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"Rechte der Frauen in Afghanistan sehr, sehr schlecht"

Frauen in Afghanistan haben laut Verfassung zwar Rechte, diese würden aber nicht umgesetzt, sagt Laila Noor, Vorsitzende der Vereinigung unabhängiger afghanischer Frauen. Sie baut Schulen und hofft, dass mit mehr Bildung der Respekt vor Frauen wächst.

Laila Noor im Gespräch mit Jürgen Liminski | 07.08.2013
    Jürgen Liminski: Nach der Liste des Global Peace Index 2013 ist Afghanistan das unfriedlichste Land der Welt. Erst dahinter rangieren Somalia, Syrien, Irak und der Sudan. Der Index misst sowohl den internen wie den externen Frieden, und wie immer, wenn in Krisengebieten Gewalt zur Tagesordnung gehört, leiden die Schwächsten am meisten. Das sind in Afghanistan vor allem die Mädchen und Frauen. Ihr Los zu verbessern, hat sich Laila Noor, eine Mode-Designerin und Vorsitzende der Vereinigung unabhängiger afghanischer Frauen, auf die Fahne geschrieben. Sie ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Frau Noor!

    Laila Noor: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Frau Noor, Sie pendeln sozusagen zwischen Deutschland und Afghanistan. Wenn hierzulande von Frauen in Afghanistan die Rede ist, dann geht es um Zwangsheiraten, Schläge, Selbstmorde aus Verzweiflung. Ist das ein Zerrbild? Haben Frauen in Afghanistan keine Rechte?

    Noor: Die Frauen haben laut Verfassung schon Rechte, aber leider werden die Rechte natürlich nicht umgesetzt. Wie Sie auch wissen: in allen unterentwickelten Ländern sind die Frauen leider sehr unterdrückt. Aber in Afghanistan haben die Frauen immer in der Geschichte Afghanistans eine sehr große und wichtige Rolle gespielt. Die Frauen haben die meisten Opfer gebracht. Nach der Taliban-Zeit, muss ich sagen, hat sich auch das Bild von 2001 bis jetzt etwas geändert. Wir sehen auch Frauen im Parlament, wir sehen Frauen auch im Kabinett oder in vielen anderen Positionen. Ein Glück, dass die Frauen wieder aktiv sind. Auch im Medienbereich arbeiten sie. Es ist natürlich ein großes Problem, weil viele Väter oder Familien mit ihren Töchter Zwangsheirat machen, wahrscheinlich auch wegen finanzieller Probleme, denn sie wissen, die Armut wächst in Afghanistan, dann haben sie drei, vier Töchter, und dann verkaufen oder zwangsverheiraten sie sie, und deswegen natürlich nehmen die Mädchen sich das Leben. Es sind nach wie vor der Rechte der Frauen in Afghanistan sehr, sehr schlecht. Laut Verfassung haben sie Rechte, aber es wird leider nicht umgesetzt.

    Liminski: Sie sind Mode-Designerin, Frau Noor. Wenn Sie in Afghanistan auf die Straße gehen, tragen Sie dann eine Burka?

    Noor: Nein. Ich habe nie eine Burka getragen, vor der russischen Invasion nicht, auch jetzt nicht, wenn ich nach Afghanistan fliege. Ich bewege mich natürlich sehr viel, um die Schulen zu besuchen. Ich bin auch auf der Straße. Aber ich zeige mich natürlich bedeckt und habe immer ein großes Tuch auf meinem Kopf. Aber sonst bin ich ganz normal bekleidet. Ich möchte Ihnen ganz kurz dazu sagen, der Schleierzwang wurde 1959 aufgehoben in Afghanistan, und es ist auch nicht ein Zwang, dass jeder eine Burka tragen muss. Es hat dann auch wieder familiäre Hintergründe. Einige tragen die Burka wahrscheinlich aus Angst, dass die Taliban zurückkommen, aber sie sehen auch sehr viele Frauen, die ohne Burka herumlaufen.

    Liminski: Die Befürchtung steht im Raum, dass nach dem Abzug der ISAF-Truppen die wenigen Rechte, die die Frauen haben, noch dezimiert oder ganz zurückgenommen werden. Befürchten Sie das auch?

    Noor: Ja natürlich befürchte ich es sehr, weil niemand weiß, wie es weitergeht, nicht einmal die internationale Welt. Aber ich habe auch große Hoffnung, Hoffnung in diese Frauen, nicht nur die Frauen, auch Männer, Kinder, alle Menschen, die seit 34 Jahren diesen schrecklichen Krieg erleben mussten, und ich glaube, ich hoffe einfach, dass sie nicht jetzt wieder ein kleines Licht oder den Fortschritt, den sie erlebt haben, oder etwas Demokratie, dass die das wieder aufgeben wollen. Und wir leben auch in einer anderen Zeit. Wir leben in der Zeit des Internets, von Facebook. Ich habe natürlich große Ängste, aber auf der anderen Seite habe ich auch Hoffnung.

    Liminski: Wie kann man die Lage der Frauen in Afghanistan ändern, wenn es per Gesetz nicht so richtig funktioniert?

    Noor: Ich denke, immer durch Bildung, nicht nur die Rolle der Frauen, sondern auch allgemein. Wir müssen in erster Linie erst mal den Männern eine Bildung verschaffen, damit sie auch wissen, dass sie Respekt vor ihren Frauen, vor ihren Töchtern oder Schwestern haben müssen, denn das kann man, ich denke, nur durch Bildung machen, weil nur durch Bildung kann man die Menschen informieren, damit sie auch, wenn sie dann anfangen zu wissen, dass auch in der Religion stets Frauen eine sehr große Rolle gespielt haben und spielen sie nach wie vor. Wenn die Männer natürlich die Bildung dazubekommen, dann werden sie auch anders mit ihren Frauen umgehen.

    Liminski: Sie haben selbst Schulen gegründet, auch für Mädchen. Was machen die Mädchen, wenn sie ihre Schullaufbahn beendet haben?

    Noor: Wir haben angefangen vor zehn Jahren mit einer Schule, die für 500 Kinder war, und inzwischen haben wir fünf Schulen und über 12.000 Kinder. Wir haben natürlich ein großes Problem in Afghanistan, auch Berufe zu bekommen, weil da sind leider sehr viele Versäumnisse gemacht worden und es gibt wenig für die Mädchen oder für die Jungs, die fertig sind, an Ausbildungen. Aber trotzdem, wenn die Abitur gemacht haben, einige von denen, die nicht weiter studieren, unterrichten wieder in den Schulen. So erlebe ich es bei uns. Viele suchen natürlich auch Arbeit, aber sie sind auf jeden Fall glücklich, dass sie überhaupt in die Schule gegangen sind und dass sie ihr Abitur gemacht haben.

    Liminski: Schulen kosten Geld. Wie finanzieren sich diese Schulen?

    Noor: Unsere Schulen – wir sind die Independent Afghan Women Association, IAWA, wir sind ein eingetragener Verein. Ich fliege immer nach Afghanistan und suche vor Ort Schulen, die schon existieren. Aber die Kinder sitzen bei minus 10, 15 Grad Kälte oder bei plus 40 Grad Hitze, oft im Freien, sie haben keine Räume, sie haben keinen Tisch, sie haben keinen Stuhl. Die laufenden Kosten übernimmt die Regierung. Wir finanzieren die ganzen Gebäude, wir bauen die Schulen mit allem, und das wird durch die Freunde, die Sponsoren finanziert. Die letzten zwei Jahre hat uns auch das BMZ unterstützt, nachdem sie gesehen haben, nachdem Frau Marieluise Beck in Afghanistan war und hat sich die Schulen vor Ort angeschaut. Jetzt bekommen wir seit zwei Jahren vom BMZ auch Unterstützung.

    Liminski: Bildung als Schlüssel zur Verbesserung der Lage der Frauen in Afghanistan – das war Laila Noor, Vorsitzende der Vereinigung unabhängiger afghanischer Frauen. Besten Dank für das Gespräch, Frau Noor.

    Noor: Danke schön!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.