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Rechtsextreme
Es brennt in Sachsen-Anhalt

Dass Rechtsextreme das gesellschaftliche Leben für ihre Zwecke nutzen, ist nicht neu. Beispielsweise die Feuerwehr, wie in Sachsen-Anhalt. Die Politik reagiert nur langsam. Dabei droht sie selbst unterwandert zu werden.

Von Christoph Richter | 10.04.2014
    Einsatzkräfte der Feuerwehr beraten sich.
    Einsatzkräfte der Feuerwehr beraten sich. (dpa/Jens Wolf)
    Jerchel ist ein kleines altmärkisches Dorf in den Elbniederungen im Norden Sachsen-Anhalts. Eine Gegend, in der Rechtsextreme recht unverhohlen mit markigen Sprüchen auftreten. Auch die Feuerwehr bleibt davon nicht verschont. Deren Wehrleiter heißt Enrico Mertynink. Ein knapp 40-jähriger Mann, kurze Haare, Ohrring. Ein Mann mit rechtsextremen Ansichten. Erst im Februar hat er auf seiner Facebookseite ein Bild gepostet, auf dem man einen Wehrmachtspanzer mit deutschen Soldaten sieht. Das Bild trug die unpassende Unterzeile: Endlich wieder Winterspiele mit deutscher Beteiligung. Als Verweis auf die Olympischen Spiele in Sotschi.
    "Da wird einem angst und bange...", sagt Ortsbürgermeisterin Elke Behrens. Sie kennt Mertynink seit Kindesbeinen. "Es ist beunruhigend. Auch weil er kandidiert für den Ortschaftsrat, wir haben am 25. Mai Ortschaftsratswahlen."
    In der Öffentlichkeit zeigt sich Feuerwehrmann Mertynink gern mit einem Basecap von Thor Steinar, einer bei Neonazis beliebten Kleidermarke, deren Tragen im Bundestag oder anderen öffentlichen Gebäuden verboten ist. Auf der Heckscheibe seines Autos klebt der Spruch "Todesstrafe für Kinderschänder", womit Mertynink seine Nähe zur NPD dokumentiert.
    Auf Facebook veröffentlicht Mertynink - Chef einer 60-köpfigen Feuerwehrmannschaft - ausländerfeindliche Witze oder islamfeindliche Statements. So ist beispielsweise zu lesen: "Hey Moslems wenn euch unsere Meinungsfreiheit nicht gefällt, nutzt doch eure Reisefreiheit." Ortsbürgermeisterin Elke Behrens nennt ihn "großkotzig".
    "Und er denkt, er ist wer, die anderen sind klein. Eine schwierige Sache."
    Auf der Stirn der gerade mal 1,60 Meter großen Frau bilden sich Sorgenfalten. Doch ihr seien die Hände gebunden, sagt Behrens noch. Erstens seien die Äußerungen im Internet privat, zweitens habe man schlicht keinen, der den Job an der Spitze der Feuerwehr machen will. Zu einem Gespräch mit Journalisten ist Enrico Mertynink nicht bereit.
    Anderer Ort, gleiche Situation
    Ortswechsel. Im altmärkischen Salzwedel - einer verträumten Hansestadt an der Landesgrenze zu Niedersachsen - ist das NPD-Mitglied Marco Preuß in der Feuerwehr aktiv. Kurze Haare, Sonnenbrille, schwarze Klamotten. Mit diesem Outfit posiert er vor einem NPD-Logo auf seinem - mittlerweile gelöschten - Facebook-Profil. Auf Neonazi-Demos war er in den letzten Jahren öfter als Ordner tätig.
    "Man kann nicht in die Menschen reinschauen. Wenn er seinen Beruf liebt, alles in Ordnung. Alles andere ist unwichtig", sagen die Menschen vor Ort.
    Preuss sei ein engagierter Kamerad, erklärt Wehrleiter Wolfgang Nieswandt am Telefon. An Preuss' Verfassungstreue zweifelt er nicht. Ähnlich sieht es Sabine Dannicke, die parteilose Oberbürgermeisterin von Salzwedel. Eine forsche Mitfünfzigerin und Dienstherrin der Feuerwehr.
    "Natürlich kann ich die Aufregung verstehen. Aber die Satzung für die Aufnahme in der Freiwilligen Feuerwehr besagt ja, dass jede Person Mitglied werden kann, die den Anforderungen des Einsatzdienstes gewachsen ist."
    Dass Personen mit rechtsextremer Gesinnung oder NPD-Parteibuch nicht aufgenommen werden dürfen, stehe nicht in der Feuerwehrsatzung, ergänzt sie.
    Sachsen-Anhalts Politik wacht langsam auf
    Das Innenministeriums zählt derzeit rund 130 aktive rechtsextremistische Szene-Angehörige in der Altmark. Zu einem Interview war der Innenminister jedoch nicht bereit, während der Landesfeuerwehrverband Sachsen-Anhalt hellhörig geworden ist. Das Bild der Feuerwehr als verlässlicher Partner für die Sicherheit der Menschen stehe auf dem Spiel, sagt der Vorstandsvorsitzende Lothar Lindecke.
    "Man sollte vorher schon ein bisschen recherchieren, wenn man jemand für den Feuerwehrdienst verpflichtet und auch das Umfeld ein bisschen beleuchten, dass uns sowas nicht passiert."
    Auch die Politik ist aufmerksam geworden. Jürgen Barth, der Salzwedeler SPD-Landtagsabgeordnete, will die Satzung ändern, um künftig auszuschließen, dass die Feuerwehren von Rechtsextremen unterwandert werden.
    "Ich denke, das Problem geht nur dahingehend zu lösen, wenn man die Satzung ändert. Und das heißt: Dass man da einen Passus aufnimmt, wo eben drin steht, dass nur die Mitglieder einer Feuerwehr werden, die für ein weltoffenes Sachsen-Anhalt eintreten und sich zum anderen an das Grundgesetz halten. Das müsste auch jeder unterschreiben. Ich denke, dann könnte man solche Dinge, wie sie in Salzwedel passieren, auch ausschließen."
    Thüringen hat schon längst reagiert
    Kein neuer Vorschlag, das zeigt ein Blick über die Landesgrenze. Denn in Thüringen haben die Feuerwehrverbände eine sogenannte Toleranzerklärung in die Satzung mitaufgenommen. Mit der verpflichten sich die Mitglieder, für Vielfalt und Weltoffenheit einzutreten.
    Das Vorgehen Thüringens ist bundesweit einzigartig, während in Sachsen-Anhalt die Verantwortlichen die Augen verschließen, schimpft der Magdeburger Rechtsextremismus-Experte David Begrich. Die Politik erkenne einfach nicht, dass es die Strategie der Neonazis ist, das gesellschaftliche Leben für ihre Zwecke zu nutzen. Begrich fordert:
    "Es muss zu einer inhaltlichen Profilschärfung der genannten Strukturen; Feuerwehren, Sport, Kirchen kommen. In dem die Aktiven noch mal sehr klar machen, warum engagieren sie sich für das Gemeinwesen, dann auf einer ganz konkreten Wertebasis. Dass bedarf einer innerverbandlichen Diskussion, die geführt werden müsse."
    Zurück nach Jerchel. Dort kandidiert Enrico Mertynink für eine Freie Wählergemeinschaft. Der Einzug des Rechtsextremen in den Ortschaftsrat scheint sicher - der Freiwilligen Feuerwehr - sei Dank.