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Reise in das Herz der Finsternis

Die Japanerin Aki sucht im Ostallgäu nach Spuren ihrer Eltern, die dort bei einem Autounfall ums Leben kamen. Aki war ein kleines Kind und hofft durch die Suche, Frieden zu finden. Stattdessen werden die deutsche Art des Umfeldes und die dunkle Allgäuer Landschaft Bestandteile einer persönlichen Reise in das Herz der Finsternis - und das Entdecken von Schuld.

Von Josef Schnelle | 02.06.2009
    Die japanische Studentin Aki weiß, dass ihre Eltern vor 18 Jahren in Deutschland bei einem Unfall ums Leben gekommen sind. Ein fast vergilbtes Photo erinnert sie an die glückliche Zeit mit der Familie, an die sie aber eigentlich keine Erinnerung hat. Und obwohl ihr die Adoptiveltern und ihr Freund davon abraten, macht sie sich ganz alleine auf die Suche nach den Spuren ihres Verlustes im Ostallgäu. Auf einer verblichenen Landkarte ist mit einem roten Punkt eine bestimmte Stelle markiert. Der Unfallort vielleicht oder die Stelle, an der Akis Eltern ihre letzte Ruhe in fremder Erde gefunden haben. Das ist ihr einziger Anhaltspunkt.

    Schon die ersten Menschen, die ihr begegnen, haben anscheinend mit dunklen Geheimnissen der Vergangenheit zu tun. In der örtlichen Polizeidienststelle wird gerade der gleichaltrige Elias vernommen, der wieder einmal wegen seiner notorischen Motorradraserei festgenommen worden ist. Es stellt sich heraus, dass sich Akis Ziel ganz in der Nähe des Hauses von Elias Familie befindet. Dort - mitten im Wald - wird sie vom Vater des Jungen mürrisch abgesetzt. Doch wenig später setzt ein heftiger Regen ein. Aki bricht ihre Suche ab und sucht nach einer Unterkunft für die Nacht, die sie bei den Wagners findet. Wenige Tage später findet sie endlich den Stein, einen Gedenkstein, der an den Unfall ihrer Eltern erinnert, den sie damals als kleines Kind überlebt hatte. Zugleich gerät sie mitten hinein in einen Familienkonflikt zwischen Vater und Sohn ihrer Gastfamilie, hinter dem mehr zu stecken scheint als nur aktuelle Missverständnisse. Erics Vater wehrt sich zum Beispiel mit unerklärlicher Heftigkeit dagegen, dass die Familie die heimatlose Japanerin für eine gewisse Zeit aufnimmt.

    Aki redet nur rudimentäres Deutsch. Aber alle fühlen sich von ihrer sanften, träumerischen Art angezogen. Doch die Familie aus dem Allgäu wird bald lernen: in ihrer Suche nach der Wahrheit ist sie trotzdem unerbittlich. Die ganz persönliche Spurensuche der jungen Japanerin wird zu einer Reise ins Herz der Finsternis. Der deutsche Wald und die sanften Hügel fügen sich immer mehr zu einer komplexen Seelenlandschaft, in der verdrängte Schuld und wohlfeile Lebenslügen verborgen sind. Und auf einmal sieht man auch die deutsche Wirklichkeit mit fremden Augen. Den fremdenfeindlichen Grundton hinter der freundlichen Alltagshöflichkeit. Die abweisende Härte sämtlicher Lebensäußerungen der scheinbar so idyllischen Provinz machen den Film zu einem atmosphärisch dichten Horrorfilm. Natürlich ist es auch ein Film über das erwachsenwerden und eine Studie zum Thema Schuld und Vergebung. Am stärksten aber wirkt in diesem überraschenden Kinodebüt einer jungen Regisseurin Marie Miyayama, die auf dem Filmfest Hof als "Beste Newcomerin" ausgezeichnet wurde, wie sie die Magie der Orte inszeniert, an denen sich unser Leben wendet. Die roten Punkte eben auf der Landkarte unseres Lebens.