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Rechtsextreme bedrohen Journalisten

Für ungarische Journalisten steigt das Risiko, über Rechtsextreme zu berichten oder sich auch nur kritisch über sie zu äußern. Einige Medienvertreter wurde bereits Opfer extremistischer Gewalt, andere werden zumindest massiv bedroht. Keno Verseck berichtet.

30.01.2008
    Im Studio des Budapester Klubradio: Es ist 19.30 Uhr, der bekannte linksliberale Journalist Jozsef Orosz ist mit seiner politischen Talkshow "Kontra" auf Sendung, zwischendurch laufen Kurz- und Verkehrsnachrichten. Wer zu Orosz will, muss einige Hürden nehmen: Ausweiskontrolle, Eintrag in eine Besucherliste, schließlich der Gang durch eine Panzerglasschleuse. Aus gutem Grund: Der Sender und vor allem der 46-jährige Orosz werden ständig von Rechtsextremisten bedroht.

    "Während der gewalttätigen rechten Demonstrationen im Herbst 2006 wurde mir auf dem Platz vor dem Parlament eine Laterne zugewiesen, an der ich hängen sollte. Seitdem bekomme ich regelmäßig Drohbriefe, Drohanrufe und Droh-E-Mails. Auf der rechtsextremen Internetseite kuruc.info hieß es, zuerst solle man die Juden in die Donau werfen, danach, ich zitiere, den 'homosexuellen genetischen Abfall'. Mehrmals und zuletzt vor einigen Wochen, wurde darüber abgestimmt, in welche Kategorie ich gehöre."

    Dreimal in den letzten anderthalb Jahren lebte Orosz jeweils wochenlang unter dem Schutz von Leibwächtern. Bisher passierte ihm nichts, er hatte Glück - anders als sein Freund und Kollege Sandor Csintalan.

    12. Dezember 2007, Nachrichten im Budapester Fernsehsender HirTV: Sandor Csintalan, ein ehemaliger Spitzenpolitiker der regierenden Sozialistischen Partei und inzwischen Moderator einer Polit-Talkshow bei HirTV, ist am Abend zuvor in der Tiefgarage seines Wohnblocks von vier Unbekannten krankenhausreif geschlagen worden. Zu der Tat bekannte sich eine ominöse rechtsextreme Organisation namens "Pfeile der Ungarn".

    "Von der Garagentür her kamen vier schwarz gekleidete Gestalten mit Eisenstangen auf mich zugerannt, ich bekam einen schweren Schlag auf den Kopf und fiel hin. Dann schrieen sie, ich sei ein 'Judenknecht', und ich solle mich besser vorsehen. Ich fing an, um mein Leben zu flehen. Ich sagte, bringt mich nicht um, ich habe Kinder und gerade eine Herzoperation gehabt, ihr könnt mich leichter töten, als ihr denkt."

    Der 53-jährige Csintalan lag nach der Tat eine Woche im Krankenhaus und steht inzwischen rund um die Uhr unter Polizeischutz. Der Anschlag auf ihn ist nur einer der schlimmsten der letzten Jahre, längst nicht der einzige. Dabei wird das Risiko, über Rechtsextreme zu berichten oder sich auch nur kritisch über sie zu äußern, immer größer. Auf Dutzenden rechtsextremen ungarischen Internetseiten finden sich Namen, Fotos, Adressen und Telefonnummern von Journalisten, begleitet zumeist von Texten im "Stürmer"-Stil. Manche Journalisten müssen inzwischen ständig Übergriffe erdulden - zum Beispiel Attila Hidvegi, Reporter von MTI, der größten ungarischen Nachrichtenagentur. Der 34-Jährige ist bei MTI für den Bereich Rechtsextremismus zuständig.

    "Es war letztes Jahr am 15. März, dem Nationalfeiertag. Die Rechtsextremen demonstrierten, bauten Barrikaden und bewarfen die Polizei mit Steinen. Irgendwann griffen sie dann auch uns Journalisten an. Mich bearbeiteten sie minutenlang mit Fäusten und Fußtritten. Ich werde auch schon mal bei anderen Kundgebungen getreten und beschimpft. Einmal zum Beispiel wurde ich mit einer Fahnenstange gestoßen, und es hieß, MTI sei eine jüdisch-kommunistische Presseagentur."

    Lakonisch, im Stil einer neutralen Nachricht, erzählt Attila Hidvegi von den Übergriffen. Er hat keine Strafanzeigen erstattet, er hat keine Angst, er will kein Opfer sein.

    "Mein Leben hat sich nicht wirklich verändert. MTI hat mir angeboten, mich zu versetzen, aber ich habe meine Chefs gebeten, mich weiter in dem Bereich zu lassen. Ich möchte nicht, dass mein Leben eine Flucht wird. Wenn ein Journalist sich einschüchtern lässt und aus Furcht seinen Beruf ändert, dann ist das eine Einschränkung der Pressefreiheit, und dann haben die Rechtsextremen ihr Ziel erreicht."