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Reihe: Deutsch lernen
Motivation, Sprachgefühl und ein gutes Gedächtnis

Nicht allein Talent ist entscheidend beim Erwerb einer Fremdsprache, sondern Motivation und guter Unterricht. Davon geht die Sprachlernforschung inzwischen aus - und spricht lieber von "Sprachlern-Eigung" statt Begabung.

Von Katrin Sanders | 04.10.2017
    Die Lehrerin Hava Kolbasi unterrichtet an einer Gesamtschule in Köln türkischstämmige Schüler in ihrer Muttersprache.
    Die Lehrerin Hava Kolbasi unterrichtet an einer Gesamtschule in Köln türkischstämmige Schüler in ihrer Muttersprache. (dpa / picture-alliance / Oliver Berg)
    Vorbereitungskurs an der Technischen Hochschule Köln. 21 Teilnehmer lernen für die Sprachprüfung für den Hochschulzugang. Nur wer diese sogenannte DSH-Prüfung besteht, hat das Ticket zum Studieren in Deutschland. Heute geht es darum, wie im Deutschen Adjektive gebildet werden.

    "Die deutsche Sprache ist lernbar", sagt Teilnehmer Muhammad. Amüsiert nimmt die Gruppe die These auf. Aber ist wirklich jede Sprache lernbar? Oder braucht es nicht doch vor allem Talent?
    Kursteilnehmer: "Also wir sagen immer: Sprache ist der Schlüssel einer Kultur, und daher muss man unbedingt die Sprache schnell lernen. Und wenn man kein Talent hat? Man schafft's schon, wenn man den Willen hat."
    "Ich finde, man braucht nicht unbedingt Talent zu haben. Beim Lernen ist wichtig, dass man mit Menschen kommuniziert. Sich interessiert für deutsche Sprache, deutsche Kultur."
    "Für mich ist es sehr wichtig, eine große Motivation zu haben, wirklich Interesse zu haben. Weil ohne Motivation kann ich nicht so gut lernen. "
    "In der Wissenschaft wird von Modern Language Aptitude gesprochen"
    Auf Begeisterung, Interesse an Land und Leuten und ein Ziel vor den Augen kommt es beim Fremdsprachenlernen an - fast genauso sieht das auch die Sprachlernforschung heute. Von Talent oder Begabung dagegen will Claudia Riemer, Professorin für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an der Universität Bielefeld, nicht sprechen. Es klingt ihr zu sehr nach IQ:
    "Das Spannende am Fremdsprachenlernen ist es ja, dass alle Menschen zwar imstande sind, Fremdsprachen zu lernen. Dass aber im Unterschied zum Muttersprachenerwerb, erhebliche Unterschiede, was den Erfolg betrifft, dabei auftreten können. Und ich würde als erstes jetzt mal diesen Begriff 'Begabung' infrage stellen. In der Wissenschaft wird eher von dem Begriff der Modern Language Aptitude gesprochen, meist mit 'Sprachlerneignung' übersetzt."
    Ein Forschungsgebiet mit einer kuriosen Geschichte. Sie führt in die USA der 50er-Jahre: Sprachkurse kosteten viel Geld und man wollte vorab wissen, bei wem sich so eine Investition überhaupt lohnt. Also wurden Tests entwickelt, um Erfolg beim Sprachlernen vorhersagen zu können. So fand man fünf - leider angeborene – Eigenschaften, so Claudia Riemer:
    "Das ist zum einen die Fähigkeit, Laute in einer Fremdsprache erkennen zu können und sich zum Beispiel auch in Verbindung mit ihrer schriftlichen Form merken zu können. Eine weitere Fähigkeit geht so ein bisschen in Richtung Sprachgefühl. Also die grammatischen Funktionen von Wörtern erkennen zu können."
    Wer jetzt noch grammatische Regeln erkennen kann, ist einmal mehr im Vorteil.
    Hardware beim Lernen: Gedächtnis, Sprachgefühl und gutes Hörverstehen
    Dazu Claudia Riemer:"Und dann, was ganz Spannendes – und da trennt sich vielleicht auch die Spreu vom Weizen: die Fähigkeit zum Auswendiglernen."

    Ernüchternd ist, dass diese Hardware beim Lernen – also Gedächtnis, Sprachgefühl und gutes Hörverstehen - sich im Laufe des Lernlebens kaum noch verändern lasse.
    "Es gibt aber einen zweiten Faktor, und der ist die Motivation. Was nützt mir die Sprachlerneignung, wenn ich eigentlich überhaupt keine Lust habe? Also ich brauch' ja einen Antrieb und der kann weiterentwickelt werden. Durch guten Unterricht, eine hohe Motivation, eine hohe Lernbereitschaft kann sehr viel ausgeglichen werden."
    Im Sprachlernzentrum der TH Köln setzt man genau hier an. Die DSH-Kurse sollen den vielen unterschiedlichen Lerntypen und -Temperamenten gerecht werden. Sie sind - sagen die Studierenden - methodisch vielfältig, machen täglich Spaß und behalten immer das Fernziel im Auge - den wissenschaftlichen Diskurs. Auch für Teilnehmerin Maria:
    "Und für mich jetzt ein Traum bekommt Realität: Ich wohne hier in Köln, ich lerne Deutsch und das ist für mich wie ein Traum."
    "Fremdsprachen kann ich nun mal nicht" - das jedenfalls sollte man sich nicht einreden, findet Claudia Riemer:
    "Je reizvoller das Ziel ist und je mehr Chancen ich mir auch einräume, das Ziel erreichen zu können, desto stärker kann meine Motivation auch ausgeprägt sein. Und gerade was das Fremdsprachenlernen angeht: Wir leben in einer globalisierten Welt. Fremdsprachenlernen zählt zu den Grundkompetenzen, Grundfertigkeiten, und das verinnerlichen junge Leute. Und das ist mit Sicherheit, was den Fremdsprachenunterricht betrifft, ein wichtigerer Faktor als die Sprachlerneignung."