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Rechtsextremismus
"Die Szene entwaffnen, die Finanzierungswege unterbinden"

FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser fordert ein Überdenken des V-Mann-Systems zur Bekämpfung von Rechtsextremismus. Schon dem NSU seien die Spitzel des Verfassungsschutzes nicht auf die Spur gekommen, sagte er im Dlf. Die rechte Szene sei vielfältig und deswegen brauche es auch differenzierte Antworten.

Benjamin Strasser Christiane Kaess  | 27.06.2019
Der FDP-Politiker Benjamin Strasser
Der FDP-Politiker Benjamin Strasser ist Mitglied des Innenausschusses des Bundestags (imago / Christian Ditsch)
Christiane Kaess: Die Nachricht kam heute Vormittag: Im Mordfall Lübcke hat es zwei weitere Festnahmen gegeben. Es soll sich um den Händler und den Vermittler der Waffen für den geständigen Stephan E. handeln.
Wie vorgehen gegen rechten Terror? – Seit dem Mord an Walter Lübcke läuft die Diskussion darüber auf Hochtouren und sie bekommt heute noch neuen Stoff, denn Bundesinnenminister Horst Seehofer von der CSU und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang haben heute Vormittag den aktuellen Verfassungsschutzbericht vorgestellt.
Ich kann darüber jetzt sprechen mit Benjamin Strasser* von der FDP. Er ist Mitglied im Innenausschuss des Bundestages. Guten Tag, Herr Strasser.
Benjamin Strasser: Guten Tag, Frau Kaess.
Kaess: Diese Rekordzahl an Rechtsextremisten, hat Sie die noch überrascht?
Strasser: Nein. Mich persönlich hat das gar nicht mehr überrascht. Leider hat mich auch der Mord an Walter Lübcke nicht überrascht, denn er ist keine Zäsur, sondern er reiht sich ein in rechtsterroristische Taten, die unser Land seit vielen Jahren beschäftigen. Man muss immer darauf hinweisen: Auch vor dem NSU gab es Todesopfer durch Rechtsextreme. Auch vor dem NSU wurden Polizisten von Rechtsextremen** in unserem Land erschossen. Das ist ein Punkt, der uns eher besorgen muss als verwundern.
Kaess: Jetzt haben wir gehört, dass auch Innenminister Horst Seehofer hier durchaus Verbesserungsbedarf bei der Bekämpfung sieht. Er hat genannt Vereinsverbote oder den Artikel 18 des Grundgesetzes - Grundrechte - zu entziehen. Was halten Sie von diesen Maßnahmen?
Strasser: Dass Minister Seehofer jetzt erstmals ernsthaft auch ein Verbot von Gruppierungen wie "Combat 18" erwägt, das ist gut. Das ist dringend notwendig, weil diese "Blood an Honour"-Strukturen nicht nur den NSU getragen haben, sondern diese Strukturen dafür verantwortlich sind, dass Schießtrainings stattfinden, dass sich die Szene finanzieren kann über Neonazi-Konzerte. Deswegen an diesem Punkt ausdrücklich auch unsere Unterstützung.
Anders sieht das aus bei Artikel 18. Das ist ein Verfahren, das für absolut krasse Ausnahmefälle konzipiert und gedacht worden ist. Dieser Antrag wurde überhaupt erst viermal in der Geschichte der Bundesrepublik gestellt an das Bundesverfassungsgericht und alle vier Male war er erfolgreich. Wenn man das jetzt ernsthaft als Vorschlag nimmt, um 13.000 gewaltbereite Rechtsextremisten in unserem Land zu bekämpfen, dann ist das nichts anderes als eine Nebelkerze. Wir müssen endlich die richtigen Konsequenzen ziehen: Die Szene entwaffnen, die Finanzierungswege unterbinden und endlich über eine Föderalismus-Kommission dafür sorgen, dass es weniger Behörden gibt in Deutschland im Sicherheitsbereich, die sich aber mehr verantwortlich fühlen, als es bisher geschehen ist.
"Glaube nicht, dass der Tatverdächtige zehn Jahre ein Schläfer war"
Kaess: Es wird jetzt ganz konkret zum Mord an Walter Lübcke auch noch über Versäumnisse eventuell bei den Sicherheitsbehörden diskutiert, denn der Täter Stephan E. war bekannt als gewaltbereiter Neonazi. Er war schon öfter aufgefallen. Die letzte Tat allerdings lag zehn Jahre zurück und deshalb – das wird jetzt immer als Argument genannt – ist er dann vom Radar der Sicherheitsbehörden verschwunden.
Jetzt vertritt ja gerade die FDP bei Themen wie Überwachung eine liberale Einstellung. Wäre es denn besser, in solchen Fällen durchaus striktere Maßnahmen anzuwenden?
Strasser: Die entscheidende Frage ist: Was sind diese strikteren Maßnahmen? Ich persönlich finde es schamlos, dass der Mord an Walter Lübcke jetzt durch die Union dazu benutzt wird, um ihr Verfassungsschutz-Gesetz durch den Bundestag zu peitschen, das mehr Überwachung von unbescholtenen Bürgern vorsieht. Das löst das Problem nicht!
Kaess: Aber davon ist jetzt nicht die Rede, Herr Strasser, von unbescholtenen Bürgern, sondern wir haben jetzt einen ganz konkreten Fall, wo jemand offenbar durchs Netz gefallen ist, weil diese Überwachung nicht da war.
Strasser: Ja! Aber die entscheidende Frage ist, ob das das Problem des Ganzen war. Wenn wir beim NSU schauen: Da gab es 40 Spitzel von sieben Sicherheitsbehörden im direkten Umfeld des Trios, die es über zehn Jahre nicht geschafft haben, diesem Trio auf die Spur zu kommen. Bei Anis Amri – anderes Phänomen – reden wir über acht Spitzel von unterschiedlichen Sicherheitsbehörden, die in eineinhalb Jahren es nicht geschafft haben, den Anschlag zu verhindern. Wir müssen uns ernsthaft mal die Frage stellen, ob das V-Mann-System so noch funktioniert. Wir müssen feststellen, dass die Szene total vielfältig und differenziert ist. Da gibt es die klassische Neonazi-Struktur, es gibt aber auch die Reichsbürger-Szene, die Prepper-Szene, die Identitäre Bewegung, die Neue Rechte Szene. Die ist total vielfältig und auf diese vielfältige Szene braucht es auch differenzierte Antworten. Ich glaube im Übrigen auch nicht, dass der Tatverdächtige wirklich jetzt zehn Jahre ein sogenannter Schläfer war, sondern er scheint ja offensichtlich weiterhin in Neonazi-Strukturen vor Ort eingebunden gewesen zu sein, und da stellt sich die Frage, ob man diese Szene an sich überhaupt nicht mehr auf dem Radar hatte. Das gilt es jetzt zu klären, bevor man einfach unreflektiert jetzt sagt, jetzt müssen wir unsichere Software programmieren, um entsprechend hacken zu können.
Kaess: Jetzt haben Sie selber, Herr Strasser, gerade das genannt, dass diese Szene sehr differenziert ist und in viele Strukturen zerfällt. Wie will man die denn überhaupt unter Kontrolle bekommen?
Strasser: Zunächst ist es mal wichtig, überhaupt Netzwerke zu erkennen und auch zu bestätigen.
"Kritik an der Migrationspolitik ist legitim"
Kaess: Und das, glauben Sie, tun die Sicherheitsbehörden bisher nicht?
Strasser: Das haben wir ja schon relativ früh beispielsweise beantragt bei der Prepper-Szene. Wir haben uns über die Prepper vor einem dreiviertel Jahr im Innenausschuss unterhalten. Und wenn ich dann von den Sicherheitsbehörden höre, wir haben Waffen gefunden, wir haben Listen mit Namen gefunden, und das wohl in Chat-Gruppen organisiert worden ist, und man trotzdem nicht bereit ist, hier von einem Netzwerk zu sprechen, weil man einen sehr engen Blick auf das Strafgesetzbuch hat, dann ist das nicht die richtige Antwort. Es gibt auch Netzwerke, die nicht die Schwelle zum Strafrecht überschreiten, die aber trotzdem gefährlich sind, und ich hoffe, dass da jetzt auch ein schärferes Auge draufgelegt wird, ganz gezielt in die Vorphase zu gehen und die Bildung solcher Vereinigungen schon abzubinden, indem man die Netzwerke bekämpft.
Kaess: Jetzt wird seit dem Tod von Walter Lübcke spätestens auch sehr stark über die Wortwahl diskutiert, über Hassbotschaften im Netz, eben auch im Zusammenhang mit dem Tod von Walter Lübcke. Das geht hin bis zu Positionen der AfD in der Flüchtlingspolitik. Die FDP hatte die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel ja auch ins Visier genommen. Ihr Parteichef Christian Lindner hatte sogar mal einen Untersuchungsausschuss gefordert. Wie sehr muss sich denn auch Ihre Partei da an die eigene Nase fassen, ob sie eventuell auch rechte Positionen befeuert haben?
Strasser: Kritik am Management der Flüchtlingskrise, an der Migrationspolitik, die ist legitim.
Kaess: Aber es kommt eventuell auf die Schärfe an, und ein Untersuchungsausschuss ist natürlich schon …
Strasser: Ja! Aber ich will schon mal einen Punkt setzen. Es macht einen Unterschied, unsere Kritik und die Kritik der AfD. Die Kritik der AfD knüpft ganz häufig an der Ethnie an. Wenn ich sage, allein die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe macht mich schon zu einem Kriminellen, dann ist das eine andere Art von Kritik wie zu sagen, die Regierung hat das nicht im Griff, die Regierung hält sich nicht an eigene Gesetze. Das ist ein fundamentaler Unterschied und das ist auch die rote Linie, die wir als Demokraten ziehen müssen, den Leuten auch zu signalisieren, was bewegt sich auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, was ist auch legitim im demokratischen Diskurs an Kritik an der Bundesregierung zu äußern und was wird aus einer rechtsextremen Gesinnung heraus geäußert, um Menschen allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion, Volksgruppe, sexuellen Identität zu diffamieren und dadurch auch indirekt Gewalt gegen diese Personen zu rechtfertigen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
* Anmerkung der Redaktion: In der Audio-Version hat sich die Moderatorin versprochen und einen falschen Vornamen genannt. Das haben wir im Text korrigiert.
** Anmerkung der Redaktion: Benjamin Strasser hat sich im Audio versprochen. Das haben wir nach Rücksprache korrigert.