Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Regierung im Zickzackkurs

Nach dem erneuten Störfall im Kernkraftwerk Krümmel bei Hamburg wird der von Rot-Grün beschlossene Atomausstieg erneut heftig diskutiert und zum Wahlkampfthema. In Spanien verläuft die Debatte ähnlich kontrovers. Wegen der Wirtschaftskrise wollen viele am billigen Atomstrom länger festhalten.

Von Hans-Günter Kellner | 07.07.2009
    "Zapatero - Garona ist sicher - Garona schließt man nicht", rufen rund 200 Demonstranten in der Madrider Innenstadt. 330 Kilometer sind sie vom Tal von Tobalina in Nordspanien nach Madrid gefahren, um für ihr Atomkraftwerk zu werben. Zur gleichen Zeit demonstrieren auch Umweltschützer vor dem Industrieministerium für eine Schließung der fast 40 Jahren alten Anlage, deren Betriebsgenehmigung im nächsten Jahr ausläuft. Im Tal von Tobalina ist die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust weit größer, als vor den Strahlen. Denn sonst gibt es dort nur Weizenfelder, erklärt Yoli, die wie auch ihr Mann in dem Kraftwerk angestellt ist:
    "Wenn das AKW geschlossen wird, sitzen wir auf der Straße. Wir würden kein Übergangsgeld erhalten, keine Entschädigung, nichts. Wir haben keine festen Verträge, unsere Arbeitsverträge gelten nur für dieses Kraftwerk. Wir müssten wegziehen. Mit unserem Hauskredit, mit den Kindern, irgendwohin, ohne irgendein Ziel."
    Es geht nicht um die Sicherheit der Energieversorgung in Spanien: Das 1970 von Diktator Franco eingeweihte AKW liefert knapp einen Prozent des spanischen Stroms. Doch für die Umweltschützer steht das Bekenntnis von Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero für die erneuerbaren Energiequellen auf dem Prüfstand. Die Atomkraft sei teuer und behindere den Fortschritt Ausbau der erneuerbarer Energien aus Sonne, Wind und Wasser, sagte Zapatero bisher. Doch Garoña will er nun bis 2013 am Netz lassen.
    "Das ist eine ausgewogene und verantwortbare Entscheidung. Sie entspricht einer Energiepolitik, die nach vorne schaut. Und die auf folgenden Prinzipien fußt: Die Atomkraft so lange wie nötig, aber nicht länger als nötig aufrecht erhalten. Vor allem aber: Die erneuerbaren Energiequellen fördern. Ihnen gehört die Zukunft."
    Mit diesem Zickzack-Kurs der Regierung ist niemand zufrieden. Weder die Betreiber, die Energiekonzerne Endesa und Iberdrola, die Spaniens ältestes Kraftwerk zehn Jahre länger am Netz behalten wollten - und die Umweltschützer schon gar nicht. Auch auf politischer Ebene bläst Zapatero ein scharfer Wind entgegen: Während die kleineren linken Parteien Zapatero vorwerfen, es mit einer salomonischen Entscheidung allen recht machen zu wollen, antwortet Oppositionsführer Rajoy mit einem klaren Bekenntnis zur Kernenergie.
    "Das ist eine absurde Entscheidung, entsprungen aus einer Laune des Regierungschefs. Die Atomaufsicht hatte einstimmig empfohlen, die Laufzeit um zehn Jahre zu verlängern."
    Die Aufsichtsbehörde ist nach Parteienproporz zusammengestellt, ihre Empfehlungen sind nicht bindend. Umweltschützer werfen ihr sogar Nachlässigkeiten vor. Denn immer wieder kommt es zu Zwischenfällen, bei denen gelegentlich auch Radioaktivität freigesetzt wird. So wurde vergangenes Jahr im Falle des Reaktors Vandellós, der bei Tarragona am Mittelmeer liegt, erst fünf Monate nach dem Entweichen radioaktiver Partikel die Bevölkerung informiert. Auch in Garoña gibt es Probleme, und Frage der Endlagerung ausgebrannter Brennelemente sind auch in Spanien noch nicht geklärt, erklärt Juan López de Ugalde von Greenpeace:
    "Eines der bekanntesten Probleme sind die Risse in der Reaktorkuppel und in einigen Komponenten. Im Volksmund ist Garona daher auch als das AKW der 1001 Risse bekannt. Die Atomaufsicht erwähnt dieses Problem nicht einmal. Aber das ist nicht alles. Was die Atomaufsicht auch ignoriert ist das Problem der Lagerung ausgebrannter Brennstäbe. Das Kühlbecken dafür ist ab 2015 voll."
    Die Vorstellung von der billigen Atomkraft gewinnt wegen der Wirtschaftskrise in Spanien jetzt wieder mehr Sympathien. Dabei ist die Kernenergie eigentlich auf dem Rückzug. Die Atommailer liefern nur noch 18 Prozent des Stroms, fast die Hälfte wie 2002. Fast ein Viertel kommt hingegen aus erneuerbaren Energiequellen. Zapatero verspricht, weiter auf Wind, Wasserkraft und Sonne zu setzen. Doch mit seiner Entscheidung zu Garoña hat Spaniens Regierungschef für viele an Glaubwürdigkeit verloren - die er mit einer Debatte zur Energieversorgung für die nächsten 30 Jahre zurückgewinnen möchte.