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Reihe Clans: die Fiat-Familie
Die Agnellis - Glanz, Glamour und Probleme

In Italien ist die Gründer-Familie des Fiat-Konzerns so etwas wie die heimliche Königsfamilie. Auch wenn die Enkel-Generation nicht mehr Agnelli heißt und die Probleme der Autobranche auch vor den glanzvollsten Namen nicht Halt machen.

Von Jörg Seisselberg | 22.11.2019
Die beiden Agnelli-Enkel Lapo (l) und John Elkann unterhalten sich am Dienstag (13.09.2011) am Rande der Ferrari-Pressekonferenz auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt am Main. John Elkann ist Präsident des Fiat-Konzerns. Die IAA gilt als Leitmesse der Autoindustrie. Insgesamt mehr als 1000 Aussteller aus 32 Ländern werden vom 15. bis 25. September ihre Weltneuheiten präsentieren. Foto: Arne Dedert dpa/lhe | Verwendung weltweit
Agnelli-Enkel Lapo und John Elkann (dpa)
Reichtum, große Tragik, Glamour, Eleganz. Das sind die Agnellis, und niemand verkörpert die Familien-DNA so perfekt wie Gianni. Zehn Jahre lang zog der spätere und Fiat-Chef als Playboy und Lebemann durch die Welt, liebte schnelle Autos, das Segeln und Skifahren. Auch nachdem er sich Ende der 60er Jahre der Familientradition beugte und die Leitung des Autokonzerns übernahm, blieb der Industrieboss mit dem silbergrauen Haar und den markanten Gesichtszügen der Mann, den die Frauen liebten.
"Wenn das stimmt, dann kann ich mich nur geschmeichelt fühlen. Aber schauen Sie: Es gibt zwei Arten von Männern. Es gibt die Männer, die über Frauen reden. Und die Männer, die mit den Frauen reden. Ich bevorzuge, nicht über Frauen zu reden".
Der Playboy, der Manager wurde
Ein schwerer Unfall mit seinem Ferrari in den 50er Jahren war der Grund, warum Gianni Agnelli das Playboy-Leben aufgab, und in das von seinem Großvater gegründete Unternehmen einstieg. Seinen Vater hatte er früh durch einen Flugzeugabsturz verloren, seine Mutter durch einen Autounfall. Gianni machte Fiat zu einem der größten Unternehmen Europas – und die Agnellis zur inoffiziellen Königsfamilie Italiens. Als seine Enkelin Marella Agnelli vor wenigen Jahren ein Buch mit Bildern aus dem Leben der Agnelli-Familie veröffentlichte, war dies ein gesellschaftliches Ereignis im Land.
"Ich habe mich entschieden, nicht ein privates Familien-Fotoalbum zu erstellen, sondern unsere Geschichte, die eng mit der Geschichte Italiens verknüpft ist, mit der größtmöglichen Zahl an Lesern zu teilen".
Italiens inoffizielle First Family
Gianni Agnelli selbst saß einige Jahre für die Christdemokraten im italienischen Parlament, ebenso wie sein Bruder Umberto, seine Schwester Susanna war die erste Außenministerin Italiens. Mittlerweile stehen die Enkel und Neffen Giannis im Scheinwerferlicht und an der Spitze von Fiat. Sein einziger Sohn Edoardo, an Religion und Philosophie interessiert und in der Friedensbewegung aktiv, starb durch Suizid. Als künftige Firmenlenker baute Gianni Agnelli die Söhne seiner Tochter Margherita auf. Zwei Söhne, wie sie nicht unterschiedlicher seien könnten: Lapo, der Wilde, und John, der Strebsame. Lapo machte ab Mitte der 2000er Jahre als Marketing-Experte Fiat wieder cool, war unter anderem an der Entwicklung des erfolgreichen neuen Fiat 500 beteiligt.
Enkel mit Skandalen
Im Oktober 2005 reagierte Italien schockiert, weil der Agnelli-Spross nach einer Partynacht mit Prostituierten und Transvestiten vollgepumpt mit Kokain ins Krankenhaus gebracht wurde. Tagelang kämpfte Lapo um sein Leben. Danach sammelte Giannis Lieblingsenkel Sympathien, weil er sich nicht versteckte, sondern offen über die Skandalnacht sprach – und indirekt darum bat, sein Sexualleben als Privatsache zu akzeptieren.
"Im Leben machen wir viele Fehler. Ich glaube, das war mein schwerster Fehler, weil er mich fast das Leben gekostet hat. Aber ich möchte auch klar sagen, dass ich hier in einer einzigen Sache einen Fehler gemacht habe. In einer einzigen. Nämlich, dass ich Kokain genommen habe."
Lapo, auch wenn er mit Nachnamen nicht Agnelli, wie seine Mutter, sondern Elkann, wie sein Vater heißt, ist die aktuell schillerndste Figur der berühmtesten Familie Italiens. Am erfolgreichsten ist Lapos jüngerer Bruder John Elkann, seit vergangenem Jahr Präsident des Fiat-Konzerns. Mit seinem gelockten Haar und den jungenhaften, weichen Gesichtszügen wirkt John Elkann eher wie ein braver Student als wie der Chef des größten italienischen Industriekonzerns. Nach Jahren tiefer Krise hat sich Fiat wenigstens stabilisiert und John Elkann sagt gelassen-souverän, wie es sich für einen aus der Agnelli-Dynastie gehört:
"Die Stürme gehen vorüber. In den vergangenen Jahren haben wir viele Stürme erlebt. Wichtig ist, dass man schafft, durch sie hindurchzugehen".
Fusion mit PSA als Weg in die Zukunft
Um auch den Stürmen der Zukunft gewachsen zu sein, hat John Elkann in den vergangenen Monaten die Fusion mit der Peugeot-Gruppe eingefädelt. Auf den ersten Blick ist es überraschend, dass Fiat-Chrysler bei dieser Operation die treibende Kraft ist. Schließlich hat das Unternehmen, 2014 italienisch-amerikanisch, das vergangenen Jahr mit einem Rekordergebnis und einem bereinigten Nettogewinn von fünf Milliarden Euro abgeschlossen. Aber die Agnelli-Familie, auch in der neuen Konstellation mit Chrysler immer noch entscheidender Lenker des Konzerns, sieht die Zukunft des Unternehmens trotzdem auf wackeligen Beinen.
Unter anderem weil Fiat Chrysler weit hinterher hinkt bei der vor allem von Volkswagen erfolgreich praktizierten Plattform-Produktion. Also dem Prinzip, Autos aus Modulen kostensparend im Baukastenmodell zu bauen. Außerdem haben die Macher in Turin die großen Zukunftsthemen der Autobranche – Elektromobilität und autonomes Fahren – lange verschlafen. Es spricht für den Realismus der neuen Agnelli-Generation, dass sie zum Schluss gekommen ist: Die notwendigen Investitionen, um den Rückstand aufzuholen, sind nicht alleine zu stemmen. In den italienischen Medien bekommt Gianni-Agnelli-Enkel John Elkann viel Beifall dafür, dass er, nach dem krachend gescheiterten Fusionsversuch mit Renault, jetzt dabei ist, eine Zusammenarbeit mit der Peugeot-Gruppe einzufädeln. Auch wenn John, der Strebsame, nicht den Glamour der früheren Agnelli-Generationen hat – er scheint die Weichen dafür zu stellen, dass das Erbe seines Ur-Ur-Großvater, des Fiat-Gründers, auch morgen noch weiterlebt.
Dieser Beitrag erschien in kürzerer Form bereits im Bayerischen Rundfunk.