Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Reich und Arm

Ein junges Mädchen aus armen Verhältnissen begleitet ihre Mutter nach dem Zweiten Weltkrieg regelmäßig zu ihrer Arbeit in die Häuser der Reichen. Hinter der glänzenden Fassade entdeckt der Leser in Barbara Bongartz neuestem Roman zunehmend Abgründe.

Von Martin Grzimek | 24.04.2012
    Der neue Roman "Die Schönen und die Reichen" von Barbara Bongartz hat einen vielver-sprechenden Anfang. Die Erzählerin erinnert sich an ihre frühe, recht außergewöhnliche Jugend. Ihre Mutter war nach dem Zweiten Weltkrieg Dienstmädchen und Putzfrau bei oft wohlhabenden Familien, nahm die Tochter bisweilen zu ihren Arbeitsstellen mit, und wie in einem Kleinmädchentraum aus der Rubrik Arm und Reich, gefielen der jungen Erzählerin natürlich besonders die schönen und ihr wertvoll erscheinenden Gegenstände in den Häusern der reichen Leute in der Düsseldorfer Umgebung.

    "... die Objekte selbst [übten] einen unwiderstehlichen Reiz auf mich aus. Ich ent-wickelte einen nervösen Sinn für Oberflächen und begann, sie heimlich zu streicheln und zu liebkosen. Ich hatte unwissentlich die Verzahnung von Menschen und Dingen entdeckt, das Stellvertreterdasein der Gegenstände, ihre Verbildlichung des Un-bewussten, ihre eigensinnige Magie. Ich wusste auch nichts von den abergläubischen Ritualen, die es in vielen Kulturen gibt, in den Dinge für ihre Eigentümer stehen, und dass der Besitz eines Objekts Macht über den Eigner verleiht."

    Das Wort "Eigner" ist in diesem Zusammenhang vielleicht ein wenig fehl am Platze, weil es eher in der Schiffsbranche geläufig ist. Aber wir wissen natürlich, was Barbara Bongartz damit meint. Viel interessanter ist, dass sie die Welt der Reichen über ihren Umgang mit den Dingen beschreibt und sich die aus bescheidenen Verhältnissen stammende Erzählerin deren Leben gewissermaßen über die glänzenden Accessoires auf den Tisch-chen und Kommoden anzueignen versucht. Sie tut dies aber nicht nur durch die bloße An-schauung, als Kind versteckt hinter der Schürze der die Silberleuchter polierenden Mutter, sondern sie eignet sich das Schöne ganz einfach an, indem sie die Preziosen stiehlt. Es geht ihr dabei nicht um den materiellen Besitz. Im Stibitzen eines goldenen Feuerzeugs etwa steckt für sie im Ding an sich vielmehr die Seele dessen, der es vor ihren Augen be-nutzt und unachtsam weggelegt hat. Gelegenheit macht Diebe, sagt man, die Erzählerin aber macht aus ihren illegalen Aneignungen des Fremden regelrecht einen Beruf. Sie studiert Kunstgeschichte, wird Expertin für außergewöhnliche Gegenstände und verfügt schließlich über ein so extravagantes Arsenal von Exponaten und Kuriositäten, dass sie eine Ausstellung ihres Diebesgutes in Florenz organisiert.

    Doch leider, leider genügt ihr und der Autorin Barbara Bongartz nicht die Vergegenständlichung der Oberflächlichkeit der Besitzer in der sie selbst bespiegelnden Äußerlichkeit der Gegenstände. Sie muss näher heran an die Subjekte, an die Reichen und die Schönen. Daher erfindet sich Barbara Bongartz einen Partner zu ihrer Erzählerin mit dem nichtssagenden Namen Boy. Er ist ehemals ein bekannter Autor gewesen, ein Biograph und Ghostwriter, in der Gunst seines Lesepublikums aber plötzlich tief gefallen, weil er zu selbstgefällig und eigennützig mit dem Leben seiner Klienten umging, zu sehr Besitz von ihnen ergriff. Darin ähneln sich die Erzählerin und dieser Boy und tun sich wie eine hilflose Interessengemeinschaft zweier zum Scheitern Verurteilter zusammen. Boy nimmt den Auftrag an, über das Leben eines weltberühmten Dirigenten und seiner Frau ein Buch zu schreiben, und die Erzählerin schleicht sich in diese hochherrschaftliche Familie als Zofe ein.

    Der Ort ist Bayreuth, eine Villa mit vielen Zimmern, Park und Swimmingpool, Nebengebäuden, Bediensteten, ständig sprudelndem Champagner und knirschenden Kieswegen – alles, was dazugehört, um sich ein mondänes Leben vorzustellen. Der Inhalt dieses säulenbestückten Gehäuses aber ist dementsprechend morbide, der hoch angesehene Maestro verstorben, die Witwe ein oft alkoholisiertes Wrack, die dazugehörende Gesellschaft von alten Freunden und Bekannten dementsprechend snobistisch, dumm und eitel bis zum Abwinken. Die Beobachtungen der Erzählerin und die Notizen des Biographen Boy entblättern Stück für Stück die blendende Fassade dieser Familie.

    Dunkle Geschichte, Nazigerüche, zwielichtige Gestalten, verkorkste Kinder, zweifelhafte Geschäfte – stückweise werden die Abgründige der Verhältnisse sichtbar, an deren Rand die noble Familie in Bayreuth oder in der palmen-umstandenen Ferienresidenz am Mittelmeer zwischen Schein und Sein balanciert. Wie das alles ausgeht, ob die Erzählerin zu ihrer sagenhaften Ausstellung in Florenz erscheinen wird, ob Boy noch einmal an seine früheren Erfolge als Biograph anknüpfen und sich rehabilitieren kann, soll hier nicht verraten werden. Barbara Bongartz schafft es zumindest, in ihrem inspirativ lebhaft geschriebenen Roman, uns die Bilderseiten aus Zeitschriften von den Schönen und Reichen umblättern zu lassen, die wir gerade dann, als wir uns in den Glamour halbwegs eingelebt haben, plötzlich weglegen müssen, da die Sprech-stundenhilfe des Zahnarztes uns aufruft und sagt: Zimmer zwei bitte. Da liegen wir dann mit der Papierserviette um den Hals, über uns die Lampe und vor uns auf dem Tablett die blitzenden sterilisierten Spiegel, Haken und diamantbesetzten Bohrsätze, für die wir gleich den Mund aufreißen müssen, ohne noch ein Wort zu all dem sagen zu können. Aber wir hören in unserem Inneren die Worte, die uns am Anfang des gerade gelesenen Romans von Barbara Bongartz so klug gesetzt schienen und nun eine Parallelbedeutung erfahren:

    "... die Objekte selbst [übten] einen unwiderstehlichen Reiz auf mich aus. Ich ent-wickelte einen nervösen Sinn für Oberflächen und begann, sie heimlich zu streicheln und zu liebkosen. Ich hatte unwissentlich die Verzahnung von Menschen und Dingen entdeckt..."


    Barbara Bongartz: Die Schönen und die Reichen. Roman.
    Weissbooks, Frankfurt am Main, 2011. 319 S. € 19,90