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Regierungswechsel in Spanien
"Das Ende einer langen Vertrauenskrise"

Dem Sturz von Mariano Rajoy als Regierungschef sei ein langer Prozess der Entfremdung von der Bevölkerung vorausgegangen, sagte der CDU-Außenpolitiker Matern von Marschall (CDU) im Dlf. Die Vorarbeiten Rajoys könnten für den neuen Ministerpräsidenten Pedro Sanchez aber die Basis sein, "einigermaßen stabil zu arbeiten".

Matern von Marschall im Gespräch mit Stephanie Rohde | 02.06.2018
    Der vom Parlament abgewählte Ministerpräsident Rajoy schüttelt seinem Nachfolger Pedro Sánchez im Parlament die Hand.
    Der vom Parlament abgewählte Ministerpräsident Rajoy gratuliert seinem Nachfolger Pedro Sánchez. (AFP / Emilio Naranjo Pool)
    Stephanie Rohde: Zombie oder Frankenstein – diese Wahl hatte das spanische Parlament gestern beim Misstrauensvotum laut Kommentatoren. Als Zombie bezeichnen spanische Medien den ehemaligen spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy seit dem Korruptionsskandal in seiner Partei. Rajoy wiederum, der diffamierte die Sozialisten und ihr geplantes Bündnis als Frankenstein-Regierung. Die Sozialisten haben nach Rajoys Sturz die Regierung übernommen. Neuer Ministerpräsident wird der Sozialistenchef Pedro Sanchez. Könnte die lange totgesagte sozialistische Partei Spanien einen neuen Aufbruch bescheren oder handelt es sich tatsächlich um eine fragile Frankensteinregierung, und muss sich die EU jetzt Sorgen machen, dass Spanien zu viel Geld ausgeben wird – darüber will ich sprechen mit Matern von Marschall von der CDU. Er ist im Bundestag im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und ist auch Berichterstatter für Spanien. Guten Morgen!
    Matern von Marschall: Ja, schönen guten Morgen!
    Rohde: Ist es gut für Spanien, dass die korrupte konservative Volkspartei gestürzt wurde?
    Marschall: Ja, ich will mal so sagen: Es ist ein langer Prozess der Entfremdung der Bevölkerung, aber auch der konservativen Anhänger dieser Partido Populare vom Ministerpräsidenten Rajoy, der als unnahbar und als wenig kompromissbereit galt, und diese Korruptionsaffäre, die ja schon viele, viele Jahre zurückliegt, belastet die Partido Populare sehr, sehr stark, und im Grunde ist das das Ende einer langen Vertrauenskrise.
    Rohde: Das heißt, Sie sind auch froh, dass Ihre Schwesterpartei jetzt vom Fenster ist.
    Marschall: Nein, natürlich bin ich gar nicht froh. Ich bin deswegen nicht froh, weil wir gesehen haben, dass Rajoy die Spanier, das Land Spanien aus einer ganz schweren Wirtschaftskrise herausgeführt hat, auch aus dem Schutzschirm der Troika herausgeführt hat, durch allerdings drastische Sparmaßnahmen, die natürlich die Spanier selbst auch hart getroffen haben, aber das Land erholt sich, hat wieder ein starkes Wirtschaftswachstum, die Beschäftigung nimmt zu. Man sieht also die Früchte dieser harten Arbeit und kann sagen, etwas ironisch, dass vielleicht Sanchez, der neue Premierminister jetzt in der Lage sein wird, diesen Erfolg eigentlich zu ernten, obwohl die Anstrengungen dafür Rajoy und die Partido Populare gemacht haben.
    30 weitere Korruptionsprozesse
    Rohde: Ich würde gerne noch mal bei den Konservativen bleiben: In den kommenden Monaten ist jetzt abzusehen, dass 30 weitere Korruptionsprozesse geführt werden gegen die Konservativen mitunter. Ist diese spanische Volkspartei jetzt endgültig vor die Wand gefahren?
    Marschall: Ja, das ist tatsächlich nicht abzusehen. Ich denke, man muss vielleicht in Erinnerung rufen, früher waren die Konservativen in Spanien eher ein, sagen wir mal: zersplittertes Lager. Aznar, der Vorgänger von Rajoy, hatte geschafft, die Partei zu einen. Rajoy selbst hat das auf perfekte Weise noch mal optimiert. Er ist sozusagen das Machtzentrum dieser Partei, aber das bedeutet auch, dass sie sehr rigide und ziemlich autoritär geführt worden ist, also ein innerer Dialog und eine innere Demokratie in dieser Partei hat eigentlich nicht stattgefunden. Insofern ist die Gefahr, das denke ich, schon groß, dass die Partei jetzt auch droht auseinanderzufallen.
    Rohde: Lassen Sie uns dann auf die Sozialisten schauen um Sanchez. Die waren ja lange totgesagt in Spanien. Was ist Ihre Einschätzung, ist das eine Frankenstein-Regierung, wie Rajoy behauptet?
    Marschall: Ja, Sie sehen an dieser Terminologie auf beiden Seiten, dass in Spanien Kompromissbereitschaft, Mäßigung eher Fremdworte bisweilen sind im politischen Betrieb, und ich denke mal, es ist schon erstaunlich, dass Sanchez, den kann man durchaus als Stehaufmännchen, glaube ich, bezeichnen, hier noch mal den ganz großen Durchbruch geschafft hat, nachdem er zwei Wahlen verloren hat. Die Sozialisten, die PSOE, die haben ja nur ganz wenig Sitze im Parlament: also von den 350 Sitzen nur 84. Das ist ja schon bemerkenswert, dass er jetzt im Grunde genommen als Verlierer mehrerer Wahlgänge und übrigens auch als abgesetzter Parteichef jetzt tatsächlich noch mal den Durchbruch geschafft hat. Ob das dann den Sozialisten auf lange Sicht das Standing rettet, weiß man nicht. Es kommt natürlich drauf an, ob sie überhaupt jetzt erst mal diese Regierung halten können und sozusagen durch eine Führung dieser Regierung, die vermutlich ja weiterhin gute wirtschaftliche Daten wird aufweisen können, wie ich vorhin erläutert habe, auch sozusagen Ansehen in der Bevölkerung genießt, dann könnte es natürlich schon sein, dass sie sich also irgendwie auch auf lange Sicht erholen können.
    Katalonienkrise legalistisch betrachtet
    Rohde: Sanchez muss sehr viele Versprechungen machen in verschiedene Richtungen, um diese Minderheitsregierung irgendwie fähig zu bekommen. Er hat zum Beispiel den Katalanen versprochen, die politische Blockade nach dem Unabhängigkeitsreferendum zu lösen. Bislang hat der konservative Ministerpräsident Rajoy ja diese Katalonienkrise eskalieren lassen. Glauben Sie, dass Sanchez die jetzt lösen wird?
    Marschall: Das ist eine Chance, die sehe ich schon, wobei man ganz klar sagen muss, dass die Sozialisten in ganz, ganz gleicher Weise, wie Partido Populare auch, hundertprozentig an der Einheit Spaniens festgehalten haben bisher und das sicher auch weiter tun wollen. Das hat auch die sozialistische Parteichefin aus Andalusien, Susanna Díaz – übrigens eine Gegenspielerin, kann man sagen, von Sanchez –, noch mal ganz deutlich gemacht Sanchez selber hat ja vom Brückenschlagen gesprochen, und ich glaube, das ist vielleicht schon mal ein ganz wichtiger Weg, weil tatsächlich hatte Rajoy, Sie haben von eskalieren gesprochen, aber hatte Rajoy die Katalonienkrise vor allen Dingen, sagen wir mal, legalistisch betrachtet, als weniger mit Dialogbereitschaft, sondern vor allen Dingen mit Verweis auf die, auch richtigen, verfassungsrechtlichen Bedenken. Das ist sicher nicht der Weg, weil im Grunde genommen, am Ende ist das natürlich ein politisches Problem, und insofern ist der politische Dialog wichtig, aber ich denke sicher auch, das muss Sanchez weiterhin klarmachen: nur unter der Voraussetzung der Einheit Spaniens. Da wird es natürlich mit den Separatisten, die ihn ja auch unterstützt haben im Misstrauensvotum, bestimmt schon relativ bald auch zu schweren Diskussionen kommen.
    Rohde: Aber Herr von Marschall, Angela Merkel hat ja Rajoys harten Kurs gegenüber Katalonien bisher immer unterstützt. Heißt das, die CDU schwenkt jetzt auch um und trägt den Kurs der Sozialisten mit, wenn es Zugeständnisse gibt an die Katalanen?
    Marschall: Nein, nein, ich glaube, da gibt es gar kein Missverständnis, weder bei den Sozialisten noch beim Partido Populare, noch auch aus deutscher Perspektive. Eine Ablösung Kataloniens von Spanien kommt auch aus unserer Sich, nach klarer Analyse der spanischen Verfassung, überhaupt nicht in Betracht, aber die Frage, wie man in einem Dialogprozess, unter der Voraussetzung der Einheit Spaniens, zu einer angemessenen Lösung für Katalonien kommt, das ist, glaube ich, ein Punkt, über den wird man schon sprechen müssen. Das ist vor allen Dingen ein Punkt, der sich im Verhältnis und im Vergleich zum Baskenland stellt, weil das Baskenland – beide sind sozusagen die stärksten Autonomien, wie diese selbstständigen Gebiete in Spanien heißen, also etwa im Vergleich zu den Bundesländern, aber auch nur in einem schwachen Vergleich –, da ist also das Baskenland noch mal mit besonderen Privilegien ausgestattet, über die umgekehrt Katalonien nicht verfügt, und ich glaube, das wird eigentlich der entscheidende politische Prozess sein, das auszubalancieren. Das kann übrigens auch bedeuten – das ist jedenfalls eine Sichtweise, die zum Beispiel die stark aufsteigende neue bürgerlich-liberale Kraft, die Ciudadanos, vertreten, dass möglicherweise das Baskenland etwas von den noch größeren Privilegien wird abgeben müssen. Das betrifft vor allen Dingen die Steueradministration.
    Konsolidierung des Haushalts
    Rohde: Ich würde gerne noch auf die EU schauen. Angela Merkel verliert jetzt mit Rajoy den letzten Verbündeten im Süden. Muss die EU fürchten, dass Spanien sich in Zukunft wieder stärker verschuldet?
    Marschall: Also, dieses Risiko ist natürlich da, vor allen Dingen, wenn man sieht, dass Sanchez ja jetzt besonders von den Linkspopulisten, wie sie definiert werden, Podemos, unterstützt wird, die da hohe Forderungen haben. Sanchez selbst hat klargemacht, dass er an der Konsolidierung des Haushalts festhalten will, dass er auch übrigens nicht den jetzt gerade erst beschlossenen Haushaltsplan wieder infrage stellen will. Auch darüber wird allerdings sicher diskutiert werden. Ich glaube und hoffe, dass Sanchez, sagen wir mal: den Konsolidierungs- und auch den Erholungskurs der Wirtschaft wird halten können, weil eben Vorarbeiten von Rajoy gemacht worden sind, und ich glaube, dass es ganz wichtig ist zu verstehen, dass diese Früchte dieser Vorarbeit vielleicht ihn jetzt einfach auch die Basis schaffen, sagen wir mal: einigermaßen stabil bis zu den nächsten regulären Wahlen zu arbeiten. Übrigens vielleicht darf ich noch eines ergänzen: Wir haben möglicherweise eine Analogie zu Portugal: Sie wissen …, oder in Portugal gibt es ja eine sozialistische Regierung, die von Kommunisten geduldet wird, also eine Minderheitsregierung. Wir hatten auch dort als Vorgängerregierung eine konservative Regierung, nämlich die von Passos Coelho, und auch dort sind in der Vergangenheit harte Reformen durchgeführt worden, deren Früchte nun die sozialistische Regierung erntet und die deswegen auch ganz ordentlich und stabil weiterarbeitet. Das ist vielleicht die Vorlage auch für Sanchez.
    Rohde: So Matern von Marschall von der CDU. Er ist im Bundestag im Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union, Berichterstatter für Spanien. Danke, dass Sie Zeit für uns hatten!
    Marschall: Ja, vielen Dank und alles Gute!
    Rohde: Und die schlechte Leitung bitten wir zu entschuldigen, wir haben Herr von Marschall erreicht in Togo.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.