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Reihe "Fachkräfte auf Wanderschaft" (4)
Kanada sucht dringend qualifizierte Einwanderer

Ein klassisches Einwandererland ist Kanada ohnehin: Im Jahr 2017 war bereits über ein Fünftel der 36 Millionen Einwohner Kanadas im Ausland geboren. Aber das Land sucht vor allem hochqualifizierte Immigranten für die digitale Wirtschaft - viele erfolgreiche Bewerber stammen aus China und Indien.

Von Dennis Kastrup | 13.08.2019
Die Skyline von Montreal in Kanada bei Nacht.
Montreal ist nach Toronto die zweitgrößte Stadt Kanadas und die größte Stadt der Provinz Quebec (imago / All Canada Photos)
Ein Häuserblock im Stadtteil Monkland Village. Der Brasilianer Pedro Antunes öffnet mit einem Lächeln die Tür:
"Ich wollte Brasilien immer schon verlassen und habe auch das Gefühl, dass die Grenzen jedes Jahr mehr und mehr geschlossen werden. Québec war der einzige Ort in der so genannten entwickelten Welt, wo es ein spezielles Programm für Immigration gab. Ich konnte hier studieren und war dann zur Immigration berechtigt."
Der 27jährige bezieht sich auf das "Québec Selected Skilled Workers" Programm. Das heißt: Wer in Québec die richtige Auswahl beim Studiengang trifft, hat danach gute Chancen, schnell zu immigrieren. Die Erlaubnis gilt für Gesamtkanada. Antunes hatte bereits ein abgeschlossenes Managementstudium und entschied sich dazu, am Institut Teccart Computerunterstützung zu studieren. Nach dem erfolgreichen Abschluss musste er aber noch eine besondere Hürde überwinden:
"Du studierst hier in Québec, machst einen College- oder Universitätsabschluss, einen Master. Wenn du auf Englisch studiert hast, musst du auch einen Französischtest machen."
Gutes Englisch und Französisch sind obligatorisch
Antunes hat den Französischtest erfolgreich bestanden und erfüllt auch alle weiteren Kriterien, die ihm eine Zukunft in Québec ermöglichen. So musste er einen medizinischen Test machen, Auskunft über seine Familienverhältnisse geben und die Echtheit seiner bisherigen Ausbildungen beweisen. Im Rest von Kanada durchlaufen Bewerber einen ähnlichen Prozess. Béatrice Fénelon ist Pressesprecherin der kanadischen Regierung. Sie kümmert sich um den Bereich Immigration, Flüchtlinge und Staatsbürgerschaft. Wie das Land auf den bevorstehenden Fachkräftemangel reagiert, beantwortet sie per E-Mail:
"Im Jahr 2017 startete die kanadische Regierung die ‚Global Skills Strategy‘ mit dem Ziel, den Arbeitgebern in Kanada einen schnellen und zuverlässigen Zugang zu den dringend benötigten hochqualifizierten Arbeitskräften zu ermöglichen."
Arbeitserlaubnis auf begrenzte Zeit
Bei dieser "Express Entry" Strategie soll eine schnelle Abwicklung der Anträge dafür sorgen, dass gut ausgebildete Arbeitnehmer auf begrenzte Zeit eine Arbeitserlaubnis bekommen. Im vergangenen Jahr nahmen dieses Angebot hauptsächlich Softwareentwickler, Mediendesigner, Universitätsprofessoren und Computeranalysten in Anspruch. Corey Phelps kennt diese Zahlen. Er ist Lehrbeauftragter an der McGill Universität in Montréal und organisiert Förderprogramme für Interessierte, die ihre bereits abgeschlossene Ausbildung dem Arbeitsmarkt anpassen möchten:
"In Kanada werden händeringend Datenwissenschaftler gesucht. Firmen können nicht genug Datenwissenschaftler anwerben. Wenn man das Werkzeug eines Datenwissenschaftlers lernen will, kann man ein weiterführendes Studium anfangen und zertifizierte Programme nutzen, zum Beispiel für statistische Analysen."
Mathematik-Asse besonders gefragt
Häufig stammen diese Menschen aus China und Indien. Dort sei laut Phelps die Schulausbildung in Mathematik ausgesprochen gut - also der Bereich, der in der digitalen Wirtschaft gefragt ist. An den Hochschulen von Montréal kann man diesen Trend bereits an der Zahl der Studierenden aus diesen Ländern beobachten. Um in die Stadt am Sankt-Lorenz-Strom einzuwandern, müssen aber noch weitere spezielle Hürden genommen werden. Corey Phelps:
"Québec hat einen besonderen Status in Kanada. Die Provinz hat die Berechtigung, Ergänzungen zur kanadischen Regierung zu machen. Eine Entscheidung betrifft die Immigration, und besonders die Immigration von Fachkräften. Die aktuelle Neuerung ist, dass man einen Arbeitgeber als Sponsor haben muss, wenn man nach Kanada mit dem Fachkräfte-Programm einwandern will."
"Tinder für Immigranten"
Diese Regelung wurde Anfang Juni beschlossen. Damit wurde das Prinzip "First Come, First Serve" abgeschafft. Bewerber werden in Zukunft anhand ihrer im Heimatland absolvierten Ausbildung bewertet und erscheinen dann auf Listen, aus denen Arbeitgeber ihre Favoriten aussuchen können. Kritiker nennen es das "Tinder für Immigranten" und verweisen darauf, dass benötigte Arbeitskräfte mit geringer Ausbildung gar nicht erst in die engere Auswahl kommen. Auf Pedro Antunes trifft diese Regelung aber nicht zu:

"Ich habe mich im August vergangenen Jahres beworben. Damals haben sie ausgerechnet, dass es 14 Monate dauert. Das hat sich aber erhöht und liegt mittlerweile bei 21 Monaten".
Pedro Antunes stammt aus Brasilien und hat gute Chancen auf Arbeitsplatz und Immigration in Kanada.
Pedro Antunes wartet noch auf die Aufnahme in die Job-Auswahlliste (Foto: Dennis Kastrup)
Mehrheit der qualifizierten Arbeitnehmer sind Ausländer
Bis dahin hält er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, die er auf Grund seines Visums für das Studium annehmen darf. Es ist bereits der fünfte seit zwei Jahren. Während dieser Zeit ist ihm vor allem eines immer wieder aufgefallen: Die Mehrheit der qualifizierten Arbeitnehmer in Québec sind Ausländer. Auch Professor Phelps kennt die Zahlen und warnt vor einem zukünftigen Fachkräftemangel:
"Es gibt zwei Gründe. Nummer eins ist, dass die Bevölkerung in Kanada nicht schnell genug wächst, um Menschen im arbeitsfähigen Alter hervorzubringen. Das gilt für die gesamte Nachfrage, also nicht nur für Fachkräfte. Der zweite Grund ist: Die Zahl der Immigranten, die für das kommende Jahrzehnt vorausgesagt wird, reicht auch nicht, um die Nachfrage zu befriedigen."