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Reihe: Das Frau-Holle-Business - Teil 4
Eisstöcke für jede Jahreszeit

Ein bisschen ähnelt das Eisstockschießen dem Boule-Spiel: Zwei Mannschaften müssen ihre Stöcke möglichst nah an ein bewegliches Ziel heranbringen. Schlagkräftig und standfest muss der Eisstock dafür sein. Die bayerische Firma Sedlmaier hat sich auf seine Herstellung spezialisiert.

Von Klaus Lockschen | 29.12.2017
    Ausflügler spielen am 24.01.2017 in Schliersee in Bayern auf dem zugefrorenen Schliersee Eisstockschießen.
    Eisstockschießen auf dem Schliersee in Oberbayern, das als eine der Eisstock-Hochburgen gilt (dpa / Sven Hoppe)
    "Es gibt so die Hochburgen, das ist Oberbayern und Bayerischer Wald, Niederbayern. Da hat jede Ortschaft, darf ich mal sagen, über 1.000 Einwohner hat einen Eisstockclub".
    Rund 50.000 Eisstocksportler sind hierzulande in 1.400 Vereinen aktiv, 300.000 betreiben den Sport unorganisiert. Und das eben mit traditionell sehr ausgeprägter Südlastigkeit, umreißt Josef Sedlmaier. Der 49-Jährige ist Eisstockmacher in zweiter Generation, einer von lediglich sieben dieser Zunft im gesamten Alpenraum. Seine Werkstatt steht in Garmisch-Partenkirchen, wo 1951 auch die erste Europameisterschaft im Eisstockschießen ausgetragen wurde.
    Früher Holz, heute Kunststoff
    Das Familienunternehmen Sedlmaier war ursprünglich eine Wagnerei, bis die Herstellung von Wagenrädern kaum noch etwas abwarf. 1962 entschieden sich die damaligen Firmeninhaber, Hans und Helga Sedlmaier, auf das Drechseln von Eisstöcken umzusteigen.
    "Früher war ja ein Eisstock aus Holz, heute ist das hauptsächlich aus Kunststoff", sagt Mitinhaberin Ursula Höger und erklärt kurz das Spiel.
    Der Grundgedanke ist, dass zwei Mannschaften ihre Eisstöcke möglichst nah an ein etwa 20 Meter entferntes, bewegliches Ziel heranbringen.
    "Die Daube ist eben der Punkt, an den man seinen Eisstock nah hinbringen müsste, der Gegner versucht, den Stock rauszuschießen, der zu nah an der Daube ist. Und ja, da kann man dann eben so ein bisserl mit Technik und Material gewinnen oder verlieren."
    "Da geht's zu wie bei der Formel Eins"
    Die Härte der Lauffläche beeinflusst den Reibwert und damit die Gleiteigenschaft des Stockes. Aber auch, ob für Turnier- oder Freizeitsport genutzt, unterscheidet die Wahl des Materials. Zumal der Internationale Eisstocksport-Verband exakte Vorgaben zur Beschaffenheit des Gerätes macht.
    "Für den Turniersportbereich da sind alle Materialien genau vorgeschrieben, es sind sogar die Zulieferer genau vorgeschrieben, da muss man sich ganz klar an die Regeln halten. Also da geht's zu wie bei der Formel Eins ungefähr so, so genau".
    Er sei nur ein Konfektionierer, konstatiert der Firmenchef und schiebt den Schirm seiner Basecap zurecht. Die Fertigungstiefe ist denkbar gering. Fast alle Komponenten stammen von Zulieferern: Griffrohlinge, zentimeterdicke, schwarze und an Hantelgewichte erinnernde Kunststoffscheiben, unterschiedliche Naturkautschukplatten, Metallhülsen und der äußere Stahlring, quasi die Rundum-Stoßstange des Stocks.
    Auch ein Sommersport
    "So ein Eisstock setzt sich ja zusammen: Das ist einmal der Stockkörper, dann gibt's die unterschiedlichen Laufsohlen, einmal für Sommer und dann für Winter, und dann unterschiedliche Qualitäten, die dann entscheidend sind für die Laufschnelligkeit, und Griff. Also, das sind so die drei Teile, aus denen sich ein Eisstock zusammensetzt".
    Denn mittlerweile wird der Sport auch ohne Winterfeeling ganzjährig auf Asphalt- und Kunststoffbahnen betrieben.
    Eingerichtet ist die kleine Werkstatt wie eine Schreinerei. Zwei Drehbänke sind bewusst fensternah aufgestellt, so dass beim Arbeiten der Blick schweifen kann auf das städtische Treiben.
    "Der Eisstockbau, der dreht sich auf denen zwo Drehbänke ab."
    Weiteres Inventar sind Arbeitstische mit wenig Werkzeug, Schränke, hydraulische Presse, rollbare Metallregale, auf denen sich Stock-Rohlinge befinden, Kleinmaschinen wie Bohrer und Bandschleifer sowie Gefriertruhe und Elektroherd. Letztere aber nicht für das leibliche Wohl, sondern als Hilfsmittel, um die thermische Dehnung von Körpern zu steuern.
    Hier Frost, da Hitze
    Gerade wird eine Hartkunststoffplatte auf Maß gefräst.
    "Also, das wird dann so eingespannt, ziemlich fest, weil der a große Masse hat. Und dann stellen wer das so ein."
    Fräse an. Das Material wird so weit abgetragen, bis Innenbohrung, Außendurchmesser und Gewicht den Verbandsvorgaben entsprechen. Geprüft wird mit Messlehre und Küchenwaage. Passt alles, gehen Platte und Edelstahlring erst einmal für Stunden getrennte Wege: hier Frost, da Hitze.
    "Der Kunststoff wird runtergefroren, der zirkt si zsammen, der Ring wird warmgemacht. I leg den Ring do nei und lass den einmal zwoa Stund drin".
    Das heißt auf wieviel: 200 Grad oder was? - "Ja, voll halt, was er hat".
    Pizzatemperatur? - "Pizzatemperatur, 250 mach i. Der geht a bisserl auseinander, und dann wird der hydraulisch mit Übermaß hineingedrückt. Der Kunststoff geht dann wieder auseinand, der Ring geht zsammen und dann hält es da fest".
    Fehlen noch Haube und Stiel.
    "Des i dann mei Haube, also die lass i auch wieder irgendwo fertigen, und dreh dann des auf Maß genau mit Übermaß wieder, und die wird dann do neigepresst".
    Bis zu 400 Euro kostet ein Eisstock
    Zusammengesetzt sieht es aus wie eine fliegende Untertasse. Den Stiel noch auf das gewünschte Maß gebracht, hineingeschraubt - fast fertig. Abschließend, je nach gewünschtem Reibwert, wird eine der auswechselbaren Laufsohlen aus Naturkautschuk montiert - und fertig ist das hochglanzlackierte Stück: 28 Zentimeter Durchmesser, rund fünf Kilo schwer und bis zu 400 Euro teuer.
    Beim Hobbystock ist Josef Sedlmaier nicht an Maßvorgaben gebunden, da verwendet er statt Hartkunststoff einen kostengünstigen Holzkern aus Multiplexplatten.
    Export nach Japan
    Lediglich 30 Prozent seiner jährlich gut 1.000 montierten Stöcke gehen an Turniersportler, das Gros in den Freizeitbereich. Exakte Umsatzangaben will der Garmischer Familienbetrieb nicht machen.
    "Wichtige Kunden sein die Hersteller der Eisbahnen, die auf Wintermärkten und so aufgebaut werden. Die liefern ja bis nach Japan und so, und die liefern dann auch Eisstöcke mit, und die brauchen dann gleich mal 100 Stück oder 200 Stück.
    Ur-bajuwarischer Sport im Land der aufgehenden Sonne. Na dann: Seikō shita kāru! (Erfolgreiches Eisstockschießen!)