, dass wir gar nicht verstehen, wie unsere Tochter rechnet, und dass sie zufallsmäßig mal zum richtigen Ergebnis gekommen ist und mal nicht, dass sie es heute verstanden hatte und morgen war das Ergebnis einfach wieder verschwunden. Und sie konnte auch wirklich nie erklären, wie sie zu dem Ergebnis kommt."

    Die Mathematiklehrerin meint, das wachse sich aus.

    "Nach den Herbstferien ging es mit dem 100er-Raum weiter und für uns alle brach eine Welt zusammen, weil das Kind sich überhaupt nicht mehr orientieren konnte. Es konnte nicht mehr vorwärts, nicht mehr rückwärts rechnen, verstand nicht, welcher Zehner wohin gehört, welche Zehner untereinander saßen und zusammengehörten. Auf unsere Nachfrage in der Schule hörten wir wieder nur, abwarten, das ist alles im normalen Rahmen."

    Maries Eltern fanden es nicht normal. Hausaufgaben in Rechnen wurden zum regelrechten Kampf.

    "Hausaufgaben liefen immer so ab, dass wir ganz viel motivieren mussten, dass wir ganz viel versucht haben, in Ruhe zu arbeiten, was natürlich unglaublich viel Zeit erfordert hat und was auch nicht immer ohne Streit und Tränen und Ärger abging."

    Die Kinder erleben dabei oft Frust und Verzweiflung. Marie brauchte viel Zeit, um wieder Selbstvertrauen zu gewinnen. Til hatte da mehr Glück. Seine ältere Schwester hat das gleiche Problem; seine Eltern waren bei ihm wachsam und vorsichtig.

    "Für ihn ist das so in Ordnung. Bei meiner Tochter war das so. Ich durfte überhaupt keinem erzählen, dass sie die Therapie macht. Die hat sich da immer sehr für geschämt, bis zum Schluss eigentlich. In Mathe hatte sie wirklich ein sehr mangelndes Selbstwertgefühl. Wo sie dann auch gesagt hat, keiner ist so dumm wie ich. Also das war schon wirklich ziemlich schlimm."

    Til macht das Mitdenken in der Therapie sichtlich Spaß. Er bekam frühzeitig Hilfe und hat keine besonderen Ängste entwickelt.

    "Wir kommen unheimlich gut voran. Wenn ein Kind so früh kommt, dann ist die Prognose, dass er den Anschluss an die Klasse noch in der Grundschulzeit schafft, groß."