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Rechte Ausschreitungen in Chemnitz
"Ausdruck eines tief sitzenden Rassismus"

Wie konnte es zu den großen rechtsextremen Demos in Chemnitz kommen? Steven Seiffert vom Kulturbüro Sachsen sagte im Dlf, neonazistischen Akteuren sei es in dem Bundesland lange möglich gewesen, "weitestgehend unwidersprochen" zu agieren. Das habe zu einer Normalisierung des Rechtsextremismus geführt.

Steven Seiffert im Gespräch mit Ute Meyer | 28.08.2018
    Chemnitz: Demonstranten der rechten Szene zünden Pyrotechnik und schwenken Deutschlandfahnen.
    Chemnitz: Demonstranten der rechten Szene zünden Pyrotechnik und schwenken Deutschlandfahnen. (dpa-Bildfunk / Jan Woitas)
    Die Demonstrationen in Chemnitz seien Ausdruck eines tief sitzenden Rassismus, sagte Seiffert. Er verglich das Setting mit den Geschehnissen Anfang der 90er-Jahre, etwa in Rostock-Lichtenhagen. Auch dort hätten "normale Bürger" neben Neonazis gestanden. In den vergangenen Jahren habe sich die Lage wegen der Diskussionen über Flüchtlinge verstärkt.
    Seiffert hält auch die Haltung der Politik zum Rechtsextremismus im Land für problematisch. Nur, weil die Landesregierung zivilgesellschaftliche Akteure wie etwa das Kulturbüro finanziell unterstütze, bedeute das noch lange nicht, dass es eine ausreichende Problematisierung von neonazistischen Strömungen durch die Politik gebe. In Sachsen berufe man sich zudem zu stark auf die sogenannte Extremismustheorie, kritisierte Seiffert. Jeder, der sich gegen rechts engagiere, werde als linksextrem bezeichnet und so kriminalisiert.

    Das Interview in voller Länge:
    Ute Meyer: Seit dem Wochenende herrscht in der sächsischen Stadt Chemnitz Ausnahmezustand. Gestern und vorgestern zogen Demonstrationen durch die Stadt, angeleitet von rechten Gruppen, die aufgerufen haben, sich gegen zunehmende Gewalt von Ausländern zu wehren. Am Sonntag kam es hetzjagdartigen Szenen, als gewaltbereite Rechte Menschen mit ausländischem Aussehen angreifen wollten. Das belegen Videoaufnahmen.
    Anlass der Proteste war der Tod eines 35-Jährigen Mannes, der am Rande des Chemnitzer Stadtfestes erstochen worden war. Wie sich gestern herausstellte, sind die Tatverdächtigen ein Syrer und ein Iraker. Gestern Abend dann eskalierte noch einmal die Gewalt, als eine Gruppe von mehreren tausend Teilnehmern, angeführt von der rechtspopulistischen Bewegung Pro Chemnitz durch die Stadtmitte zog. Und eine Gegendemonstration von etwa 1.000 Teilnehmern vor Ort war, die von linken Gruppen initiiert war.
    Über die Vorgänge in Chemnitz möchte ich sprechen mit Steven Seiffert vom Kulturbüro Sachsen, einer Einrichtung, die sich für ein demokratisches, weltoffenes Sachsen einsetzt. Und dort ist er im Regionalbüro vor Ort in Chemnitz.
    Sie als Chemnitzer, der für den gesellschaftlichen Frieden und Zusammenhalt der Stadt eintritt – wie fühlen Sie sich angesichts der jüngsten Ereignisse in Ihrer Stadt?
    Steven Seiffert: Das ist nicht ganz so leicht zu beantworten. Es sind doch durchaus viele Gefühle, die sich da regen. Allem voran bin ich auf jeden Fall besorgt, und teilweise mischt sich auch so eine gewisse Angst mit rein, da die Stimmung ja zum Teil völlig enthemmt gewesen ist jetzt über das Wochenende und auch gestern und sich da die Gewalt mittlerweile ja gegen alle richtet, die nicht innerhalb dieses rechten Weltbilds Platz haben.
    Meyer: Das heißt, Sie haben auch konkret Angst um Ihre eigene Sicherheit?
    Seiffert: Im konkreten Arbeitskontext nicht unbedingt - (Anmerkung der Redaktion: Satzteil unverständlich) jetzt ganz aktuell mit Fernsehanfragen oder so was auseinandersetze, da würde ich tendenziell davon absehen.
    Meyer: Weil Sie befürchten müssten, von gewaltbereiten Rechten daraufhin angegriffen zu werden?
    Seiffert: Als in Chemnitz arbeitende Person, die auch in Chemnitz wohnt und auch in dem Themenfeld unterwegs ist, überlegt man sich dann durchaus, ob es günstig ist, wenn das Bild zusammen mit dem Namen einfach so verfügbar ist.
    Meyer: Herr Seifert, woher kommt diese Wut in Chemnitz?
    Seiffert: Es handelt sich um einen unheimlich schlimmen Fall. Wir haben es mit einem Verbrechen zu tun, da muss sich die Polizei darum kümmern, das aufzuklären, und das steht so fest. Aber dass das wiederum in eine solche Eskalation mündet, ist auf jeden Fall Ausdruck auch eines tiefsitzenden Rassismus, der unbearbeitet geblieben ist über Jahre und sich jetzt in den letzten Jahren auch sehr stark normalisiert hat und noch mehr irgendwie festgesetzt hat letztendlich. Und die Erklärungsansätze und vor allem auch die Tendenz, dann einfach das auf alle migrantischen Leute in Chemnitz oder generell alle Migrantinnen zu übertragen, ist einerseits vollkommen absurd, andererseits jetzt nicht überraschend, dass das so stattfindet.
    Ähnliches Setting wie in den 90ern
    Meyer: Es wird immer wieder gesagt, dass gerade im Bundesland Sachsen sich verstärkt fremdenfeindliche Angriffe häufen, dass Neonazis, Rechtsextreme dort Hochburgen haben. Sie sagen selbst, es gibt einen weitverbreiteten Rassismus. Warum ausgerechnet Sachsen?
    Seiffert: Das ist auch wieder eine sehr komplexe Gemengelage. Einerseits haben wir tatsächlich die Situation, dass in Sachsen sicherlich vieles unaufgearbeitet geblieben ist, was die sogenannte Wende mit sich gebracht hat. Gleichzeitig würde ich dabei die Leute nicht aus der Verantwortung nehmen, über den Tellerrand hinauszuschauen. Und die Situation ist durchaus schon so, dass es in Sachsen sehr lange neonazistischen Akteuren und Akteurinnen möglich gewesen ist, weitestgehend unwidersprochen zu agieren und dadurch sich natürlich auch zu normalisieren und ihre Inhalte zu normalisieren. Und da gehört Rassismus natürlich mit dazu. Und in dem Moment, wo das als so normal wahrgenommen wird, wird jeder Widerspruch dagegen als Angriff auf die eigene Identität wahrgenommen. Und schon kommen wir relativ schnell an den Punkt, wo es dann auch eher zu Eskalationen kommen kann.
    Meyer: Ist das vielleicht auch eine Erklärung dafür, dass ganz durchschnittlich aussehende Bürgerinnen und Bürger aus Chemnitz sich anschließen an Demonstrationen, wo vorneweg Neonazis und Extremisten laufen?
    Seiffert: Also das ist auf jeden Fall ein Prozess gewesen. Gleichzeitig kann man natürlich schon auch da eine gewisse Kontinuität wahrnehmen. In den Neunzigern war das tendenziell nicht anders. Da haben auch Neonazis neben den sogenannten normalen Bürgerinnen und Bürgern gestanden und von denen Applaus bekommen, als sie Molotow-Cocktails geworfen haben. Ein ähnliches Setting haben wir jetzt, und das hat sich ja aber auch entwickelt, jetzt noch mal neu entwickelt, seit es verstärkt die Proteste gegen die Unterbringung von Asylsuchenden gab, die ja auch in Sachsen tatsächlich sehr stark verbreitet gewesen sind und wo einerseits eben wieder die Inhalte Verbreitung fanden und auf eine sehr große Zustimmung gestoßen sind.
    Und die Personen dahinter, die das sehr häufig angemeldet haben - ich sage nicht, dass es immer Nazis gewesen sind, aber es waren häufig auch Nazis, die die Kundgebungen angemeldet haben und die sich dann als die besorgten Bürgerinnen und Bürger suggeriert haben und wo es bereits damals anfing, dass es nicht mehr ausreicht, auf die Urheberschaft hinzuweisen und zu sagen, Leute, ihr lauft da gerade bei Nazis mit, sondern es sich schon da herauskristallisiert hat, dass man es scheinbar über Jahre versäumt hat, hinreichend für die Inhalte zu sensibilisieren, und wenn überhaupt, dann nur darauf gepocht hat, hier, das sind Rechtsextremisten, mit denen wollen wir nichts zu tun haben, ohne dabei eine Sensibilisierung für den ideologischen Hintergrund zu schaffen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.