Donnerstag, 25. April 2024

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Reisen auf Japanisch

Wer auf Reisen geht, der kann was erzählen. Wenn jemand in Japan kunstvoll über das Reisen

Von Joachim Büthe | 27.02.2006
    berichtet, dann wählt er die Form des Haibun. Ein Reisejournal der besonderen Art hat Georg Jappe mit seinem Buch "Aufenthalte - Ein Haibun" vorgelegt.

    " an tausend Federn
    gesammelt & geschrieben
    mit dreien vieren"

    Mit diesen Zeilen beginnt Georg Jappes Haibun "Aufenthalte". Ein Haibun ist das Reisejournal eines Haikudichters. Bekanntlich gibt es verschiedene Formen des Reisens und für manche von ihnen ist ein Ortswechsel nicht nötig. In Jappes Journal kann man all diese Formen auffinden, von der U-Bahn Fahrt bis zu Reisen in entlegene Gebiete, von den stationären Reisen im Kopf bis zur prekären Lebensreise. Und manchmal verschmelzen sie im Brennglas der Miniaturform Haiku. Schon diese ersten Zeilen eröffnen ein weites Feld. Das ist nichts besonderes. Das machen Haikus immer. Wenn sie etwas taugen. Nicht immer haben sie die Transformation in einen anderen Kulturkreis schadlos überstanden.

    " Inzwischen ist das Haiku ausgewandert und besonders in der anglophonen, aber auch frankophonen Literatur durchaus anerkannt als ein eigenes Genre. In Deutschland ist es immer noch so in einer Gartenlaubenecke, wozu leider viele Publikationen beigetragen haben."

    Der schale Nachgeschmack, den so viele kunstgewerbliche Haikus aus der Hobbydichterwerkstatt hinterlassen, verdankt sich, neben anderem, auch der erbsenzählerischen Übererfüllung einer Form, deren Geist sie verfehlt. Das klassische Haiku hat 15 Silben: 4 in der ersten und letzten Zeile, 7 in der Mitte. Wer am Anfang mitgezählt hat, wird 2 überzählige Silben bemerkt haben.

    " Der Rhythmus hat die Priorität, und wenn dann eine Silbe zu viel oder zu wenig ist, dann stört mich das weniger. Es bleibt aber eine Zeichnung auf einem begrenzten Blatt. Wenn die Zeichnung rausrutscht, dann ist es eben keine Zeichnung auf A4 mehr, und dann ist es auch kein Haiku mehr. Es sind übrigens in meine Gedichtbände sehr viel Haikus eingewandert und dort verschwunden oder manchmal leuchten sie auch heraus, als Gegenstück. Sie sind auch Bausteine, die woanders eingesetzt werden."

    Wenn aber diese Bausteine in Gedichte integriert werden können und zugleich etwas anderes repräsentieren, dann stellt sich die Frage, worin dieses ebenso irritierende wie produktive Andere besteht.

    " Ein Haiku ist ein Bild. Dahinter soll ein zweites aufscheinen. Ein andere Version heißt, es ist ein Spannungsfeld zwischen einem negativen Pol und einem positiven, und dazwischen soll sich die Spannung entweder entladen oder verstärken. Das Haiku geht von einem Bild aus, im Gegensatz zu einem Gedicht, das von einem Worteinfall, von einem Thema, von einer Stimmung ausgeht."

    Und weil das Haiku von einem Bild ausgeht, von einer Momentaufnahme, von einem blitzartigen Erkennen, das dennoch einer langanhaltenden Bearbeitung bedarf, damit es in seiner Klarheit und Vieldeutigkeit bestehen kann, darf ein Haikubuch keine Bleiwüste sein. Georg Jappes Haikubücher, dies ist nicht das erste, sind immer auch Schriftbilder. In diesem Fall ist es die Kombination von vorgefundenen Handschriften mit der eigenen und mit altmodischem Schreibmaschinensatz , die Verbindung von Landschaftsbeschreibungen mit lyrischen Konzentraten, die dazu verführen, es immer wieder zur Hand zu nehmen.

    Das zweite, was ich bei den zwei anderen Haiku – Büchern auch betont habe, und hier auch, ist sein optischer Charakter. Früher wurden die klassischen Haikus auf Seidenrollpapiere geschrieben, mit einem Fudschijama oder einem Blütenzweig daneben... Dieses Mal wollte ich etwas anderes machen, in dem Haibun wird das Umfeld gezeigt. Ich trage meine Ornithopoesie, das sind ornithologisch exakte Beobachtungen mit Landschaftsschilderungen, mit bestimmten Farbbedeutungen, ein in alte Gästebücher, die ich beim Trödler erwerbe oder erbe, in Poesiealben. Und bei diesem Haibun stehen jetzt gewöhnlich zwei Haikus auf der linken Seite und auf der rechten Seite stehen Eintragungen zur Landschaft oder auch fremde Schriften, von Leuten, die längst gestorben sind. Es gibt da zwei Hauptstränge. Das eine ist der Hauptsitz Köln, mit den Hauptthemen Lärm, Kampf um das letzte Brachgelände gegen Bebauung, und Klinikaufenthalte, das sind schon Reisen in andere Welten...

    "Blut & Bilder abgebucht
    Bis zur Bewusstlosigkeit
    Gedankenfasten"

    Und zum zweiten eben Reisen, nicht um die ganze Welt, aber immerhin von Venezuela bis zum Baikal, von Kalifornien über Kamerun bis China. Immer eine ausgewählte Seite.

    Georg Jappes Reisejournal – Konzentrat ist auch ein Versuch, bei aller Weltläufigkeit, zu den Wurzeln zurückzugelangen. Es ist eine Reise in eine Zeit, in der Schrift und Bild noch nicht getrennt waren.

    " wie nah sie kamen
    die Füchse und die Hasen
    in der ersten Nacht !"


    "Aufenthalte – Ein Haibun"
    Von Georg Jappe
    (Matto Verlag)