Doch dann gibt es Krieg und Ibn Fatuma muss ins Nachbarland fliehen. Dort ist wieder alles anders und ihm widerfahren wiederum wunderliche und haarsträubende Dinge. Durch eine Intrige gerät er in Haft. Und zwanzig Jahre lang dämmert er in einem finsteren Verlies. Als er schließlich halbtot gerettet wird, denkt er über die Zukunft nach:
Sollte ich in die Heimat mit leeren Händen zurückkehren oder meine Reise fortsetzen, um Neues zu erkunden und an die Türen des Schicksals zu klopfen? Ich haßte den Gedanken, als Versager zurückzukehren. Außerdem war es ja durchaus möglich, dass die Menschen, an denen mir etwas lag, gestorben waren. Nein, zurückkehren würde ich nicht. Ich wollte nicht zurückschauen. Als Reisender war ich aufgebrochen, also würde ich meine Reise auch fortsetzen. Dazu hatte ich mich entschieden, und das war mein Schicksal. Traum und Tat gehören zusammen wie Anfang und Ende.
Also zieht er weiter. Wieder lernt er ein neues System kennen: eine neue Mischung aus Religion und Herrschaft, Tugend und Untugend, Gehorsam und Freiheit, und allmählich dämmert ihm, dass auch der real existierende Islam nicht von Allah stammt und nicht zu ihm führt, sondern Ordnungsphantasie unter anderen Ordnungsphantasien ist – von denen sich natürlich eine jede der anderen überlegen fühlt. Wohin auch immer er sich wendet, stets wird er von den Stereotypen der Gewalt und der Macht eingeholt, die sich hinter der bunten Vielfalt der unterschiedlichen Welten Bahn bricht.
Ich erinnerte mich auch daran, wie viel Blut im Halbaland um der Freiheit willen geflossen war. Aber hatte die Geschichte des Islam in meinem Land etwa weniger Blut und Tränen aufzuweisen? Was war dem Menschen wichtig? Gab es einen einzigen großen Traum, oder gab es genauso viele Träume wie Länder und Regionen?
So wird er im Laufe der Jahrzehnte zu einem suchenden Fremden. Doch das allein gibt ihm die Größe, den letzten Schritt zu unternehmen, nämlich in das sagenhafte Gaballand aufzubrechen. Wer wissen will, wie das ausgeht, der sollte die betörende 180-seitige Reise durch das Buch von Nagib Machfus selbst antreten. Der ägyptische Schriftsteller führt den Leser mit hinreißender Leichtigkeit auf unerhörte Ansichtshöhen: den Feldherrenhügel der Weisheit.
Man weiß nicht, ob Nagib Machfus sich auf morgenländische Vorbilder bezieht oder ob er die Rhetorik orientalischer Weisheit nur ironisch zitiert, um eine Weltklugheit literarisch zu entfalten, der an der Tiefe des laufenden Tiefsinns in unseren Breiten Zweifeln lässt. Weisheit ist eine Sorte Erkenntnis, die sich nicht aus dem akrobatischen Gebrauch von Begriffen ableiten lässt, sondern auf die Lebenswirksamkeit des Denkens zielt. In allen Ländern, die Ibn Fattuma bereist, trifft er sich mit dem obersten Intelligenz-Priester. Es sind geistreiche Leute, die ihr Geld als Weltanschauungsberater der Macht verdienen. Auch bei uns gibt es diese Spezies. Wenn sie sich nicht gerade die Wunden lecken nach mörderischen Stellungskriegen mit solchen Barbaren wie den Rechtschreibereformern, dann preisen sie auf Ruhmeskanzeln das Abendland als Gipfel der Zivilisation und sie träumen davon, den Rest der Menschheit an ihrem Glück teilhaben zu lassen. Und manchmal halten sie Napalm für die letzte Schule der Freiheit.
Da wären wir wieder bei den Kriegen, die "Die Reisen des Ibn Fattuma" wie einen roten Faden durchziehen. Dieses Buch ist übrigens bereits 1983 im Original erschienen. Da gab es die Globalisierung als Begriff noch nicht. Die Sache allerdings schon länger. Ein paar Jahrhunderte lang hieß das Kolonialismus. Und irgendwann kamen die Aufklärer und setzten das Recht auf Differenz und Fremde durch, wenigstens in der Theorie. Und nach dem Buch von Nagib Machfus dämmert uns, die Aufklärung könnten wir noch mal gebrauchen. Doch ziemlich sicher, wird sie nicht aus der hiesigen Intelligenzproduktion erwachsen.