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Regierungskrise in Tschechien

Die tschechische Bevölkerung ist peinlich berührt darüber, dass ihr Premier Stanislav Gross noch immer im Amt ist. Der einst beliebte Politiker und jüngste Premierminister Europas ist zur Marionette der Kommunisten geworden. Dennoch sind vorgezogene Neuwahlen bisher kein Thema.

Von Sabine Stöhr |
    "Schande! Schande! Schande - Ich bin gegen Gross, er ist eine Schande für unseren Staat, wir sehen, dass er sich für jeden Preis an der Macht halten will. Gross ist der Typ des korrupten Politikers, der nicht in der Lage ist, seine Vermögensverhältnisse zu erklären. Und auch mit seiner Politik zeigt er uns, dass er jemand ist, den wir in unserem Staat nicht brauchen.

    Er ist ein furchtbarer Mensch, es wundert mich, dass er sich überhaupt öffentlich zeigt. Und es stört mich, dass er absolut ohne Charakter ist; er sollte schon längst zurückgetreten sein. Ich denke, etwas Ähnliches könnte in anderen Ländern nicht passieren. "

    Die Menschen auf einer Demonstration in Prag gegen die Regierung sind mehr als verärgert. Sie sind wütend und fühlen sich hilflos und wollen jetzt selbst etwas gegen ihren Premierminister unternehmen. Kaum zu glauben, dass Premier Stanislav Gross einmal der beliebteste Politiker in Tschechien war. In den letzten Umfragen hat er dramatisch an Vertrauen verloren und ist jetzt für die meisten Tschechen nicht mehr der beliebteste, sondern der peinlichste Ministerpräsident.

    Einige zahlen auch gern 3000 tschechische Kronen, also ca. 100 Euro, dafür, das ganz öffentlich zu bestätigen. Für diesen Betrag nämlich erscheint ihr Foto auf mehreren Quadratmeter großen Plakatwänden, auf dem es heißt: Ich schäme mich für meinen Ministerpräsidenten. Die Plakate stehen zur Zeit an stark belebten Verkehrsknotenpunkten rund um Prag. Viele Tschechen können nicht oft genug betonen, wie enttäuscht sie sind:

    "Das ist traurig, dass wir so einen Premier haben. Ein Politiker kann lächerlich sein, er kann grausam sein, aber er darf aus sich keinen Clown machen. Aber das ist genau das, was Gross aus sich gemacht hat."

    "Das ist eine internationale Schande, eigentlich müsste Gross zurücktreten und zwar sofort. Er hat wohl überhaupt keine Ehre."

    Als Stanislav Gross noch Innenminister und stellvertretender Premierminister unter Vladimir Spidla war - das waren seine guten Zeiten. Er tat sich weder durch besondere Erfolge noch durch schlimme Patzer hervor und die Medien ließen ihn in Ruhe. So wurde er zum smarten Sonnyboy: jung, unkonventionell, ein bisschen charismatisch und mit einem Hauch von moderner zukunftsorientierter Politik.

    Im August 2004 dann stieg er über Nacht zu Europas jüngstem Premierminister auf, nachdem sein Vorgänger Spidla zurückgetreten war. Der hatte damit die Konsequenzen aus der Niederlage der Sozialdemokraten bei den Wahlen zum Europa-Parlament gezogen.

    Jetzt hofften die Tschechen und auch viele Sozialdemokraten, dass mit Gross frischer Wind an die Spitze der Regierung kommt. Einer Regierung aus einer Drei-Parteien-Koalition, die nur über eine hauchdünne Mehrheit im Parlament verfügte, nämlich über 101 von 200 Stimmen.

    Doch es dauerte nicht lange, da brach die erste Affäre über Gross herein: Seit dem vergangenen Herbst laufen Ermittlungen gegen ihn, weil er rechtswidrig Polizeieinheiten aufstellen ließ, deren Sinn sich immer noch nicht erschließt. Gross sagt, sie bekämpften die verbreitete Wirtschaftskriminalität. Böse Zungen dagegen behaupten, er habe durch die Polizeieinheiten seine Mitstreiter bespitzeln lassen.

    Und Gross konnte dies bisher nicht entkräften. Stattdessen verstrickte er sich immer mehr in dubios klingende Ausreden. - Genauso wie in der aktuellen sogenannten Immobilienaffäre: Darin geht es um seine private Luxuswohnung, die er nachweislich nicht aus seinem eigenen Vermögen bezahlen konnte. Von einem Verwandten, so sagte er in einer Parlamentssitzung im Februar, habe er das Geld bekommen:

    "Ich sehe keinen Grund, warum ich nicht von meinem Onkel das Geld leihen könnte und muss darüber keine Rechenschaft ablegen. Weil viele Leute in unserer Familie wissen, dass mir dieser Kredit gegeben wurde."

    Und beantwortet damit die Frage, warum er über den Kredit seines Onkels keinen Nachweis liefern kann. Denn ihm wird vorgeworfen, das Geld komme möglicherweise aus zweifelhaften Geldgeschäften. Gross schweigt sich dazu weiter aus oder verheddert sich in skurril und fadenscheinig wirkenden Ausreden. Zwar hat er sich entschuldigt und die Affäre damit selbst für beendet erklärt. Doch der Druck der Medien ist gewachsen und der junge Emporkömmling Gross weiß offensichtlich nicht, wie er damit umgehen soll.

    Die christdemokratischen Abgeordneten unter ihrem Parteichef Kalousek begannen schon bald seinen Rücktritt zu fordern. Abgeordnete aus der liberalen Freiheitsunion schlossen sich an. Und auch die tschechischen Wähler sahen in ihm bis dahin schon längst einen machtbesessenen Strippenzieher, der nicht ehrlich und nicht vertrauenswürdig sei:

    "Es ist zum Lachen, das ist ja ein junger Kerl, der versteht überhaupt nichts; man sieht das daran wie er redet, wie er sich benimmt, das ist eine Schande für die ganze Republik. Wenn es so junge Menschen in eine solch hohe Funktion schaffen, dann verdreht ihnen das den Kopf. Und sie verändern sich, weil sie glauben, sich alles erlauben zu können."

    Sagt ein Bankangestellter als er von der Arbeit nach Hause geht. - Außerdem wirft man dem jungen Stanislav Gross vor, dass er die sozialdemokratische Partei, die CSSD nicht führen kann. Sein Rückhalt in der Partei bröckelte tatsächlich. Dennoch wählten ihn die Delegierten zu Ostern mit einer knappen Mehrheit wieder zum Parteivorsitzenden. Denn hätten sie Gross aufgegeben, wären sie selbst in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Dem Ansehen der CSSD schadet die Krise dennoch enorm.

    Seit 1998 stellen die Sozialdemokraten den Regierungschef und bestimmen die Politik Tschechiens. Mit 70 Abgeordneten ist die Partei größte Fraktion im Parlament und bis zum vergangenen Sommer schien die Koalition mit den Christdemokraten und der liberalen Freiheitsunion auch stabil zu sein. Doch dann kamen die Europawahlen, bei denen die CSSD dramatische Wählereinbußen hinnehmen musste. Damals, im Juni 2004, hatte die Partei unter dem arbeitsamen, aber blassen Vladimir Spidla stark an Profil verloren – die Bevölkerung hatte außerdem Angst vor ihrer Reformpolitik. Und jetzt noch die Affären von Stanislav Gross! Aber Gross und seine peinlichen Angelegenheiten sind nur vordergründig das Problem der tschechischen Sozialdemokraten. Denn sie verdecken, dass es innerhalb der Partei schon seit langem immer wieder zu Streitigkeiten kommt: die tschechischen Sozialdemokraten sind in sich nicht geschlossen, erklärt der Politikwissenschaftler und politische Beobachter Jiri Pehe:

    "Die Sozialdemokraten in der tschechischen Republik haben sich im Grunde nie zu einer modernen Sozialdemokratischen Partei entwickelt. Ihre Politik lässt sich eher als eine Politik der Macht als eine der Ideen charakterisieren. Eigentlich hat sie aus den verschiedenen Strömungen nie zu einer einigen Partei gefunden und nie den Prozess der Modernisierung durchlaufen. Sie ist eine sozialistische demokratische Partei nach altem Zuschnitt geblieben."

    Unter Stanislav Gross kristallisierten sich zwei Flügel stärker heraus: der Reformflügel - unter Stanislav Gross, und der Flügel der konservativen Linken.
    Premier Gross möchte die CSSD nach dem Vorbild Tony Blairs oder auch Gerhard Schröders zu einer Mitte-Links-Partei machen. Mit einem harten Reformkurs, der sich vor allem auf Themen wie Steuern, Rente oder auch die Einführung von Studiengebühren konzentriert. Solch eine Wirtschafts- und Sozialpolitik ist allerdings nicht nach dem Geschmack des linken Flügels der Partei. Der trauert noch dem ehemaligen, konservativen Premier Milos Zeman nach und tendiert zur Kooperation mit den Kommunisten. Doch die Partei muss sich entscheiden, sagt Jiri Pehe:

    "Sie muss tatsächlich klären, ob sie eine soziale Partei nach dem Vorbild von Blair sein möchte, das heißt die Partei des dritten Weges, oder ob sie eine traditionelle sozialdemokartische Partei bleiben will, das heißt also eher eine sozialistische Partei."

    Außerdem brauche sie mehr junge Leute, sonst bleibe sie in ihrer Identitätskrise stecken. Und: Die CSSD sucht nun auch vergeblich nach ihren Stammwählern. Der Verlust an Profil und Glaubwürdigkeit zeigt sich immer deutlicher in sinkenden Umfragewerten und so ist zu erwarten, dass die Sozialdemokraten bei den nächsten Parlamentswahlen einer schweren Niederlage entgegen gehen.

    Die tschechischen Christdemokraten, die bis vor kurzem noch mit den Sozialdemokraten und der Freiheitsunion die Regierungskoalition stellten. Sie waren die ersten, die sich unter ihrem Parteivorsitzenden Miroslav Kalousek auf Gross und die Immobilienaffäre gestürzt haben – aus strategischen Gründen. Denn nur so konnten sie das sinkende sozialdemokratische Schiff unter Gross rechtzeitig verlassen.

    Neuwahlen würden den Christdemokraten sehr zu Pass kommen. Die KDU-CSL, wie sich die Christdemokraten in Tschechien nennen, hat einen loyalen Wählerstamm und bei Umfragen erreichen sie Werte von rund 10 Prozent, so dass sie sicher in einem neu gewählten Parlament wieder als Koalitionspartner zur Verfügung stünden – diesmal aber gern der heutigen Opposition.

    So entwickelte sich der Gross’sche Immobilienskandal allmählich zu einem reinen Streit um Macht und persönliche Profilierung: Parteichef Miroslav Kalousk hatte für das Fortbestehen der Koalition zur Bedingung gemacht, dass Premier Gross zurücktritt. Und: Er hatte den Sozialdemokraten bis zum Parteitag an Ostern Zeit gegeben, den Regierungschef zurückzuziehen. Das ist bekanntlich nicht passiert - und so sind die Christdemokraten kurz nach Ostern aus der Regierungskoalition ausgeschieden.

    Für eine absolute Mehrheit reichte das nicht mehr aus. Und die Zukunft der Sozialdemokraten unter Gross ist nur gesichert, wenn sie sich von den Kommunisten in einem Minderheitskabinett tolerieren lässt. Damit aber hatte und hat Stanislav Gross überhaupt kein Problem:

    "Dann müssen wir eben in dem begrenzten Spielraum manövrieren, den uns die Wähler bei den letzten Wahlen gegeben haben. Ob es einem passt oder nicht -und sie können mir glauben, mir gefällt das nicht –von den 200 Abgeordneten im Parlament sind 41 Abgeordnete der Kommunistischen Partei. Aber ich kann die vielen tschechischen Bürger, die ihnen ihre Stimme geben haben, doch nicht ignorieren."

    Die Christdemokraten und auch die konservative Oppositionspartei ODS hatten schon Tage vor dem Misstrauensvotum angekündigt, gegen Gross zu stimmen. Neben den Christdemokraten ist vor allem die ODS, die Bürgerpartei mit ihrer Galionsfigur, dem Staatspräsidenten Vaclav Klaus, an Neuwahlen interessiert.

    Die europaskeptische ODS hat Tschechien bis 1998 regiert und das Land nach der Wende zu Beginn der 90er Jahre vor allem durch ihre marktwirtschaftliche Transformationspolitik geprägt. Hervorragende Umfragewerte lassen sie zum lachenden Dritten in der Regierungskrise werden. Die ODS kann bei Neuwahlen fest mit einem Wahlsieg rechnen. Zusammen mit den Christdemokraten stellt sie im Parlament zur Zeit allerdings nur 78 Abgeordnete. Das heißt: keine absolute Mehrheit. Die aber ist notwenig, um Gross zu stürzen.

    Gross musste sich in der vergangenen Woche unbedingt die Stimmen der Kommunisten sichern, denn sie waren das Zünglein an der Waage - und sich der Trumpfkarte in ihren Händen durchaus bewusst, wie der kommunistische Abgeordnete Grebenicek klar machte:

    "Die Kommunistische Partei als linke Partei hat eine Schlüsselbedeutung im Parlament. Das ist unsere Botschaft auch an die Sozialdemokraten. Denn wenn sie in der Regierung bleiben sollten, dann müssen sie damit rechnen, dass wir ständig ihre Arbeit in der Regierung kontrollieren werden."

    Sie enthielten sich nämlich der Stimme: Die Sozialdemokraten können weiterregieren. Ein womöglich sehr geschickter Schachzug der Ultralinken: Weder unterstützten sie damit das Verhalten von Gross, noch brachten sie die Sozialdemokraten in die Bredouille – und übernahmen damit nach eigenen Worten Verantwortung für das Land. Grebenicek:

    "Das Schicksal dieses Landes und seiner Bürger ist wichtig für uns. Deswegen ist es uns wichtig, dass die sozialistische Linke in der tschechischen Republik fähig wäre, in Zukunft eine gemeinsame Sprache mit den Sozialdemokraten zu finden."

    Vorgezogene Neuwahlen sind damit – erst einmal - kein Thema mehr. Die Sozialdemokraten bezahlen das allerdings mit einem hohen Preis – denn sie müssen nun politische Zugeständnisse an eine Partei machen, die sich nie von ihrer Vergangenheit als ehemalige Staatspartei distanziert hat.

    Damit haben die Kommunisten erstmals seit der Wende wieder die Hände direkt am Hebel der Macht – mit einem Ministerpräsidenten Gross, der von ihnen abhängig ist. Und das obwohl die Sozialdemokraten sich erst kürzlich noch einmal darauf geeinigt hatten, dass es auf Landesebene keine Koalition mit den 41 Abgeordneten der Kommunisten geben darf.

    Allein die künftige Kooperation ist schon ein Tabubruch. Denn die tschechischen Kommunisten sind ein ganz besonderer Fall: Sie haben dieselbe totalitäre Rhetorik wie vor 20 Jahren beibehalten und verteidigen die angeblich nationalen Interessen Tschechiens heftig gegen die Europa-Idee. Sie geben sie vor, sich für die Verlierer der europäischen Integrationspolitik einzusetzen – mit einem, wie sie sagen sozial orientierten Programm.

    Und genau dieses Programm wird das Land lähmen. So zumindest sehen es ihre Gegner. Denn für die nächsten 16 Monate bis zu den regulären Neuwahlen hieße das: Keine Reform des Gesundheitswesens, keine Reform des Rentensystems, des Steuersystems und keine Diskussion über die EU-Verfassung.

    Tschechien ist das letzte EU-Land, in dem noch nicht klar ist, wer eigentlich über die Ratifizierung des Verfassungsvertrags entscheiden soll: Das Volk, oder das Parlament. Dies wiederum gibt Staats-Präsident Vaclav Klaus genügend Gelegenheit, nun ebenso seine Kampagne gegen die EU-Verfassung auszuweiten.

    "Dadurch, dass die Regierung im Moment so angreifbar ist und auch angegriffen wird, haben die Euroskeptiker freie Bahn – angeführt von Präsident Vaclav Klaus. Das hat selbstverständlich sehr ernste Folgen, weil die Debatte dann nur sehr einseitig geführt wird bzw. überhaupt nicht stattfindet. Die Politik war bisher nicht fähig, sich darauf zu einigen, in welcher Weise die europäische Verfassung überhaupt ratifiziert werden soll. Durch ein Referendum oder im Parlament. Mit anderen Worten: es herrscht ein großes Chaos in der tschechischen Republik in dieser Beziehung und das ist nur ein weiteres Zeichen der politische Unreife der tschechischen politischen Kultur."

    So die Einschätzung des Politikwissenschaftlers Jiri Pehe.

    Übrigens sind auch Konflikte in der Außenpolitik nicht ausgeschlossen, die Tschechien nicht zuletzt bei den USA und bei vielen westlichen Ländern in Misskredit bringen könnte. Denn schon verlangen die Kommunisten das Ende der tschechischen Mission im Irak. Und Stanislav Gross - abhängig von den Kommunisten - wird deshalb womöglich keinen großen Widerstand leisten.

    Vielen Tschechen macht die wieder erstarkte Macht der Kommunisten Angst:

    "Wir kennen die Kommunisten ja schon von früh,"

    sagt diese ältere Frau – und ihr Mann ergänzt:

    "Die Sozialdemokraten haben ihnen die Tür im Jahr 1948 geöffnet und jetzt ebnen sie ihnen wieder den Weg. Ich fürchte, dass sie in den Wahlen zu einer der stärksten Parteien werden. Weil diejenigen, die früher die Sozialdemokraten gewählt haben, jetzt eher die Kommunisten wählen werden."

    Doch diese Befürchtungen teilt der politische Beobachter Jiri Pehe nicht. Denn die Kommunistische Partei kommt jetzt nicht so plötzlich nach oben wie es nach außen hin vielleicht aussieht. Man hat sich schon seit langem mit ihnen arrangiert:

    "Einerseits hat sich niemand getraut, die Partei zu verbieten. Gleichzeitig arbeiten aber alle mit den Kommunisten zusammen. Auf der kommunalen Ebene ganz offensichtlich, und auf der Landesebene nur indirekt. Aber ich glaube nicht, dass die heutige kommunistische Partei genau so gefährlich ist wie im Jahr 1948. Schon deshalb, weil die Tschechische Republik 2005 nicht mehr die Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg ist. Sie ist jetzt in der EU, in der NATO und es gibt keine Sowjetunion mehr. Diese Partei kann zwar bestimmten politischen Schaden ausüben, aber keinesfalls könnte sie hier einen politischen Putsch durchführen."

    Ministerpräsident Gross hat in den letzten Wochen immer wieder gezeigt, dass ihm die öffentliche Meinung ziemlich gleichgültig ist. Zur Rechtfertigung seines eigenen und auch des Verbleibs der CSSD in der Regierung führt er immer wieder die Erfolge der Partei an, zu denen das Wirtschaftswachstum in Tschechien gehöre, die niedrige Inflation und die erhöhten Löhne. Die tschechischen Bürger macht das wütend - wie diese Lehrerin:

    "Er ist sehr ehrgeizig, und er will weitermachen um jeden Preis. Es ist ihm vollkommen egal, wie es nach außen hin aussieht. Und ihm geht es überhaupt nicht um die Menschen. Er wird für sich selbst sicher bis zur letzten Minute kämpfen, aber das endet eher mit vorgezogenen Neuwahlen."

    Allerdings: Vorgezogene Neuwahlen werden durch die tschechische Verfassung erschwert. Die müsste dazu erst geändert werden. So kann sich der Premier ganz verfassungsgemäß an der Macht halten, - obwohl ihn keiner mehr will.

    Selbst Staatspräsident Vaclav Klaus sind im Moment die Hände gebunden. Auch wenn er noch direkt nach dem gescheiterten Misstrauensvotum forderte, Gross möge sich nun auch der Vertrauensfrage stellen. Ohne diese werde Präsident Klaus die Minister nicht entlassen, die bereits definitiv aus dem Kabinett ausscheiden wollen. Stanislav Gross ließ jedoch auch das völlig unbeeindruckt. Und er kommentierte die Forderung des Präsidenten nach der Vertrauensfrage so:

    ""Es ist keine Frage, dass der Präsident mit dem, was er vorhat, den Rahmen der Verfassung der tschechische Republik überschreitet."

    Und damit hat er sogar Recht. Erst wenn Gross zurücktreten sollte, kann der Präsident intervenieren und einen anderen Politiker mit der Bildung einer Übergangsregierung beauftragen. Zuvor kann Klaus nur versuchen, den Raum, den ihm die Verfassung gibt, geschickt auszunutzen - in der Hoffnung, dass die Betroffenen entsprechend reagieren werden. Bei Gross ist ihm das am Ende gelungen:

    "Im Interesse der politischen und wirtschaftlichen Stabilität des Landes haben wir entschieden, die Vertrauensfrage in absehbarer Zeit dem Parlament zu stellen."

    Denn seine Minister setzen ihren Premier unter Druck. Nachdem mittlerweile bereits vier von ihnen aus der Regierung ausgeschieden sind – darunter auch der christdemokratische Außenminister Cyril Svoboda – drohen weitere der insgesamt 13 Minister mit ihrem Austritt aus dem Kabinett, sollten sie tatsächlich genötigt werden, mit den Kommunisten kooperieren zu müssen.

    Auch der als Reform-Motor geltende parteilose Wirtschaftsminister und Vize-Regierungschef Martin Jahn wollte die Regierung verlassen, sollte es weiterhin keine Vertrauensfrage geben. Und auch die kleine liberale Freiheitsunion droht seit Tagen damit, aus der Regierungskoalition auszuscheiden. Gross musste also schließlich der neuen Prüfung zustimmen.

    Beobachter werten das als ersten Schritt zur Kapitulation vor dem Präsidenten. Noch gibt es aber keinen Termin für die Vertrauensfrage. Sollte es soweit kommen, braucht Gross erneut die Stimmen der Kommunisten – oder deren Enthaltung. Und die fordern als Gegenleistung schon seit Tagen, Gross soll die Frage mit der Abstimmung über ein Gesetz verbinden.

    Den Kommunisten würde zum Beispiel das Gesetz zur Offenlegung des Vermögens von Politikern und höheren Beamten gut gefallen. Und sie argumentieren, dass dies doch ganz gut zur derzeitigen Immobilienaffäre passt. Der Fraktionschef der Kommunistischen Partei, Filip:
    "Wir verbinden das Vertrauen in die tschechische Regierung damit, dass sie den Gesetzesvorschlag über die Offenlegung des Vermögens von Politikern dem Parlament vorlegt. Falls das Gesetz nicht durchkommen sollte, werden wir selbst den Rücktritt der Regierung in die Wege leiten."

    Bis das aber alle Lesungen hinter sich hat vergeht viel Zeit und genau das ist die Strategie der Kommunisten, die Gross weiterhin lenken wollen. Die konservative Opposition bezeichnet das alles einen "üblen Trick", mit dem Gross die Vertrauensabstimmung überstehen will.

    Am Samstag wollen die Sozialdemokraten in einer Sondersitzung über den weiteren Verbleib von Stansilav Gross beraten. Beobachter meinen, es sei nicht auszuschließen, dass Gross eventuell doch noch selbst zurücktritt. Oder aber, dass die Delegierten nicht mehr zu ihm stehen werden.

    Erste Stimmen sind schon zu hören. Denn Präsident Klaus hat bereits zugesichert, mit einer neuen Regierungsbildung als stärkste Partei erneut die Sozialdemokraten zu beauftragen. Die würden dann auch ohne Gross nicht in der Bedeutungslosigkeit verschwinden und könnten sogar die ehemalige Dreierkoalition wieder zum Leben erwecken. Denn die ursprüngliche Bedingung der beiden Koalitionsparteien– der Rücktritt von Gross – die wäre dann ja erfüllt.

    Vaclav Klaus und seiner Partei, der ODS, wäre das nur recht. Sie könnten sich ganz ihn Ruhe auf die regulären Parlamentswahlen im Frühsommer nächsten Jahres vorbereiten. Die Frage ist nur, ob ihnen die Sozialdemokraten noch mal vertrauen werden.

    Die Regierungskrise im tschechischen Parlament ist zu einem bizarren Schauspiel geworden, das den meisten Tschechen mehr als peinlich ist. Die Demokratie in Tschechien ist gerade einmal 15 Jahre alt. Tschechien hatte kaum Zeit, politische Eliten und eine politische Kultur nach dem Vorbild Westeuropas zu entwickeln. Um so schlimmer sei allerdings, dass die tschechischen Wähler Augenzeugen des aktuellen Schauspiel sein müssten, meint Jiri Pehe:

    Ich glaube, dass das Vertrauen der tschechischen Öffentlichkeit in die demokratische Politik dabei ist zu zerbrechen. Dabei haben wir ziemlich großes Glück, dass es uns bereits gelungen ist, in die EU einzutreten. Dadurch haben wir