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Reformideen in Portugal
Regierung will ländliche Regionen stärken

Portugals Regionen im Landesinneren sind politisch und wirtschaftlich abgeschlagen. Das will die Regierung unter Ministerpräsident António Costa ändern: Regionen sollen mehr Befugnisse erhalten und besser auf ihre Bedürfnisse reagieren können.

Von Tilo Wagner | 15.01.2020
Der portugiesische Ministerpräsident Antonio Costa bei einer Ansprache anlässlich der Parlamentsdebatte des portugiesischen Finanzausschusses in Lissabon am 22.02.2016.
Das Kabinett unter Premierminister António Costa plant für das Landesinnere etwa Steuererleichterungen für Unternehmer (picture alliance / Tiago Petinga)
Leandro Fernandes hat vor eineinhalb Jahren in Castelo Branco, einer 35.000-Einwohner-Stadt in der Nähe der portugiesisch-spanischen Grenze, sein Abitur gemacht. Eigentlich wollte der 20-Jährige an der Fachhochschule vor Ort einen Bachelor in "Erneuerbare Energien" machen – doch der Studiengang kam nicht zustande, weil sich nicht genügend Studierende einschrieben.
Fernandes hätte, so wie viele seiner Altersgenossen, aus der dünn besiedelten Region zum Studium nach Lissabon, Coimbra oder Porto gehen können. Aber er wollte nicht weg aus seinem Dorf, das rund 20 Kilometer nördlich von Castelo Branco gelegen ist.
Kaum Perspektiven im ländlichen Raum
"Lissabon ist mir einfach zu stressig. Hier auf dem Land ist die Lebensqualität viel besser, weil alles preiswerter ist. Deshalb würden eigentlich viele Leute gerne hier leben, aber sie finden keinen Job. Vor allem in der Industrie gibt es kaum noch Arbeit."
Viele seiner ehemaligen Klassenkameraden sind deshalb – auf der Suche nach einem festen Job – zum Militär und zur Polizei gegangen, oder sie arbeiten nun in einem Call-Center. Fernandes wollte mehr riskieren und zusammen mit einem Freund einen eigenen Herren-Friseur-Salon aufmachen:
"Wir haben uns bei einem staatlichen Förderungsprogramm für Jungunternehmer beworben. Wir wollten nur einen kleinen Anschubkredit. Aber die Behörde hat das abgelehnt, weil sie angeblich nur Projekte mit höheren Investitionssummen fördert."
Im Landesinneren Portugals kann sich Leandro Fernandes also nur schwer mit einem Studium oder mit einem eigenen Geschäft verwirklichen. Diese Schwierigkeiten kennen auch andere junge Menschen im ländlichen Raum. Dabei will die portugiesische Regierung genau diese Regionen stärken, weil sie in Demographie, Bildung, Wirtschaft und Einkommen weiter hinter den Entwicklungsstandards der küstennahen Städte zurückliegen
Regierung will regionalisieren
Deshalb plant das Kabinett unter Premierminister António Costa für das Landesinnere etwa Steuererleichterungen für Unternehmer und die Schaffung von Studienplätzen in beliebten Fächern wie Medizin.
Aber die Sozialisten wollen noch einen Schritt weitergehen und eine neue Verwaltungsebene schaffen, ungefähr vergleichbar mit den Bundesländern in Deutschland, die von der Zentralregierung wichtige Aufgabenbereiche übernehmen soll.
Sie bauen auf die Unterstützung der konservativen PSD, um eine notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit zu erreichen. Die Unterstützung der größten Oppositionspartei ist allerdings noch offen.
Skepsis gegenüber einer Reform
Marco Domingues, ein Sozialarbeiter, der sich mit seinem Bürgerverein in Castelo Branco für mehr Entwicklung in der Region einsetzt, unterstützt die Pläne der Regierung prinzipiell. Er warnt aber vor einer überstürzten Verwaltungsreform.
"Ich halte es sogar für gefährlich, wenn Macht einfach so von einer nationalen auf eine regionale Ebene übertragen wird, ohne dass die Menschen in der Region an diesem Prozess aktiv beteiligt sind. Es ist ein Vorteil, wenn sich politische Entscheidungsträger in unserer Nähe befinden, aber wenn wir der Politik nicht trauen können, kann das auch nach hinten losgehen."
Domingues verweist dabei auf ein Ereignis aus dem vergangenen Jahr: Lokalpolitiker mussten ihren Hut nehmen, nachdem Polizei und Justiz schwere Korruptionsfälle aufgedeckt hatten. Deshalb hofft Marco Domingues, dass nicht die Lokalpolitiker, sondern die Menschen in den vernachlässigten Regionen im Landesinneren ihre Zukunft freier gestalten können:
"Wir leben in einer Demokratie, in der die Mehrheit entscheidet. Und die Mehrheit ist dort, wo die meisten Menschen leben. Deshalb müssen die Menschen hier in den dünn besiedelten Regionen unterstützende Maßnahmen erarbeiten, die uns einfach besser stellen."
Zum Beispiel durch die Förderung von kleinen Unternehmen wie den Herrenfrisör-Salon von Leandro Fernandes. Der junge Mann hat sich am Ende das fehlende Geld von der Familie geliehen – und sein boomender kleiner Laden im Herzen von Castelo Branco ist zum Treffpunkt von Jung und Alt geworden.