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Rechtsextremismus-Datei ist "richtige Konsequenz aus der NSU-Mordserie"

Durch die Rechtsextremismus-Datei "schalten wir subjektive Beurteilungen, kann ich was weitergeben oder kann ich was nicht weitergeben, aus", sagt Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Dadurch könne "menschliches Versagen in diesem Zusammenhang" verhindert werden.

Hans-Peter Friedrich im Gespräch mit Dirk Müller | 19.09.2012
    Dirk Müller: Irgendwie passt es auch wieder zusammen: Da will der Innenminister heute offiziell die neue einheitliche Datenbank gegen den Terror von rechts auf den Weg bringen, da wird er noch mehr mit einem Internet-Video aus den USA konfrontiert, das längst globale Auswirkungen zeigt und ausgerechnet in den westlichen Staaten am Grundverständnis von freier Meinungsäußerung rüttelt. Dabei spielt dann wiederum eine rechts gerichtete Partei, eine Splitterpartei eine Rolle, Pro Deutschland heißt diese, die das Video öffentlich vorführen will, zum Ärger, zum Entsetzen der Politik. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich will die mögliche Aufführung des Videos verbieten, er ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Hans-Peter Friedrich: Guten Morgen!

    Müller: Herr Friedrich, sind wir erpressbar?

    Friedrich: Nein, überhaupt nicht.

    Müller: Aber Sie wollen Verbote aussprechen, die es sonst noch nicht gegeben hat?

    Friedrich: Herr Müller, wir haben hier in diesem Land jede zweite Woche diesen Konflikt, Meinungsfreiheit auf der einen Seite und die Grenzen der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite. Dann, wenn wir Demonstrationen verbieten wollen, linksextremistische, rechtsextremistische, wenn Behörden vor Ort solche Verbote aussprechen, geht es immer bei den Verwaltungsgerichten dann um die Frage, wo sind die Grenzen der Meinungsfreiheit und wo nicht. Und so ist es hier genauso, es handelt sich hier um eine politische Demonstration, und deswegen muss man alle rechtlichen Aspekte dazu auch prüfen.

    Müller: Reden wir nur mal über das Video, ohne jetzt über die Einzelheiten hier im einzelnen auch zu diskutieren. Ist das Video für Sie schon eine Grenze?

    Friedrich: Ich kenne dieses Video, diese 14 Minuten, die im Internet sind, und ich kann verstehen, dass gläubige Menschen sich von diesem Video beleidigt fühlen. Das geht übrigens vielen Christen so auch mit verschiedenen "Kunstwerken", die wir in den letzten Jahren erlebt haben.

    Müller: Die durften trotzdem gezeigt werden, diese "Kunstwerke". Warum ist das jetzt bei Muslimen anders?

    Friedrich: Nein. Wir stehen immer vor der Frage, wo ist Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit eingeschränkt durch andere Aspekte, nämlich hier den Aspekt der Religionsfreiheit. Sie haben es mit einem typischen Konflikt von Grundrechten zu tun. Das ist etwas, was im Verfassungsrecht auch immer geklärt wird.

    Müller: Jetzt sagt der Grüne Volker Beck, es ist eine geschmacklose Dämlichkeit, dieses Video, aber eben nicht strafbar beziehungsweise auch dann nicht sanktionierbar, wenn man damit umgehen will. Wieso wollen Sie restriktiv damit umgehen?

    Friedrich: Na ja, das ist die Frage, ob es nicht strafbar ist und ob es nur eine Dämlichkeit ist. Genau darum geht es. Ich denke, man muss die rechtlichen Grenzen und Möglichkeiten dazu überprüfen, und ich würde es begrüßen, wenn überall da, wo dieses Video öffentlich in einer demonstrativen Art gezeigt wird, die Behörden versuchen, das zu verhindern, und dann kommen die Gerichte und werden klären, was wiegt im Einzelfall, in dem speziellen Einzelfall stärker, die Meinungsfreiheit oder die Religionsfreiheit, und das ist eine Abwägung, die man dann vornehmen muss. Und als Nächstes Mittel bleibt dann immer noch der Protest der Gegendemonstranten, auch das erleben wir ja glücklicherweise gegen Rechtsextremisten jede zweite Woche.

    Müller: Aber wie groß, Herr Friedrich, ist denn die Gefahr, dass wenn sich jemand echauffiert und Widerstand organisiert – im Nahen Osten funktioniert das offenbar auf Kommando ja sehr, sehr schnell -, dass dann unsere Grundfeste diskutiert werden?

    Friedrich: Nein. Also wie gesagt: es gibt für alles Spielräume und Grenzen und natürlich spielt die Frage, welcher Aufruhr wird im Land erzeugt, eine Rolle, und es spielt auch eine Rolle, welche außenpolitischen Interessen sind berührt. Wir geben jeden Tag viel Geld dafür aus, um Deutschland in der Welt gut zu präsentieren, und dann können wir doch nicht akzeptieren, dass mir nichts, dir nichts von wenigen Radikalen dieses Deutschland-Bild auch zerstört wird. Also ich glaube, da gibt es viele Aspekte, die man berücksichtigen muss. Das alles muss einfließen in einen Abwägungsprozess, den letzten Endes die Gerichte vornehmen.

    Müller: Aber es gibt eine Zensur der Beleidigten, wenn es so kommt, wie Sie es wollen?

    Friedrich: Nein, aber es gibt eben immer Freiheiten und es gibt Grenzen und darüber muss man sich im klaren sein. Wo man diese Grenzen zieht im Einzelfall, das muss auf einem gesellschaftlichen Konsens beruhen, aber das werden am Ende auch die Gerichte, die Justiz feststellen.

    Müller: Wenn wir das richtig hier in der Redaktion gestern gelesen haben, Herr Friedrich, dann ist Gotteslästerung "nicht strafbar" – Paragraph 166 Strafgesetzbuch. Es geht um Störung des öffentlichen Friedens, der öffentlichen Ordnung. Das ist Ihr Ansatz beim Verbot?

    Friedrich: Der 166 im StGB ist der Ansatz, mit dem man hier in diesem Zusammenhang operiert.

    Müller: Ja. Und Sie würden Gotteslästerung doch lieber unter Strafe dann stellen, um konsequent zu sein?

    Friedrich: Ich weiß, dass jetzt diskutiert wird eine Verschärfung des 166. Darüber muss man, glaube ich, ganz abseits dieses speziellen Falles ganz in Ruhe diskutieren. Diesen Wunsch gibt es seit vielen Jahren, das zu verschärfen, weil sich Menschen, religiöse Menschen beleidigt fühlen durch viele Dinge. Da muss man ganz in Ruhe drüber nachdenken. Ich bin nicht dafür, dass wir jetzt hektisch an Gesetzesveränderungen gehen, aber der 166 ist da der Prüfungsmaßstab, der derzeit gilt.

    Müller: Und der sollte überdacht werden, wenn ich Sie richtig verstanden habe?

    Friedrich: Nein. Ich sage nur, dass das der Ausgangspunkt für ein solches Verbot oder Untersagung einer Vorführung ist. Diskutieren kann man grundsätzlich immer alles. Ich fordere das nicht.

    Müller: Inwieweit spielt das für Sie eine entscheidende Rolle, dass diese Splitterpartei Pro Deutschland das Video aufführen will? Würden Sie auch Nein sagen, würden Sie auch für ein Verbot sein, wenn die Grünen das beispielsweise machen würden?

    Friedrich: Also es geht überhaupt nicht darum, wer das macht, sondern es geht darum, dass es sich um eine politische Demonstration handelt. Es geht denen ja nicht darum, ein Kunstwerk vorzuführen, sondern es geht ihnen darum, zu provozieren. Das heißt, es geht um eine politische Aktion, und das ist der entscheidende Punkt. Und wer die durchführt, ist egal. Entscheidend ist die Wirkung, die Auswirkung dieser Aktion, und das muss beurteilt werden, ob wir das so haben wollen.

    Müller: Aber es ist keine Absage an die Möglichkeit der Provokation in der Demokratie?

    Friedrich: Überhaupt nicht. Ich glaube, das ist in unserer Demokratie ja auch ein bewährtes Mittel, auch andere mal zu provozieren, mache ich auch ganz gern.

    Müller: Dann reden wir über die Partei, Splitterpartei Pro Deutschland – nicht im Detail, aber um jetzt auf das nächste Thema, auf den nächsten Aspekt zu kommen: Ihre gemeinsame Datei, die heute offiziell starten soll. Bund und Länder haben sich geeinigt, auf Ihren Druck hin, nach dem Versagen im Rahmen der Zwickauer Terrorzelle. Was wird sich nun ändern?

    Friedrich: Wir haben 36 Sicherheitsbehörden, die in Deutschland Informationen sammeln, auch über die rechtsextremistische Szene, und es geht darum, dass wir ein Inhaltsverzeichnis elektronisch zur Verfügung stellen über alles Wissen, das diese 36 Behörden gesammelt haben, und diese Datei ist ein solches Inhaltsverzeichnis und ich glaube, dass das auch eine richtige Konsequenz ist aus der NSU-Mordserie, wo man doch den Eindruck hat, dass an der einen oder anderen Stelle die Kommunikation zwischen den Behörden verbesserungsbedürftig war.

    Müller: Und jeder Beteiligte, egal wo er sitzt, der die Berechtigung hat, hat Zugang zu jedem Zeitpunkt, zu jeder Zeit?

    Friedrich: Also es gibt eine sehr restriktive Bestimmung der Berechtigten, die zugreifen dürfen, auch nur unter bestimmten Umständen, und es gibt nur die Möglichkeit, sozusagen festzustellen, gibt es über eine bestimmte Person Informationen. Damit haben Sie die Information noch nicht abgerufen, sondern Sie bekommen einen Überblick, was hat welche Behörde in Deutschland, und dann müssen Sie mit dieser Behörde in Kontakt treten und können dann nach den gesetzlichen Bestimmungen Einzelheiten dieser Information auch abfragen.

    Müller: Wir hatten gestern wieder in der Diskussion, Herr Friedrich, den V-Mann-Fall in Berlin mit möglichen politischen Konsequenzen, die es bislang wie auch in den anderen Fällen ja nicht gegeben hat. V-Männer, wenn wir das richtig gelesen haben, sollen nicht aufgeführt werden in dieser Datei. Was bringt das dann?

    Friedrich: Nein, also das ist völlig klar. Wir wollen die V-Leuten einem Extra Register, das wir beim Bundesamt für Verfassungsschutz führen, sammeln, sodass ein Überblick über den Verfassungsschutzverbund besteht. Aber das kommt nicht in die Datei. Aber Sie können natürlich als V-Mann-Führer in dieser Datei nachschauen, ob über Ihren V-Mann, den Sie führen, an anderer Stelle etwas vorhanden ist, und ich glaube, das ist schon mal auch eine wichtige Erkenntnis für jeden V-Mann-Führer. Er erfährt nicht Jahre später aus irgendwelchen Akten, dass sein V-Mann im Saarland oder in Bayern unter Verdacht stand, sondern er kann es unmittelbar jetzt aus der Datei sehen, was gegen den vorliegt.

    Müller: Also er muss das namentlich wissen? Er kann ja nicht unter V-Mann recherchieren?

    Friedrich: Nein. Das Thema V-Mann, das sind verdeckte Ermittlungen, das ist operatives Geschäft, das muss geheim bleiben und da geht es ja auch um Leben und Tod von Menschen.

    Müller: Einheitliche Verbunddatei, Bund und Länder arbeiten an dieser Datei zusammen. Jetzt sind Sie ja auch als Innenminister wie alle anderen Beteiligten in der Politik, aber auch in den Sicherheitsbehörden darauf angewiesen, dass die einzelnen, die die Zugangsberechtigung haben, auch ihre Arbeit vernünftig machen, das heißt, das, was sie wissen und erfahren haben, die Erkenntnisse, die sie gewonnen haben, auch tatsächlich füttern in diesen Computer, in diese Datei. Wenn das noch nicht mal Minister vernünftig machen, Thomas de Maizière oder Berlins Innenminister Frank Henkel, wie soll das den Mitarbeitern klar gemacht werden?

    Friedrich: Wir haben in diesem Gesetz, das seit Ende August gilt, ganz klar festgelegt, welche Informationen, welche Daten in diese Datei eingespeist werden müssen, und dann wird auch genau protokolliert, elektronisch, wer welche Daten zu welchem Zeitpunkt abruft, sodass wir also einen optimalen Überblick haben. Und was wichtig ist, das ist genau der entscheidende Punkt: Wir schalten subjektive Beurteilungen, kann ich was weitergeben oder kann ich was nicht weitergeben, aus, indem wir sagen, es muss alles in die Datei und es kann von allen abgerufen werden beziehungsweise angeschaut werden, und ich glaube, das ist ein wesentlicher Fortschritt, auch menschliches Versagen in diesem Zusammenhang zu verhindern.

    Müller: Sie sind ja ein Mann der klaren Worte, Herr Friedrich. Haben Sie mit Thomas de Maizière über die Panne im Verteidigungsministerium gesprochen?

    Friedrich: Nein. Also wir haben uns jedenfalls nicht vertieft ausgetauscht. Ich glaube, das ist auch nicht notwendig.

    Müller: Herr Friedrich, wenn das einem Minister passiert, dann können auch die Mitarbeiter im Grunde machen was sie wollen, es gibt keine Konsequenzen'?

    Friedrich: Nein. Also ich glaube, wir sind uns da einig, dass wir gegenüber denjenigen, die jetzt ihre Arbeit machen müssen – und das ist natürlich in erster Linie der Generalbundesanwalt, der ja die Verbrecher auch ins Gefängnis bringen soll, aber auch der Untersuchungsausschuss, der ja auch die politischen Konsequenzen aufarbeiten soll -, dass wir gegenüber diesen Ermittlern nichts zurückhalten. Das ist Konsens bei allen, das trifft bei Thomas de Maizière zu, bei mir, bei allen. Wir haben nichts zu verheimlichen, wir wollen das alles offenlegen, und ich glaube, das ist auch die generelle Linie.

    Müller: Aber stimmt das denn, dass der Generalbundesanwalt verhindert hat, dass bestimmte Informationen zum NSU-Bundestagsuntersuchungsausschuss weitergeleitet wurden?

    Friedrich: Also da habe ich keine Einzelheiten. Aber ich glaube, dass eins natürlich wichtig ist, dass wir in allererster Linie auch von Seiten der Justiz eine Aufklärung ermöglichen. Das heißt, wir wollen ja alle, die möglicherweise damit zu tun haben, auch hinter Schloss und Riegel haben. Das ist ja, glaube ich, die allererste Pflicht, dafür zu sorgen, dass Mörder und Beteiligte ins Gefängnis kommen. Und dann muss man natürlich auch in zweiter Linie dafür sorgen, dass so was nicht mehr passieren kann, und deswegen die politischen Konsequenzen und deswegen auch die wichtige Arbeit des Untersuchungsausschusses.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Friedrich: Ja gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.