Dienstag, 19. März 2024

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Rechtsextreme Chatgruppen
"Wir fordern den unabhängigen Polizeibeauftragten"

Neben einem unabhängigen Polizeibeauftragten forderte der Polizeiwissenschaftler Rafael Behr Untersuchungen, die Polizeibeamte nicht steuern dürften. "Es ist höchste Zeit, dass man hier den Deckel aufmacht und tatsächlich Transparenz walten lässt", sagte Behr im Dlf.

Rafael Behr im Gespräch mit Philipp May | 17.09.2020
Eine Polizeistreife in der Kölner Altstadt
Es gibt eine offizielle Polizeikultur und eine inoffizielle Polizistenkultur, sagte Polizeiwissenschaftler Rafael Behr im Dlf (imago/ C. Hardt/Future Image)
Hakenkreuze, Hitler-Bildchen, Fotomontagen von Flüchtlingen in Gaskammern – solche Inhalte sollen Polizisten in mehreren WhatsApp-Gruppen getauscht haben. Nur durch Zufall waren sie aufgeflogen. 29 Beamte in Nordrhein-Westfahlen stehen unter Verdacht, sie sind vom Dienst suspendiert.
"Wir müssen diese Strukturen beleuchten"
Rafael Behr, Professor für Polizeiwissenschaften an der Akademie der Polizei in Hamburg, forderte im Deutschlandfunk, die Phalanx der Abwehr gegenüber tiefgreifenden Veränderungen bei der Polizei zu überwinden. Mittlerweile könne auch der Konservativste nicht mehr sagen, dass es sich nur um Einzelfälle handele. Es brauche einen unabhängigen Polizeibeauftragten ebenso wie unabhängige Untersuchungen, bei denen Polizeibeamte nicht bestimmen dürften, was geforscht werden dürfe und was nicht.
Beamte eines Sondereinsatzkommado der Polizei 
Viele Einzelfälle machen eine Struktur
Wann immer Polizistinnen und Polizisten bislang auffällig geworden sind, wurde dies als Einzelfall abgetan. Dass NRW-Innenminister Reul nun Bereitschaft zeigt, strukturelle Probleme zu erkennen, sei eine Chance, meint Ann-Kathrin Büüsker.
Das Interview im Wortlaut:
Philipp May: Haben wir strukturellen Rassismus bei der Polizei?
Rafael Behr: Ich glaube, auf dem Wort "Struktur" liegt ein großes Tabu. Ich vermute, dass die Polizeibehörden und Vertreter und Gewerkschaftsvertreter mit dem Wort "Struktur" etwas Totalitäres verbinden und meiden es, solange wie es geht. Mittlerweile wird aber klar, dass es keine Einzelfälle mehr sind. Das sehen selbst Minister ein. Und natürlich handeln Polizeibeamte individuell, aber sie handeln immer umgeben von Hierarchien, von Kulturen, von Gruppen und Gesetzen, von Vorschriften, die manchmal nicht funktionieren, und das sind eben Strukturen.
Und ja, wir müssen diese Strukturen auch beleuchten, und zwar ohne den Vorbehalt, dass eine Struktur bedeutet, dass 275.000 Polizisten und Polizistinnen in Deutschland rechtsextrem sind. Das ist Quatsch und das sagt auch eigentlich keiner, aber diese Rede vom Generalverdacht oder von der Vorverurteilung ist immer ganz schnell bei denen, die für die gute Polizei stehen, als Gralshüter der guten Polizei, und diese Zeit ist einfach vorbei.
Jörg Radek
Radek, Gewerkschaft der Polizei: "Polizei muss besser sein als das Spiegelbild der Gesellschaft"
Jörg Radek von der Gewerkschaft der Polizei hält externe Beschwerdestellen oder Studien für den falschen Weg. Man müsse jetzt die Mehrheit der "Verfassungspatrioten" in der Polizei stärken, sagte er im Dlf.
May: Wir haben es ja gerade im Beitrag gehört. Das hat mich regelrecht schockiert. 15 bis 20 Prozent Beamte, hat der Kriminologe in Bochum gesagt, die mit verfestigten rechten Einstellungen zu tun haben. Würden Sie das teilen? Ist tatsächlich die Ziffer so hoch?
Behr: Ich weiß jetzt nicht genau, auf welche Untersuchungen Herr Singelnstein rekurriert. (Anmerkung d. Red.: Prof. Dr. Singelnstein, Kriminologe an der Ruhr-Universität Bochum) Ich kann das, wie man so schön diplomatisch sagt, weder bestätigen noch verneinen. Ich selbst habe solche Untersuchungen nicht gemacht. Ich würde aber vorsichtig sein mit der Zahl, denn die Zahlen alleine sagen nichts über die Konsequenzen, die das hat. Wenn jemand beispielsweise rechtsextremistische Haltungen hat, ist das noch nicht identisch mit diskriminierenden Handlungen, und wir müssen uns schon genau das Feld anschauen. Insofern würde ich tatsächlich Herrn Fiedler auch noch mal unterstützen in dieser Ansicht und in dieser Haltung. Wir müssen Licht anmachen im Handlungsfeld Polizei. Nicht jeder, der quasi Hitler-Bilder oder andere Devotionalien aus dem Dritten Reich in Chat-Gruppen teilt, ist gleich ein verfestigter Rechtsextremer. Das würde ich so nicht sagen. Aber die Tendenz, dass es autoritaristische Haltungen gibt in der Polizei, dass es rigide Denkmuster gibt, dass es dichotome Weltbilder gibt, die ist schon schlimm genug und das muss dringend aufgeklärt werden.
Tendenz zu wertkonservativer Haltung in der Polizei
May: Wieso ist das denn überhaupt so? Wieso gibt es denn diese Tendenz? Welche Erklärung haben Sie dafür?
Behr: Es gibt einen Flickenteppich von Erklärungen, ebenso wie es viele Mosaiksteine der Aufklärung oder der Veränderungen gibt. Das ist nicht mit einer Lösung gemeint. Ein Element, das wir immer wieder betonen, das wir immer wieder feststellen, ist, dass tatsächlich die Bewerberinnen und Bewerber für Polizei ein wertkonservatives Muster aufzeigen. Die sind ordnungsorientiert, die sind strukturorientiert, bejahen den Nationalstaat, bejahen Hierarchien. Das ist eine Disposition erst mal, das ist noch keine rechtsextreme Haltung. Wenn das aber tatsächlich in der Ausbildung möglicherweise noch befeuert wird oder dann vor allen Dingen in der Praxis befeuert wird, wenn Leute in Brennpunkt-Wachen kommen, wo sie tatsächlich frustrierende Erfahrungen machen, und das wird nicht begleitet, dann können sich solche Dispositionen verfestigen auch zu Einstellungsmustern. Ich bin aber dagegen zu sagen, es ist nur die Arbeitsüberlastung, die zum Rechtsextremismus führt. Wir haben auch andere Berufe, die in extremen Situationen arbeiten, wo das auch nicht so ist. So ganz einfach ist es nicht.
"Immer wieder wurde diese Mär des Einzelfalls bemüht"
May: Dennoch: Sie haben ja diese Erklärungsmuster genannt, wieso es möglicherweise Anfälligkeiten bei der Polizei gibt. Wieso ist dann überhaupt noch Dunkelheit angesagt? Sie haben gerade gesagt, wir müssen das Licht anmachen. Wie kann das sein?
Behr: Weil tatsächlich ein Verbund von Berufsvertretungen und konservativen Politikern, Innenministern, Ministerpräsidenten immer wieder diese Mär des Einzelfalls bemüht haben und immer wieder die Kritik an der Polizei sofort abgewehrt haben mit "ist zu pauschal", "ist generelles Misstrauen", "ist Polizeifeindlichkeit", "ist Generalverdacht". Das war eine Phalanx von Abwehr, weil man, glaube ich, nicht zulassen wollte, dass man hinter die Kulissen schaut. Mittlerweile ist eine Situation entstanden, in der auch der Konservativste nicht mehr sagen kann, es sind wenige Einzelfälle. Natürlich ist man nicht unbedingt organisiert. Es gibt keine Parallelgesellschaft in der Polizei. Soweit würde ich gar nicht gehen. Aber diese Fälle passieren alle in einem Klima und wenn ich höre, dass eine ganze Dienstgruppe mit Vorgesetzten sich über Jahre von der offiziellen Polizeikultur entfernt hat, dann ist das doch ein Hinweis auf fehlende Strukturen der Aufklärung, und da müssen wir ansetzen, auch wenn es schmerzt. Das Misstrauen gegenüber der Polizei ist größer, wenn alle nur sagen, es sind Einzelfälle, mischt euch nicht ein, und das Vertrauen in die Polizei wächst – das sieht man auch in anderen Ländern -, wenn die Polizei sich authentisch bemüht, hier wirklich etwas an sich zu verändern.
Es gebe offizielle Polizeikultur und inoffizielle Polizistenkultur
May: Sie haben gerade die fehlende Aufklärung benannt. Jetzt ist auch dieses Netzwerk, über das wir gerade sprechen, nur durch einen absoluten Zufall entdeckt worden. Sie haben gesagt, es ist eine ganz große Gruppe. Normalerweise, wenn es so eine große Gruppe ist, dann muss das ja irgendwie auffallen. Trotzdem ein reiner Zufall. Woran liegt das?
Behr: Es gibt diese offizielle Polizeikultur, die Organisation, die nach außen hin auch so auftritt, wie wir das kennen, und es gibt eine inoffizielle Polizistenkultur. Das sind zwei Welten. Das ist eine Kultur der Straße, die Weisheit der Straße, nenne ich das, aber die haben oftmals nicht viel miteinander zu tun und sie können sich schon über längere Zeit auch in unabhängigen Foren bewegen, ohne dass das auffällt, denn in der Polizistenkultur herrscht zum Beispiel dieses eherne Gesetz des sogenannten Code of Silence, der Mauer des Schweigens. Und wenn jemand da ausbricht, ist er für die Kollegenschaft suspekt und wird ausgestoßen, und das machen nicht viele Kollegen. Das ist ein ehernes Gesetz, keine Kollegen zu verraten. Deswegen können solche Dinge da gedeihen, genau wie Gewaltmäßigkeit in einem solchen Klima des Schweigekartells gedeihen kann. Deswegen fordern wir ja auch den unabhängigen Polizeibeauftragten. Wir fordern Whistleblowing-Systeme, anonyme Hinweisgeber-Systeme, wo diejenigen, die zuschauen - von den Kollegen in dieser Wache haben ja auch einige lediglich mitgemacht; das sind ja keine Täter in dem Sinne, dass sie selbst die Dinge befeuert haben. Aber die müssen wir stärken und ermuntern und ermutigen, ihre Stimme zu zeigen, den Mund aufzumachen, wenn sie so was sehen. Das geschieht nicht und das ist ein Gesetz der Polizistenkultur.
Unabhängiger Polizeibeauftragter brauche ein robustes Mandat
May: Das klingt gut. Herbert Reul, der Nordrhein-Westfälische Innenminister, will ja auch genau so einen unabhängigen Polizeibeauftragten in Nordrhein-Westfalen jetzt installieren. Aber was kann der dann konkret tun?
Behr: Er kann zumindest mal eine Perspektive wechseln und Probleme, die entstehen, und Konflikte nicht nur als juristische Konflikte betrachten. Was jetzt passiert im Moment strafrechtlich ist das Abklopfen der Handlungen der Menschen auf Tatbestände des Strafrechts hin. Ein unabhängiger Beauftragter könnte eine andere Perspektive entwickeln. Er könnte das als soziales Problem sehen zum Beispiel, als ein Problem der Hierarchien, möglicherweise als Führungsthema thematisieren, und könnte nicht nur in Dimensionen des Strafrechts denken. Voraussetzung ist allerdings, dass er ein robustes Mandat hat, dass er wirklich unabhängig ist im Sinne von außerhalb der Hierarchien der Polizei und nicht weisungsgebunden.
Unabhängige Untersuchungen der Polizei seien nötig
May: Aber die Polizei kann sich selbst nicht mehr helfen in diesem Fall?
Behr: Das hat man bisher immer versucht und alle Untersuchungen der Polizei, die ich kenne, werden gesteuert von Polizeibeamten, die nicht mehr selbst untersuchen, aber die immer bestimmen, was geforscht werden darf und was nicht. Auch da, gebe ich Herrn Fiedler recht, ist ein großes Misstrauen gegenüber externer Expertise, und ich glaube, dieser "closed shop" Polizei ist Vergangenheit. (Anm. d. Red. closed shop ist der englische Begriff für ein Unternehmen, das nur Gewerkschaftsmitglieder einstellt) Es ist höchste Zeit, dass man hier den Deckel aufmacht und tatsächlich Transparenz walten lässt, denn ansonsten wächst das Misstrauen, glaube ich, in so einer eigenen Innenwelt Polizei, die ihre eigenen Regeln macht.
"Sorge, dass die Ansicht von der guten Polizei erschüttert wird"
May: Dennoch sperrt sich der Bundesinnenminister, Horst Seehofer, immer noch gegen eine unabhängige Studie, um dieses Problem mal tatsächlich genau zu kategorisieren. Wie erklären Sie sich das?
Behr: Es gibt tatsächlich konservative Kräfte in der Polizei und Seehofer steht da bestimmt nicht alleine. Es gibt eine Menge von Interessen, die verhindern wollen, dass man sich strukturell oder fundamental auch bewegen muss. Die Polizei ist nach meiner Erfahrung eine Organisation, die nach dem Grundsatz vorgeht, wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Man will wohl das eine oder andere abstellen und auch verändern und modernisieren, aber nicht grundsätzlich und so, dass man sich wirklich verändern muss. Möglicherweise wird Herr Seehofer auch von Menschen beraten, die zu große Gefahren darin sehen, tatsächlich mal an die Stellen zu gehen, die möglicherweise auch weh tun. Es war ja die Rede von der Studie über Racial Profiling. Das wäre bestimmt nicht das einzige, was aus so einer Studie herausgekommen wäre, und davor haben, glaube ich, einige Leute wirklich Sorge, dass ihre Ansicht von der guten Polizei erschüttert wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.