Freitag, 19. April 2024

Archiv

Rechtsextremismus in Österreich
Ein Problem mit Tradition?

Wie die rechtspopulistische FPÖ mit dem Nationalsozialismus verbandelt ist, das sollte in diesem Sommer ein Historikerbericht offenlegen. Doch viele Experten sind enttäuscht - zu oberflächlich sei die Analyse, zu eng die Untersuchung. Dabei sei die rechte Stammwählerschaft im Land gefestigt. Und die FPÖ seit Jahrzehnten erfolgreich auf dem Vormarsch.

Von Antonia Kreppel | 18.09.2019
FPÖ-Expertenkomission Andreas Mölzer, Christian Hafenecker und Wilhelm Brauneder, Michael Wladika (v.l) anlässlich der Präsentation des Berichtes der FPÖ-Historikerkommission.
FPÖ-Expertenkomission Andreas Mölzer, Christian Hafenecker und Wilhelm Brauneder, Michael Wladika (v.l) anlässlich der Präsentation des Berichtes der FPÖ-Historikerkommission. (picture alliance / APA / picturedesk.com / Hans Punz)
Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands befindet sich in einem Hintergebäude des Alten Rathauses der Stadt Wien. Im Eingangsbereich verpackt eine Mitarbeiterin das Jahrbuch 2019 für die circa vierhundert Mitglieder des Vereins. Das Thema in diesem Jahr: die NS-Massenvernichtung im besetzten Weißrussland. Seit seiner Gründung 1963 forscht das Dokumentationsarchiv zu österreichischen Holocaustopfern dokumentiert und analysiert rechtsextreme Strömungen in Österreich.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Immer wieder Rechtswalzer - Österreich nach "Ibizagate" und vor der Wahl".
Historikerbericht zur FPÖ
Bernhard Weidinger, zuständig für die Rechtsextremismus-Sammlung, führt durch die schmalen Gänge: Hier wird archiviert und wissenschaftlich ausgewertet; auch Schüler und Studenten können die umfangreiche Bibliothek nutzen. Der junge Politikwissenschaftler – kurze schwarze Haare, konzentrierter Blick - kommt gleich zum Punkt. Gesprächsthema Nummer eins ist in diesen Tagen die schon lange angekündigte Veröffentlichung des Historikerberichts der Freiheitlichen Partei Österreichs, in dem die Partei ihre eigene Geschichte untersucht. Die rechtspopulistische FPÖ entstand 1955 als Nachfolgerin des Verbands der Unabhängigen, eine Sammelpartei des "dritten Lagers", ehemaliger Nationalsozialisten.
"Dieser Historikerbericht oder das, was bislang vorliegt, hat die Verbindung zum Rechtsextremismus reduziert auf die Frage, inwieweit die FPÖ eine Nachfolgepartei der NSDAP ist, und daran festgehalten, dass das formal nicht der Fall sei, aber auch, dass es der FPÖ inhaltlich nicht um eine Wiedererrichtung des NS-Regimes gegangen sei.
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"Die NS-Zeit wurde in Österreich anders verarbeitet als in Deutschland", sagt Bernhard Weidinger. (imago stock&people)
Das sind natürlich triviale Aussagen, weil wenn das der Fall gewesen wäre, hätte die FPÖ als Partei gar nicht zugelassen werden dürfen beziehungsweise längst verboten werden müssen. Womit sich der Bericht überhaupt nicht befasst sind eben die Verstrickungen der Partei mit dem Rechtsextremismus nach 1945, und diese Verstrickungen sind durchaus mannigfaltig sowohl auf einer personellen Ebene als auch auf einer organisatorischen Ebene in Form von Korporationen, etwa Auftritte hochrangiger FPÖ-Vertreter auf rechtsextremen Veranstaltungen, regelmäßigen Inseraten der Partei für rechtsextreme Zeitschriften, aber letztlich auch auf inhaltlicher Ebene."
Als Beispiel führt Bernhard Weidinger das Bekenntnis zur deutschen Volksgemeinschaft im Parteigramm der FPÖ an, dass – so wörtlich – "Österreich ein Teil der deutschen Volks -, Sprach- und Kultgemeinschaft" sei. Warum der Bezug auf das deutsche Volk?
"Also es geht da nicht um Anschlusswünsche, aber es geht sehr wohl um ein Bekenntnis zum Volk eben als Abstammungsgemeinschaft und Abstammungsgemeinschaft bedeutet eben Blutsgemeinschaft und bedeutet ein Verständnis von Volk, wo es eben nicht um Staatsbürgerschaft geht wie in aufgeklärten liberalen Gesellschaften, sondern wo man eben die richtigen Eltern haben muss, um wirklich dazuzugehören."
Historiker: "AfD hat diese Erfolgsniveaus der FPÖ noch nicht erreicht"
Inwieweit unterscheidet sich der Rechtsextremismus in Österreich von rechtsextremen Strömungen in Deutschland? Bernhard Weidinger überlegt ein wenig, bevor er antwortet. Noch bis vor kurzem hat er die These vertreten, dass sich der Rechtsextremismus in Deutschland eher gewalttätig auf der Straße abspiele und in Österreich eher in der Parteiprogrammatik der FPÖ verankert sei. Seit dem Aufstieg der AfD sieht er die Lage etwas anders.
"Also im Hinblick auf Parteienpolitik hat Deutschland stark aufgeholt auf Österreich, auch wenn einerseits die AfD sicher diese Erfolgsniveaus der FPÖ noch nicht erreicht hat, und auch wenn in Deutschland das Immunsystem der liberalen Demokratie doch noch deutlicher intakt ist als in Österreich. Ich würde durchaus das als einen wesentlichen Unterschied sehen, dass in Deutschland bis dato keine Parlamentspartei offen erklärt, dass sie bereit wäre mit der AFD zu koalieren. Es gab nie einen Grundkonsens der demokratischen Parteien der Mitte und die ÖVP ist selbst nach Ibiza ja erklärtermaßen jederzeit bereit, diese Koalition wieder aufzunehmen."
Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Österreich
Wo die Akzeptanz für die braunen Ränder der FPÖ in der Mitte der Gesellschaft wurzelt, darauf will die Dauerausstellung im Untergeschoss des Dokumentationsarchivs antworten. Sie beschäftigt sich mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Österreich. Dort ist beispielsweise eine Gedenkfeier der rechtsextremen Szene im November 2004 am Wiener Zentralfriedhof dokumentiert, die für den nationalsozialistischen "Fliegerhelden" Walter Novotny abgehalten wurde. Bis 2003 hatte er dort ein Ehrengrab.
"Also in Österreich wurde bekanntlich die NS-Zeit anders verarbeitet als in Deutschland; also dass da nach wie vor ein schlampiges Verhältnis zur eigenen Vergangenheit, zur eigenen Mitverantwortung und natürlich auch zur eigenen Verpflichtung mit Blick auf ein "nie wieder" vorherrscht. Aber man kann in der Geschichte noch weiter zurückgehen und wird feststellen, dass es in Österreich eine reiche Tradition des Autoritarismus, der Untertanenmentalität gibt, dass der Liberalismus in Österreich immer schon einen schweren Stand hatte."
Und so fehle in Österreich das, was Weidinger, "bürgerliches Selbstbewusst" nennt: Die Überzeugung, dass es wichtig ist, sich an der Politik zu beteiligen und Konflikte gesellschaftlich auszutragen.
"Ich würd sagen, seit den neunziger Jahren ist Österreich sicher sehr weit nach rechts gerückt. Also wenn eine, ob man sie jetzt rechtspopulistisch oder rechtsextrem nennen will, wenn eine solche Partei jahrzehntelang ihre Botschaften trommelt und ihre systematische Zerstörung des demokratischen Diskurses betreibt, dann geht das an einer Gesellschaft nicht spurlos vorbei. Das hinterlässt Narben und das hinterlässt Wunden und die kann man in Österreich sehr gut beobachten."