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Rechnungen von Sozialämtern und Jobcentern
Flüchtlingsbürgen sollen zahlen

Personen, die für Flüchtlinge gebürgt haben, erleben teilweise eine böse Überraschung: Sozialämter und Jobcenter wollen rückwirkend die Lebenshaltungskosten von Flüchtlingen erstattet bekommen. In Bonn haben sich Betroffene zusammengeschlossen - es geht offenbar um Forderungen von bis zu 100.000 Euro.

Von Moritz Küpper | 10.07.2018
    Freiwillige Helfer der Gruppe "Refugees Welcome" haben am 24.09.2015 in Flensburg (Schleswig-Holstein) eine kleine Spielbox für Flüchtlingskinder aufgebaut.
    "Der Schock meines Lebens": Viele Flüchtlingsbürgen sind schockiert, dass die Ämter rückwirkend die Lebensunterhaltungskosten von Flüchtlingen erstattet bekommen wollen (Carsten Rehder / picture alliance / dpa)
    Das Forum der evangelischen Lukaskirche im Bonner Norden, gestern Abend. Auf den Tischen stehen Trauben, Cracker, Kekse. Rund 40 Personen, eher älter, sind gekommen. "Vernetzungstreffen Verpflichtungserklärung", so hieß es, etwas bürokratisch-abstrakt, in der Einladung - doch der Anlass ist konkret.
    "Viele von uns haben ja Verpflichtungserklärungen abgegeben, zu einem Zeitpunkt, als die politische Landschaft noch ein wenig anders war, als sie heute sich darstellt. Das Wort Willkommenskultur wird heute nur noch wenig verwendet."
    Viele ungeklärte Fragen
    Der Moderator des Abends leitet ein - und die Sorgen im Raum sind geradezu spürbar. Denn: Hier, an der Lukaskirche, geht es um viel Geld - und die Menschen, die heute gekommen sind, haben einst, vor allem in Jahren 2014, 2015 gebürgt. Für die Einreise von Flüchtlingen nach Deutschland. Fast alle hier haben offizielle Schreiben vom Amt dabei, sei es vom Jobcenter oder anderen Einrichtungen. Denn: Diese fordern nun Geld zurück. Wie von der etwa Mitte 40-jährigen Frau, die ihren Namen nicht im Radio hören will. Auch sie hat für sieben Personen gebürgt, Familie, Eltern, Geschwister. Und ging - wie alle hier im Raum - davon aus, dass diese Bürgschaft mit der Änderung des Flüchtlingsstatus erlischt:
    "Und dann kam die Überraschung: Ich habe jetzt vor ein paar Monaten die erste Rechnung in Höhe von 32.000 Euro ungefähr bekommen. Nur für eine Person."
    Sie schaut immer noch etwas ratlos.
    "Das war für mich wie ein Schock meines Lebens."
    Es geht um Menschen, die damals, im Zuge des großen Flüchtlingszuzugs von 2015 legal nach Deutschland gekommen sind - vor allem aus Syrien. Außer in Bayern hatte es dafür in allen Bundesländern Aufnahmeprogramme gegeben - und in Bonn kamen laut Stadt so rund 450 Personen an. Damals, berichtet Christoph Nicolai, 70 Jahre alt, pensionierte Pfarrer und Kopf der Flüchtlingshilfe Syrien der Bonner Johannes-Kirchengemeinde, war die Stimmungslage eine andere.
    "Selbst das NRW-Innenministerium hat am 24. April 2015 einen Erlass herausgegeben, in dem es heißt, dass mit Erteilung des Asyls, die Verpflichtungsgeber aus der Haftung sind. Dass das aber noch nicht ganz endgültig sei und er noch mit Herrn de Maizière, damals Bundesinnenminister, das klären müsse."
    Eine Gesetzesänderung als Ursache der Querele
    Stattdessen gibt es nun Rechnungen - vom Sozialamt und auch vom Jobcenter.
    "Ich kenn welche mit 14.000, mit 30.000, ich habe von einem gehört, der 100.000 Euro zahlen sollen."
    Die Ursache für die nun aufkommende Unsicherheit liegt an einer Gesetzesänderung aus dem Jahr 2016: Die Große Koalition verschärfte damals die Regeln für den Zuzug nach Deutschland: "Eine Verpflichtungserklärung erlischt nicht durch eine Änderung des Aufenthaltsstatus", heißt es seitdem in Paragrafen 68 des Aufenthaltsgesetzes. Verpflichtungen, die vor dem 6. August 2016 eingegangen wurden, enden nach drei, die anderen nach fünf Jahren. Im Januar 2017 wurde dies zudem vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt.
    "Die Weichenstellung, die das Bundesverwaltungsgericht in seinem letzten grundsätzlichen Entscheidungen gestellt hat, ist eher so, dass, wie es hier geheißen hat, der Wind den Bürgen ins Gesicht weht", stellt auch Lothar Mahlberg fest. Der Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei vertritt knapp 20 Fälle, die sich um das Thema Flüchtlingsbürgen drehen. An diesem Abend ist er ein gefragter Gesprächspartner. Natürlich sei klar, dass Bürgen auch damit rechnen müssten, zur Kasse gebeten zu werden.
    "Nur haben die sich eben in dem Gefühl gewähnt, dass sie haften, als Bürge, um den Betreffenden die Einreise ins Land zu ermöglichen. Dass sie in dem Moment nicht mehr für den Lebensunterhalt der Betreffenden einstehen müssen, in dem die Betreffenden als Flüchtlinge anerkannt sind und eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis erhalten haben."
    "Ich hoffe, dass alles gut geht"
    Für Rechtsanwalt Mahlberg steht fest, dass die ersten Bescheide erst der Anfang sein werden. Auch deswegen, so Helfer Christoph Nicolai, sei dieser Abend wichtig.
    "Erstens um denen sagen: Ihr seid nicht alleine."
    Man wolle eine Gruppe bilden, "um noch mal auch gegenüber der Politik deutlich zu machen, dass es nötig ist, eine bundeseinheitliche Regelung zur Entlastung der Verpflichtungsgeber zu finden."
    Zwar gebe es zahlreiche Versuche, auf kommunaler, Landes- und auch Bundes-Ebene tätig zu werden, aber: "Wir wurden immer dahingehend vertröstet, dass gesagt wurde: Wartet ab. Die Innenministerkonferenz im Juni. Im Juni wissen wir aber alle, gab es andere Probleme. Das Thema stand auf der Tagesordnung, es ist aber kein Beschluss gefasst worden."
    Was nun beispielsweise für Ibrahim Hamo zum Problem wird. Auch der aus Syrien stammende Kleinunternehmer und fünffache Vater ist an diesem Abend gekommen. Exakt 35.934 Euro soll er zahlen, für seinen Bruder und dessen vierköpfige Familie, die im Jahr 2014 mit dem NRW-Flüchtlingsprogramm legal nach Deutschland kamen. Ein Betrag, über den Hamo nicht verfügt. Er habe damals alles so gemacht, wie es ihm vom Amt gesagt worden sei, so Hamo. Hätte er gewusst, dass er so viel zahlen soll, hätte er gar nicht unterschreiben können. Dennoch bleibt er zuversichtlich: "Ich hoffe, dass alles gut geht."
    Und das gilt auch für die übrigen Flüchtlingsbürgen, an diesem Abend im Forum der evangelischen Lukaskirche in Bonn.