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Rechtsextremismus bei der Polizei
"Es geht um das Vertrauen in die Polizei"

Mit Blick auf die Rechtsextremismus-Vorwürfe gegen Beamte der Frankfurter Polizei hat der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour mehr Ombudsstellen innerhalb der Polizei gefordert. Führungskräfte müssten sensibilisiert und mehr Anlaufstellen geschaffen werden, damit sich Polizisten bei einem Verdacht schnell an eine Vertrauensperson wenden könnten, so Nouripour im Dlf.

Omid Nouripour im Gespräch mit Christine Heuer | 17.12.2018
    Der Grünen-Politiker Omid Nouripour
    Der Grünen-Politiker Omid Nouripour (dpa / Britta Pedersen)
    Christine Heuer: Ein brutaler Drohbrief an eine NSU-Opferanwältin in Frankfurt – mit ihm haben Ermittlungen innerhalb der Frankfurter Polizei begonnen. Zutage gefördert wurden dann rechtsextremistische Chats mit Hakenkreuz- und Hitler-Bildern. Fünf Beamte wurden suspendiert, es laufen gegen sie Straf- und Disziplinarverfahren. Diese Woche landet der Fall im hessischen Landtag. Die politische Debatte nimmt an Fahrt auf.
    Am Telefon ist Omid Nouripour, in Frankfurt zuhause. Für die hessischen Grünen sitzt er im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Herr Nouripour.
    Omid Nouripour: Schönen guten Morgen.
    Heuer: Frankfurter Polizisten verschicken offenbar, muss man ja sagen, Hitler-Bilder und tauschen rechtsextremistische Nachrichten aus. Sind das Einzelfälle oder ist das eher die Spitze eines Eisbergs?
    Nouripour: Das wird sich weisen. Genau deswegen ist es ja auch notwendig, dass jetzt dringend aufgeklärt wird. Es ist eine schwierige Balance zu finden, auf der einen Seite, dass es keinen Generalverdacht gibt gegen Polizistinnen und Polizisten, die einen sehr, sehr schwierigen, teilweise frustrierenden Job machen für uns alle, und auf der anderen Seite einer Behörde, die ein Gewaltmonopol ausübt und deshalb erst recht immun sein muss gegen extremistisches Gedankengut.
    Heuer: Es wird ja auch geprüft – wir haben das gerade gehört -, ob die suspendierten Polizisten einen Drohbrief an eine NSU-Opferanwältin mit türkischen Wurzeln verschickt haben. Wenn das stimmt, dann wäre aber doch wahrscheinlich die Bilanz, dass man sagen muss, hier liegt ein richtig gravierendes Problem vor und wir sehen doch nur die Spitze des Eisbergs.
    Nouripour: Na ja. Wenn es tatsächlich so sein sollte, dass diese Dateien raus sind von dem einen Rechner von der Polizei – und es gibt Daten, die sehr sensibel sein müssen, weil sie gerade nur die Polizei hat -, dann weiß ich gar nicht, was ich schlimmer finde, ob sie den Brief selber geschrieben haben, oder ob sie die Daten weitergegeben haben an Dritte, die diesen Brief geschrieben haben. Aber wer am Ende einen solchen Drohbrief, in dem ein Zweijähriger mit dem Tode bedroht wird, …
    "Relevant für die Frage, ob die Behörden funktionieren"
    Heuer: Auf brutale Weise.
    Nouripour: Bitte?
    Heuer: Auf sehr brutale Weise.
    Nouripour: Auf brutalst denkbare Art und Weise und auch noch unterschrieben mit NSU, bei allem Wissen, was das denn bedeutet und was auch für ein Versagen der Behörden eigentlich hinter der NSU-Geschichte steckt, dann ist das mehr als schockierend. Dann muss das Konsequenzen haben. Ob es jetzt fünf betrifft oder 50, ist am Ende des Tages zumindest auf der ethischen Ebene nicht relevant. Es ist natürlich relevant für die Frage, ob die Behörden funktionieren.
    Heuer: Funktionieren die? Gibt oder gab es Verbindungen hessischer Polizisten in rechtsextreme Kreise außerhalb der Polizei?
    Nouripour: Das weiß ich nicht. Wie gesagt, genau das muss aufgeklärt werden, und zwar schonungslos. Und es ist auch notwendig, dass verstanden wird, dass dieser Fall keiner ist, wo einfach mal ein paar Leute viel zu viele Überstunden hatten, ein bisschen frustriert waren und einfach mal über die Stränge geschlagen haben. Hier geht es um das Vertrauen in die Polizei, das nicht von einzelnen Leuten desavouiert werden darf.
    Heuer: Herr Nouripour, wenn wir das alles mal zusammen angucken, was braut sich denn da schlimmstenfalls zusammen?
    Nouripour: Wir haben ja beim Fall NSU erlebt, dass es sehr viele Fragen gibt, die weiterhin nicht geklärt worden sind, wenn beispielsweise Akten vernichtet werden. Das war nicht in Hessen. Aber wenn das passiert, dann ist das natürlich eine weitere Untergrabung des Vertrauens in die Arbeit der Behörden. Deshalb muss man in jedem einzelnen Fall, bei jedem Anfangsverdacht sehr genau hinschauen. Ich selber kenne dieses Polizeirevier, ich habe da viele Leute kennenlernen dürfen. Ich habe niemals das Gefühl gehabt, dass wir es hier mit massiven Problemen zu tun haben. Aber wie gesagt: Auch wenn es fünf Leute sind, es geht nicht nur darum, dass diese fünf Leute das Vertrauen in alle anderen Rechtschaffenden unterminieren. Es geht darum, dass diejenigen, die ein Gewaltmonopol des Staates ausfüllen, nicht für Extremismus anfällig sein dürfen, und da müssen wir dran arbeiten.
    "Sehr schwierige Arbeit unter widrigsten Umständen"
    Heuer: Aber ist es vielleicht sogar so, dass Polizisten besonders anfällig sind für rechtsextremes Gedankengut?
    Nouripour: Das glaube ich nicht. Die machen eine sehr, sehr schwierige Arbeit unter widrigsten Umständen und fühlen sich auch oft im Stich gelassen. Aber es gibt keinen Automatismus, dass jemand, der frustriert ist, tatsächlich dann extremistisch wird. Es gibt gerade in diesen Bereichen eine besondere Verantwortung. Wir müssen darüber nachdenken und müssen die Fälle anschauen, um zu überlegen, wo man nachsteuert, wo man auch die Frage von verschiedenen Arten von Extremismus vielleicht anders und sensibilisierter in die Ausbildung reinbringt, vielleicht darüber nachdenkt, wo es auf allen Ebenen mehr Ombudsleute geben kann, damit gerade junge Kolleginnen und Kollegen weiter unten in der Hierarchie auch mal eine Anlaufstelle haben, die sie kennen und ansprechen können, damit sie auf solche Vorfälle hinweisen. Es darf nicht sein, dass Uniformierte, sei es bei der Bundeswehr oder bei der Polizei, tatsächlich für Extremismus jeglicher Art anfällig sind.
    "Es muss mehr Ombudsstellen geben"
    Heuer: Sie schlagen ein Frühwarnsystem vor für Rechtsextremismus in der Polizei. Wie soll denn das genau funktionieren?
    Nouripour: Es geht darum, dass wir es mit einem sehr hierarchischen System zu tun haben, und es geht darum, dass gerade Leute, die schon aufgrund ihres jungen Karriereweges ganz unten sind in der Hierarchiekette, eine Möglichkeit bekommen, niedrigschwellig, wenn sie denn das Gefühl haben, hier läuft was falsch, hier gibt es In-Gruppen, die Dinge tun, die nicht mit dem Job vereinbar sind, dass sie das auch ansprechen können. Da reicht es nicht, wenn es irgendwo weit oben in der Kette jemanden gibt, den man vielleicht mal anschreiben kann. Da muss es tatsächlich viel mehr Ombudsstellen geben, viel mehr Anlaufstellen geben, sowohl bei der Bundespolizei als auch bei den Landespolizisten. Das sieht man in Rheinland-Pfalz, dass das ein bisschen besser funktioniert.
    "Es darf keinen Generalverdacht geben"
    Heuer: Die machen das?
    Nouripour: Da gibt es eine Anlaufstelle, die sehr deutlich und sehr präsent ist und die auch in die Fläche geht, und da gibt es eine Ansprechpartnerin, die relativ neu erst im Amt ist und die zumindest nach meinem Eindruck sehr stark dazu beigetragen hat, dass die Lage sich entspannt hat und dass es ein besseres Vertrauensverhältnis gibt zwischen verschiedenen Behörden. Da geht es nicht um Generalverdacht, den darf es nicht geben. Die Unschuldsvermutung gilt auch für Polizistinnen und Polizisten. Aber niedrigschwellige Angebote schaffen, damit diese Verdachtsmomente auch schnell ausgesprochen werden können, das ist notwendig.
    Heuer: Herr Nouripour, Sie stellen sich vor Ombudsstellen innerhalb der Polizei, nicht außerhalb. Wer soll sich denn an diese Stellen wenden können? Nur Polizisten, oder kann ich da als Bürger auch hingehen, wenn mir was auffällt?
    Nouripour: Das muss es beides geben. Es ist dringend notwendig, dass die Verdachtsmomente nicht liegen bleiben. Es ist völlig egal, wer diese erhebt.
    Heuer: Und innerhalb der Polizei, beklagen Sie, gibt es jetzt im Moment nicht Ansprechpartner, die solche Probleme auch beherzt angehen? Das kann man sich ja gar nicht vorstellen.
    Nouripour: Das gibt es schon. Aber es stellt sich die Frage, wenn in einer Hauptstadt oder ganz oben in der Leitung eine Person ist, die man nicht kennt, ob es eine Person gibt, die weit weg ist in einer anderen Stadt, die man nur von der Webseite kennt, ob das ausreichend Vertrauen erweckt bei den Leuten, oder ob es nicht dezentralisierter sein muss und weiter unten auch Ombudsleute geben soll. Hier geht es darum, dass diese Frage der Ansprechbarkeit in die Fläche geht, und auch, dass die Führungspersonen mehr sensibilisiert sind und auch mehr ausstrahlen, dass man sie ansprechen kann.
    Heuer: Wenn mir so was passieren würde, würde ich zu meinem Vorgesetzten gehen.
    Nouripour: Ja, das ist richtig, und es stellt sich natürlich auch grundsätzlich die Frage, warum das an bestimmten Stellen immer wieder nicht passiert. Deshalb ist es die Frage der Ausbildung, ist es die Frage der Verantwortung der Vorgesetzten, aber auch die Frage, dass in dem Augenblick, wo man das Gefühl hat, dass es nicht geht, weil die Hemmschwelle zu hoch ist, weil man im Zweifelsfall dann als einer gilt, der die eigenen Leute angeschwärzt hat, dass man das auch anonymisiert woanders machen kann.
    Heuer: Auch das ist ja ein Problem, jedenfalls im Umgang mit Rechtsextremismus in der Polizei, das Sie da beschreiben.
    Nouripour: Das ist richtig, aber das ist kein Problem alleine der Polizei.
    Heuer: Omid Nouripour von den hessischen Grünen, in Frankfurt ist er zuhause. Er sitzt für seine Partei im Deutschen Bundestag und fordert ein Frühwarnsystem für rechtsextremistisches Gedankengut in der Polizei. Herr Nouripour, danke fürs Interview.
    Nouripour: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.