Donnerstag, 25. April 2024

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Reflexionen Alter Musik
Iranische Blicke auf Francesco Landini

Das Ensemble Mixtura kombiniert in seinen Projekten Musik des Mittelalters mit zeitgenössischen Werken. Auf der aktuellen CD reflektieren iranische Komponisten die Klangsprache des Universalgenies Francesco Landini. Ein ästhetisches Experiment von Gegensätzen.

Am Mikrofon: Yvonne Petitpierre | 30.06.2019
    Die zwei Musikerinnen Katharina Bäuml und Margit Kern stehen gemeinsam vor einer Wand
    Die Interpretinnen Katharina Bäuml und Margit Kern (MIXTURA)
    Musik: Francesco Landini - "Questa fancull’amor" (Ausschnitt)
    "Omaggio a Francesco – West Eastern Reflections on Landini" - so der programmatische Titel der kürzlich beim Label Dreyer Gaido erschienenen CD, die mit zeitgenössischen Werken iranischer Komponisten eine Ikone der Musik des Trecento reflektiert: Francesco Landini. Er gilt als Universalgenie seiner Zeit und hat sich als Komponist zum Meister des Madrigals entwickelt.
    Um 1325 in der Nähe von Florenz geboren, beschäftigte er sich mit Astrologie, Mathematik und Dichtung. Trotz einer Pockenerkrankung in jungen Jahren, die ihm das Augenlicht raubte, baute er Instrumente und spielte Orgel. Hinterlassen hat er etwa 150 mehrstimmige Werke, die in verschiedenen Manuskript-Sammlungen überliefert sind, u.a. im Codex Squarcialupi. Dieser zählt zu den umfangreichsten Quellen der Italienischen Musik des 14. Jahrhunderts, benannt nach seinem späteren Besitzer, dem Florentiner Organisten Antonio Squarcialupi. Madrigale und Ballate verschiedener Komponisten sind hierin zusammengetragen. Neben Kompositionen von Francesco Landini findet sich in diesem Codex auch eine Abbildung, die Landini spielend an einem Orgelpositiv zeigt.
    Dieses Bild hat die beiden Musikerinnen Katharina Bäuml, Schalmei, und Margit Kern, Akkordeon, dazu inspiriert, sich mit der Klangwelt Landinis im Hinblick auf seine nicht verblassende Aktualität auseinanderzusetzen. Ins Blickfeld rückt hier besonders das Akkordeon, da dessen frühesten Wurzeln auf das Orgelpositiv zurückgehen.
    Die Verknüpfung orientalischer Tonskalen mit alten Stimmungen und Intervallschritten stellt zunächst vor klangliche Herausforderungen, die das Duo Mixtura über die Einbindung eines weiteren Instruments, dem arabischen-persischem Hackbrett ähnlichem Psalterium Santur löst. Am Anfang entführt die Einspielung in die Klangwelt von Francesco Landini mit dem Stück "Questa fancull’ amor", in dem alle drei Instrumente mit verschiedenen Spieltechniken in unterschiedlichen ästhetischen Kontexten zum Tragen kommen, um ganz bewusst Grenzen zwischen beiden Kulturkreisen aufzuheben.
    Musik: Francesco Landini - "Questa fancull’amor" (Ausschnitt)
    Lebenszyklus
    Die überlieferten spätmittelalterlichen Ballaten des Francesco Landini setzen Poesie in Musik. Thematisiert werden Themen, die an Aktualität nie verlieren, u.a. die Liebe und der Fluss der Jahreszeiten. "Auch wenn wir den Text nicht unmittelbar präsentieren, nehmen wir ihn in unser Spiel durch Stimmung und Gesten mit auf", betonen Katarina Bäuml und Margit Kern vom Duo Mixtura. Der Blick fällt zunächst auf ein zentrales Stück des Squarcialupi-Zyklus’, die "Ballata Ecco la primavera". Wenn im Frühling alles zu blühen beginnt, erscheint aber auch das Ende schon absehbar.
    Dieses zyklische Zeitdenken im Sinne eines Kreises wird auf vorliegender CD in mehrfachen Versionen kompositorisch gestaltet, u.a. von Farzia Fallah. 1980 in Teheran geboren, hat sie u.a. bei Younghi Pagh-Paan und Jörg Birkenkötter Komposition studiert. Zahlreiche ihrer Kompositionen entstehen als Auftragswerke renommierter Ensembles für zeitgenössische Musik im In- und Ausland. Ihre Auseinandersetzung mit Landini gestaltet Fallah als Hommage an den Komponisten. In seiner Musik habe sie eine implizite Fröhlichkeit entdeckt, die sie inspiriert hat. Mit "Ecco la primavera" greift sie auf eine Ballata zurück, deren Dreiertakt und beschwingten Rhythmus Farzia Fallah weitgehend übernimmt ."Im Ohr klingend – die Frühlingsmusik des alten Meisters vor Augen aufblühend - die lächelnden Laubbäume in den duftenden Märztagen, an der Schwelle zum persischen Neujahr für naturzelebrierende Schalmei und weltumarmendes Akkordeon" - schreibt Fallah über ihre 2017 entstandene Komposition.
    Musik: Farzia Fallah - "Ecco la primavera - Omaggio a Francesco Landini" (Aussschnitt)
    Katharina Bäuml, Schalmei, studierte zunächst moderne Oboe, ehe sie sich in Basel an der Scola Cantorum auf historische Rohrblattinstrumente spezialisierte. Mit ihrem Ensemble Capella de la Torre widmet sie sich neben alter Musik vermehrt zeitgenössischen Kompositionen. Margit Kern studierte Akkordeon bei Hugo Noth sowie Matti Rantanen und konzertiert als Solistin oder in Kammermusikformationen und spielt regelmäßig Uraufführungen zeitgenössischer Komponisten.
    2011 haben sich beide zum Duo Mixtura formiert, das gelegentlich durch Gastmusiker erweitert wird. Gemeinsam entwickeln sie Programme, die Musik des Mittelalters oder der Renaissance mit neuer Musik kombinieren. Dazu vergeben sie Kompositionsaufträge unter der Vorgabe, immer an einen Ausgangspunkt der historischen Quelle so anzuknüpfen, dass sich beide musikalischen Sprachen miteinander verbinden lassen.
    Um an eine weitere zeitgenössische Komposition iranischen Ursprungs anzuknüpfen, schaffen zunächst die beiden Santurspieler Ehsan Ebrahimi und Arsalan Abedian mit einer traditionell konzipierten persischen Improvisation "Reflections on Ecco" ein kurzes Verbindungsmoment.
    Musik: "Reflections on Ecco" - Improvisation
    Kulturbrücke
    Arsalan Abedian aus Teheran, Jahrgang 1984, lebt und arbeitet als Komponist sowie Santurspieler in Hannover. Auf Francesco Landini nimmt er Bezug mit der fünfteiligen Komposition unter dem Titel "LANDinitalisierung". Zunächst spielen vier Stimmen mit Schalmei, Akkordeon und einem Satur-Duo, ehe Schalmei und Akkordeon einander solistisch begegnen. Arsalan Arbedian nimmt mit seiner Titelgebung nicht nur Bezug auf Landini selbst, sondern auch auf die Gestaltung einer bestimmten Form der Programmierung: "Hier bedeutet Initialisierung die Zuweisung eines Initial- oder Anfangswertes zu einem Objekt oder einer Variablen. In dieser Komposition verstehen sich die kompositorischen Gedanken und Mittel als ebensolche Anfangswerte, die auf unterschiedliche Arten und Weisen in einem Bezug zu Francesco Landini stehen", kommentiert Arsalan Abedian.
    Musik: Arsalan Abedian - "LANDinitialisierung" (Ausschnitt)
    Immer wieder schlagen in dieser klangintensiven Einspielung kurze Original-Stücke von Franceso Landini mit lyrisch-virtuosen Momenten die Brücke zu einer erneuten Reflektion aus iranischer Feder. Farzia Fallah komponiert 2016 "In sechs Richtungen". Das Akkordeon als Solo-Instrument steht hier im Mittelpunkt, wobei im Vorfeld aufgenommene Klänge eines weiteren, aus dem persischen Raum stammenden Saiteninstruments zugespielt werden. Hierbei handelt es sich um die sehr alte, traditionsreiche drei-saitge Tanbur, vergleichbar mit einer Laute.
    Farzia Fallah greift auf das Gedicht "Heimat" eines angesehenen persischen Sufi-Mystikers und Dichters aus dem 13. Jahrhundert zurück. Die Suche nach einem Gefühl von Heimat kann sich nicht nur auf einen Ort beziehen und verlange daher nach Wegen in mehrere, konkret in sechs Richtungen. Farzia Fallah möchte über die Kombination von Live Klängen des Akkordeon und die durch Lautsprecher abstrahierten zugespielten Tanbur-Klängen einer Suche zwischen den Welten Raum geben.
    Musik: Farzia Fallah - "In sechs Richtungen" (Ausschnitt)
    Sprachrhythmus
    Eine weitere, teilweise tief an vertrauten Emotionen rüttelnde Auseinandersetzung mit der Musik von Landini liefert Ehsan Ebrahimi mit seinem klanglich vielschichtigen Stück "Bitterer Wein" nach einem Gedicht des persischen Lyrikers Hafis aus dem 14. Jahrhundert. 1980 in Maschad geboren, studiert Ebrahimi seit 2012 in Hannover und Bremen Komposition sowie elektronische Musik und ist darüberhinaus als Santur-Spieler tätig, so auch in der aktuellen Einspielung.
    "In diesem Stück versuche ich eine Verbindung zwischen Rhythmus und Sinn des Gedichtes von Hafis mit der Musik von Francesco Landini sowie meiner Komposition herzustellen", notiert Eshan Ebrahimi im begleitenden Booklet. In seiner Komposition spielt nicht nur die Verbindung zur iranischen Musik eine wichtige Rolle, sondern auch zur iranischen Kultur und dem Rhythmus der Sprache.
    Die Suche nach neuen Klang-Momenten und spezifischen Spielmöglichkeiten des Akkordeons überrascht und birgt etwas Magisches, das einen beim Hören nicht unberührt lässt. In den Vordergrund rückt dabei u.a. das Klingen der Registerzüge am Instrument, die normalerweise gar nicht gehört werden dürfen oder ein seitliches Strömen der Luft durch die Bohrungen der Schalmei.
    Musik: Ehsan Ebrahimi - "Bitterer Wein" (Ausschnitt)
    Omaggio a Francesco
    West-Eastern Reflections on Landini
    DUO MIXTURA
    Katharina Bäuml, Schalmei
    Mardit Kern, Akkordeon
    CD Dreyer Gaido