Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Reflexionen über die Schrecken des Krieges

Yuseff Bazzi lebt in Beirut als angesehner Journalist. Doch als 14-Jähriger gehörte er einer Miliz an, die im libanesischen Bürgerkrieg kämpfte. Die brutalen Erfahrungen und Erlebnisse hat Bazzi jetzt in einem Buch verarbeitet.

Von Kersten Knipp | 02.07.2009
    Im Sommer 1981 wird Yuseff Bazzi Mitglied der Milizen der Syrischen Sozialen Nationalistischen Partei. 14 Jahre ist er da, also alt genug zum Kampf. Schließlich tobt der Bürgerkrieg im Libanon bereits seit sechs Jahren, viel Blut ist geflossen. Und jede Hand, die ein Gewehr halten kann, und sei sie noch so jung, wird dringend gebraucht. Einkleiden also, Waffen und Patronengürtel angelegt, und der Kampf geht los - fünf Jahre lang, die in diesem Buch auf knapp 80 atemlose(n) Seiten vorüberziehen. Yussefs Leben ist Kampf. Und auch sein Buch ist Kampf - schnell, drastisch und brutal.

    "Um das Jahr 2000 entdeckt ich die neuen Kunstwellen in Beirut: die Videoclips, eine neue Theatersprache, den Hip-Hop, die Kultur der Chatrooms. Viele der jungen Leute, die diese Kunst praktizieren, lesen kaum mehr, sie mögen keine Bücher. Außerdem hat diese junge Generation keine Erinnerung mehr an den Bürgerkrieg. Ihre Kultur kennt kein historisches Bewusstsein, und das könnte irgendwann wieder zu einem neuen Krieg führen. So wollte ich mit meinem Buch dieser jungen Generation zeigen, was es heißt, im Krieg zu leben. Um die Leute aber zu erreichen schrieb ich es im Stil eines Comics oder Videoclips."

    Der im April 1975 ausbrechende Bürgerkrieg hat eine uralte Vorgeschichte: Er ist eine Spätfolge jener Rivalitäten, die sich die beiden Kolonialmächte England und Frankreich im 19. Jahrhundert lieferten. Dabei setzten sie auf lokale Bündnispartner und spalteten das Land so entlang ethnischer und religiöser Gruppen. Die seitdem existierenden Rivalitäten sind hausgemacht - nur dass man sich des Ursprungs dieser Spannungen nicht mehr erinnert oder erinnern will. Stattdessen bekämpfen die Milizen einander, was das Zeug hält, bekriegen sich in unruhigen, stets wechselnden Allianzen, die sich durch den Einmarsch des syrischen und israelischen Militärs nur noch weiter zuspitzen.

    So findet sich auch der Erzähler an stets wechselnden Einsatzorten, an Fronten, die sich ebenso schnell auflösen wie der Handlungsfaden des Buches. Kämpfen, ausruhen, wieder kämpfen. Dazwischen Geiseln und Gefangene nehmen, sie foltern und bisweilen töten - das ist, über Jahre, der Alltag des Erzählers, ein Chaos ohne Ordnung, ohne langfristige zumindest, allein den Launen des Krieges und der Allianzen gehorchend. Ein drängendes Präsenz herrscht darum vor, ein nervöser, wegdrängender Stil, kurzatmiges Stakkato, bedrängt von einer übermächtigen Gegenwart. Der deutschen Ausgabe ist ein ausführliches Glossar beigegeben, das Aufschluss über die Kriegsparteien gibt. Doch wer wann gegen wen kämpft, erschließt sich angesichts der stets wechselnden Bündnisse kaum. Einen Erzähler, der für Ordnung sorgte, der erläuterte, worum es in dieser und jener Schlacht eigentlich geht, sucht man vergebens. Das ist durchaus gewollt, erläutert Bazzi.

    "Ich wollte in dieses Buch keine Hinweise darauf geben, wie ich die Dinge selber sehe, was ich empfand, was ich für gut oder falsch hielt. Ich habe die Dinge so beschrieben, wie ich sie in Erinnerung habe, also aus der Perspektive eines wesentlich jüngeren Menschen. Diese Figur nimmt die Welt um sich herum wahr, aber ich, der Autor, kommentiere sie nicht. Ich will dem Leser Gelegenheit geben, sich seine eigenen Eindrücke zu machen."

    An Anschauungsmaterial fehlt es nicht. Auf einer Lesung im Frühjahr las Bazzi einige Passagen aus seinem Buch - ein Buch im übrigen, das man kaum als Roman bezeichnen kann, und auch nicht als Tagebuch. Vielleicht als Dokument eines zerfahrenen Genres, für das sich ein Name erst noch bilden muss. Eines Genres jedenfalls, das für Reflexionen über den Schrecken des Krieges keine Zeit hat. Stattdessen zeigt es diesen Schrecken unmittelbar.
    Vor seiner Rekrutierung hatte der junge Milizionär bereits anderswo gegen die Truppen des Feindes gekämpft. Von einem Dach aus liefert sich seine Gruppe ein Feuergefecht mit den Feinden; als aus den gegnerischen Reihen ein Fahrzeug auf ihr Gebäude zurast, nehmen sie es unter Granatenbeschuss - bis es sich, Zitat, "aus einen brennenden Klumpen aus Fleisch und Metall verwandelt hat."
    Das Buch hat den gleichen Krieg zum Thema, den auch "Waltz with Bashir", der Film des israelischen Regisseurs Ari Folman beschreibt. Wohl nicht zufällig greift er das Thema auf die gleiche Weise wie Bazzi auf. Schnelle Schnitte, eine sich überstürzende Wirklichkeit, die - vergebliche - Mühe, sie zu verstehen.

    Zu all dem der Sound des Krieges, harte Rockmusik, eine vulgäre, brutale Sprache. Die Ästhetik des Kampfes also, die die an ihm Beteiligten für eine Weile aufputscht, die aber gerade aus der Distanz, der Rückschau ihren obszönen Charakter entblößt, den Zynismus, mit dem die bellizistische Psychologie auf die jungen Kämpferseelen einwirkt, sie antreibt, ihrer selbst entfremdet. So schaut Arafat den jungen Kämpfer auch nicht an, lächelt ihm darum auch nicht zu. All das ist Einbildung, wishful thinking, Traum eines aufgepeitschten Kriegers. Von diesen Traumschüben wird er sich nicht erholen - während der Kämpfe nicht, und auch nicht in der ihnen folgenden Zeit. Die kann sich, wie man insbesondere seit dem Vietnamkrieg weiß, über Jahre erstrecken. Und tatsächlich schüttelt auch Yussef Bazzi, der Libanon-Veteran, die alten Erfahrungen nur mühsam ab.

    "Ich fühle mich auf gewisse Weise schuldig; denn nach dem Krieg erkannte ich, wie sehr ich in diese Dinge verwickelt war, wie sehr ich mein Land und mich selbst zerstört hatte. Seitdem bemühe ich mich darum, ein Bürger zu werden - ein anständiger Bürger meines Landes, der sich vom Hass losgesagt hat."

    Die Ankunft im Bürgertum scheint gelungen: In Beirut, wo er nach Jahren im afrikanischen Exil mittlerweile wieder lebt, ist Bazzi ein angesehener Journalist. Dass das Buch auf moralische Töne verzichtet, macht es umso glaubwürdiger. Denn wo, wie auch heute noch, machtvolle Gruppen ihre Interessen energisch durchsetzen, den Libanon eher als Exerzierplatz undurchsichtiger Strategiespiele denn als freien und unabhängigen Staat betrachten - da richtet ein erhobener Zeigefinger ohnehin nichts aus.

    Yussef Bazzi: "Yassir Arafat sah mich an und lächelte", Diaphanes, 102 S., EUR 14,90