Donnerstag, 28. März 2024

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Rede des türkischen Premier in Oberhausen
AKP-Politiker nennt Verbotsforderung "völlig befremdlich"

Der AKP-Politiker Mustafa Yeneroglu hat die morgige Rede des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim in Oberhausen verteidigt. Türkischer Wahlkampf in Deutschland sei angesichts drei Millionen Wahlberechtigter nachvollziehbar, sagte er im DLF. Die Geschehnisse in der Türkei würden in Deutschland falsch dargestellt.

Mustafa Yeneroglu im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 17.02.2017
    Mustafa Yeneroglu (AKP), Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses des türkischen Parlaments, bei einer Pressekonferenz.
    Der AKP-Politiker Mustafa Yeneroglu. (imago - Mauersberger)
    Es gehöre zu den zentralen politischen Zielen der türkischen Regierungspartei AKP, aktiv in den politischen Willensbildungsprozess einzugreifen, sagte Yeneroglu. Obwohl die Stimmabgabe für türkische Wahlberechtigte in Deutschland mit bürokratischen Hürden verbunden sei, habe die Wahlbeteiligung stetig zugenommen. Deswegen besteht nach Ansicht von Yeneroglu ein berechtigtes Interesse der türkischen Regierung daran, Wähler in Deutschland zu gewinnen.
    Yildirim werde die Wahlkampfveranstaltung am Samstag in Oberhausen auch dazu nutzen, die deutsch-türkische Freundschaft zu betonen. Der Dialog müsse allen Widrigkeiten zum Trotz intensiviert werden, mahnte Yeneroglu. Die Schicksale beider Länder seien unauflösbar miteinander verbunden.
    Yildirim nennt Verbotsforderungen für Auftritte türkischer Politiker "befremdlich"
    Schließlich rege sich auch niemand darüber auf, dass Grünen-Chef Cem Özdemir oder Politiker der Linken sich permanent in innertürkische Themen einmischten und "Wahlkampf mit türkischen Parteien in der Türkei betreiben". Dass Politiker nun den Auftritt Yildirims verbieten wollten, halte er für "völlig befremdlich". Zudem gehe es bei der Veranstaltung darum, die Lage in der Türkei zu erklären. "Wir haben seit drei, vier Jahren eine unglaublich starke Verklärung der Geschehnisse in der Türkei in der deutschen Öffentlichkeit."
    Im Hinblick auf die Festnahmen Hunderter Journalisten in der Türkei sagte der AKP-Politiker, diese säßen nicht im Gefängnis, weil sie ihren Beruf ausgeübt, sondern weil sie "wahrscheinlich irgendwelche Straftaten" begangen hätten. "Dafür müssen sie belangt werden." Die Entlassungen von Staatsbediensteten in der Türkei verglich Yeneroglu mit den Entlassungen von 20.000 Lehrern nach der deutschen Wiedervereinigung, weil sie bei der Stasi gearbeitet hätten. "Damals hat man das mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung begründet."

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Immer wieder hat es in den vergangenen Jahren Streit gegeben, wenn türkische Politiker zu Wahlkampfauftritten nach Deutschland gekommen sind, Streit vor allem, weil viele Deutsche den Eindruck haben, dass bei solchen Auftritten auch Stimmung gegen Deutschland gemacht wird und dass diese Auftritte nicht unbedingt förderlich sind für die Integration von türkischen Einwanderern in Deutschland. Jetzt ist es wieder soweit: Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim kommt morgen zu einem Auftritt nach Oberhausen. Yildirim ist ein enger Vertrauter von Präsident Erdogan und allgemein wird erwartet, dass er bei dieser Veranstaltung auch Werbung machen wird für die umstrittene geplante Einführung des Präsidialsystems in der Türkei. Erwartet werden dabei 10.000 Zuhörer. - Wir können darüber jetzt sprechen mit dem AKP-Politiker Mustafa Yeneroglu, Abgeordneter im türkischen Parlament. Schönen guten Morgen.
    Mustafa Yeneroglu: Hallo! Einen schönen guten Morgen.
    "Türkische Staatsbürger aktiv in den politischen Willensbildungsprozess einbinden"
    Armbrüster: Herr Yeneroglu, was versprechen sich AKP-Politiker von solchen Wahlkampfauftritten in Deutschland?
    Yeneroglu: Es gehört zu den zentralen politischen Zielen der AK-Partei, die teilweise schon über mehrere Generationen im Ausland lebenden türkischen Staatsbürger aktiv in den politischen Willensbildungsprozess einzubinden, damit diese mit ihren berechtigten Anliegen nach Jahrzehnten der Ignoranz Gehör in Ankara finden und nicht mehr nur als Devisenbeschaffer wahrgenommen werden. Demnach ist es so gewesen, dass erstmals 2014 die knapp 2,9 Millionen Wahlberechtigten im Ausland ihre Stimme in den Ländern, in denen sie leben, abgeben konnten. Und obwohl die Stimmabgabe teilweise mit bürokratischen Hürden und langen Anreisen verbunden gewesen ist, hat die Wahlbeteiligung mit zuletzt 44 Prozent stetig zugenommen. In diesem Sinne haben selbstverständlich alle türkischen Parteien ein Interesse daran, die Wahlberechtigten für sich und ihre Sache zu gewinnen. Da nun mal fast die Hälfte dieser Menschen in Deutschland lebt ist es doch nachvollziehbar, dass man Wahlkampfaktivitäten hier natürlich besonders projiziert.
    Armbrüster: Wäre es nicht sinnvoll, türkische Innenpolitik in der Türkei zu klären und nicht bei uns in Deutschland?
    Yeneroglu: Türkische Innenpolitik wird auch in der Türkei betrieben. Aber wenn im Ausland an die sechs Millionen türkische Staatsbürger leben, von denen drei Millionen sich in Deutschland aufhalten und die selbstverständlich sich auch mit den innenpolitischen Themen in der Türkei beschäftigen, so ist es auch nachvollziehbar, dass Politiker sie dort sehen, wo die Menschen leben.
    "Übliche polemische Zuspitzung dient objektiv betrachtet keiner Seite"
    Armbrüster: Nun ist zurzeit die türkische Politik hier bei uns in Deutschland sehr umstritten. Das hängt auch zusammen mit diesem Präsidialsystem, das eingeführt werden soll. Ich habe es angesprochen. Was soll da ein solcher Auftritt des türkischen Regierungschefs in diesen Zeiten anderes sein, als eine bewusste Provokation in Richtung Berlin?
    Yeneroglu: Im Gegenteil. Wir stehen mit Blick auf die historisch gewachsenen vieldimensionalen deutsch-türkischen Beziehungen gerade in den von Ihnen auch als jetzt brisant bezeichneten Zeiten in der Pflicht, allen Widrigkeiten zum Trotz den Dialog und den Austausch zu intensivieren und inhaltlich zu vertiefen. Dementsprechend wird Ministerpräsident Yildirim den Auftritt in Oberhausen auch nutzen, um die deutsch-türkische Freundschaft im Besonderen zu berücksichtigen. Die derzeit übliche polemische Zuspitzung dient doch objektiv betrachtet keiner Seite und blendet vor allem aus, dass das Schicksal unserer beiden Länder allein schon auf menschlicher Ebene unauflösbar miteinander verflochten ist und nur mit einem stetigen Dialog und einem intensiven Austausch wird es uns gelingen, Missstände und auch Missverständnisse auszuräumen, bevor sie das Klima dieser Beziehungen dauerhaft belasten. Und im Übrigen: Niemand regt sich darüber auf, dass ein Herr Cem Özdemir, dass Politiker der Linkspartei permanent sich in innertürkische Themen einmischen und Wahlkampf mit türkischen Parteien in der Türkei betreiben, aber wenn plötzlich auf der anderen Seite AK-Partei-Politiker in Deutschland Wahlkampfauftritte betreiben.
    Armbrüster: Sie beschreiben diesen Auftritt morgen jetzt als sehr harmonischen Diskurs, bei dem auch die deutsch-türkische Zusammenarbeit propagiert werden wird. So haben Sie es, wenn ich Sie richtig verstanden habe, gesagt.
    Yeneroglu: Richtig.
    "Wir haben seit drei, vier Jahren eine starke Verklärung der Geschehnisse in der Türkei"
    Armbrüster: Kriegen Sie mit, dass es einige Politiker in Deutschland gibt, die gesagt haben, wir müssten diesen Auftritt eigentlich verbieten, wir müssten diesen Auftritt mit Herrn Yildirim untersagen?
    Yeneroglu: Das bekomme ich mit und das ist völlig befremdlich für mich, zumal gerade solche Parteien doch für Freiheitlichkeit und für Demokratie, für die Meinungsfreiheit auftreten und auf der anderen Seite gerade bei denen ablehnen, die versuchen, die Verhältnisse in der Türkei hier zurechtzurücken, dass sie sich äußern.
    Armbrüster: Jetzt gibt es viele in Deutschland die sagen, die aktuelle türkische Politik steht gerade für das, für eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, und auch das soll morgen propagiert werden, und das läuft natürlich absolut deutschen Interessen zuwider.
    Yeneroglu: Das stimmt überhaupt nicht. Wir haben seit drei, vier Jahren eine unglaublich starke Verklärung der Geschehnisse in der Türkei in der deutschen Öffentlichkeit, und da geht es vor allem darum, auch deutlich zu machen, für die Türkei zu werben, die Situation in der Türkei zu erklären …
    Armbrüster: Herr Yeneroglu, Augenblick! Das heißt, Hunderte von Journalisten in türkischen Gefängnissen, die gibt es nicht, das sind Falschmeldungen?
    Yeneroglu: Wenn es Hunderte von Journalisten in türkischen Gefängnissen gibt, dann sitzen die nicht in türkischen Gefängnissen, weil sie ihre Tätigkeit als Journalisten ausgeübt haben, sondern weil sie wahrscheinlich irgendwelche Straftaten begangen haben, so wie es auch in Deutschland ist. Es ist ja nicht so, dass Menschen daran gemessen werden, ob sie Journalisten oder sonst welche Berufe ausüben. Wenn irgendwelche Leute Straftaten begehen, dann haben sie diese begangen und dann müssen sie dafür belangt werden.
    "Das, was in der Türkei passiert, ist ein Ergebnis des Putschversuches"
    Armbrüster: So hoch ist die Zahl von deutschen Journalisten in deutschen Gefängnissen allerdings nicht.
    Yeneroglu: Dafür sicherlich andere. Ich meine, keiner hat sich in Deutschland darüber aufgeregt, dass mit der Wiedervereinigung an die 20.000 Lehrer entlassen wurden, weil sie bei der Stasi mitgearbeitet haben, ein Fünftel der Richterschaft in Deutschland entlassen wurde, weil sie bei der Stasi mitgearbeitet haben. Niemand hat sich damals darüber empört. Es kommt einfach darauf an, wie man das verkleidet in Deutschland, und damals hat man das im Sinne der freiheitlich-demokratischen Grundordnung getan. Und das, was in der Türkei passiert, ist ein Ergebnis des Putschversuches und selbstverständlich wird der Rechtsstaat sich mit aller Deutlichkeit, mit aller Klarheit gegen die Putschisten wenden müssen.
    Armbrüster: Sie haben es angesprochen, wir haben diese Säuberungswelle zurzeit in der Türkei. Ich habe es gesagt, die Verhaftungswelle gegen Journalisten auch. Wir haben geschlossene Zeitungen. Da sagen viele Leute in Deutschland jetzt und überall auf der Welt, das ist ein sehr gefährlicher Pfad, auf den sich die Türkei da begeben hat. Jetzt hören wir in dieser Woche außerdem den Vorwurf, dass türkische Imame hier bei uns in Deutschland andere Geistliche ausspioniert haben sollen, um mögliche Anhänger der Gülen-Bewegung an die Türkei zu melden. Ist das jetzt nicht ein bisschen zu viel?
    Yeneroglu: Nein, im Gegenteil. Es ist erst sieben Monate her, dass Teile des türkischen Militärs, unterstützt von ihren Komplizen im Staatsapparat, versucht haben, mit einem blutigen Putschversuch die legitime Regierung in der Türkei zu stürzen. 250 Menschen haben ihr Leben geopfert, mehr als 2000 wurden verletzt. Und aus unserer Sicht steht ohne jeden Zweifel fest, welches pseudoreligiöse Netzwerk diesen Putschversuch zu verantworten hat. Und in diesem Sinne gilt es, über die tagesaktuelle Debatte hinaus, auch zur DITIB hinaus, auch unsere Freunde und Partner im Westen von der Gefahr, die von dieser vermeintlich friedlichen Bewegung ausgeht, mit Fakten und Beweisen zu überzeugen. Und im Übrigen erfüllen die Vorwürfe niemals den Tatbestand der geheimdienstlichen Agententätigkeit. Und um ehrlich zu sein: Ich habe selbst nach dem 11. September in Deutschland erlebt, das gilt nach wie vor, dass muslimische Gemeinschaften zum Stellen von Vertrauenspersonen genötigt werden, um sogenannte Gesinnungsradikale dem polizeilichen Staatsschutz zu melden, und wer das nicht tut, hat in Deutschland viele Schwierigkeiten zu befürchten. Ich habe das am eigenen Leib erlebt und kann das darstellen.
    Kritik an Rundumschlag gegen islamische Religionsgemeinschaft DITIB
    Armbrüster: Und deshalb muss man auch türkische Imame anstellen, sozusagen als Agenten auf deutschem Boden?
    Yeneroglu: Gerade das ist nicht der Fall gewesen. Das wird nicht zuletzt das Ermittlungsverfahren herausstellen. Es ist einfach schlimm, dass vor allem der Justizminister in Deutschland gerade die Vorwürfe gegenüber einzelnen Leuten dafür nutzt, um einen Rundumschlag gegen die islamische Religionsgemeinschaft DITIB zu üben, und dabei versucht, eine massive unvergleichliche Verletzung der Religionsfreiheit, indem auf die Autonomie dieser Religionsgemeinschaft eingewirkt wird, zu leisten.
    Armbrüster: Herr Yeneroglu, vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen. - Mustafa Yeneroglu war das von der türkischen AKP-Partei. Vielen Dank.
    Yeneroglu: Danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.