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Religiöse Symbole
Québec provoziert mit Laizitätsgesetz

Religiöse Symbole am Arbeitsplatz gehören in den USA und den anglophonen Provinzen Kanadas zum Alltag. Doch Québec will jetzt einem Teil der Staatsangestellten das Tragen religiöser Symbole verbieten – zum Beispiel Polizisten und Lehrern. Der kanadische Premier reagiert empört.

Von Julian Bernstein | 13.04.2019
Demonstration gegen ein geplantes Verbot religiöser Symbole für einige Staatsbedienstete in Québec
Demonstration gegen ein geplantes Verbot religiöser Symbole für einige Staatsbedienstete in Québec (Julian Bernstein / Deutschlandradio)
"Québec ist nicht Frankreich, es lebe die Vielfalt!", rufen die Demonstranten auf dem Platz Émile Gamelin im Herzen Montreals – eine Anspielung auf die in Frankreich herrschende strikte Trennung von Kirche und Staat. Die Quebecer Regierung wolle den französischen Laizismus mit ihrem geplanten Gesetz kopieren – so der Vorwurf der Demonstranten. Sie kommen aus allen Gruppierungen, muslimische Frauen mit Kopftüchern protestieren gemeinsam mit Kippa-tragenden Juden und Anhängern der indischen Sikh-Religion, die stolz ihre Turbane zeigen. Was sie eint, ist die Wut auf die Provinzregierung.
Das Gesetz dürfe auf keinen Fall durchkommen, erklärt einer der zahlreichen Redner. Die mit absoluter Mehrheit regierende "Coalition Avenir Québec" missbrauche ihre politische Macht, um Rassismus und Angst zu schüren. Das müsse bekämpft werden.
Laizität als Gefahr für die Religionsfreiheit?
Seit die Regierung vor rund zwei Wochen ihr Laizitätsgesetz präsentiert hat, reißt die Kritik daran nicht ab. Neben den betroffenen religiösen Minderheiten blickt vor allem das anglophone Kanada mit zunehmender Irritation auf seine französischsprachige Provinz.
Der kanadische Premierminister, Justin Trudeau, bezeichnete das Gesetz bereits als diskriminierend.
Der frankophone Regierungschef der Provinz, François Legault, konterte mit einer persönlichen Stellungnahme:
"Laizität steht nicht im Gegensatz zur Religionsfreiheit. Jeder kann die Religion seiner Wahl weiter so praktizieren, wie er es will, aber es braucht Regeln."
Legaults Gesetzesvorschlag zielt speziell auf Staatsbedienstete, die laut Provinzregierung Macht ausüben. Die Regierung zählt dazu unter anderem Polizisten, Staatsanwälte und Lehrer. Professoren, Erzieher oder Verwaltungsbeamte betrifft das Gesetz hingegen nicht. Zudem besagt eine Klausel, dass Angestellte, die sich bereits vor Verabschiedung des Gesetzes im Staatsdienst befinden, ihre religiösen Symbole vorerst weiter tragen dürfen – vorausgesetzt, sie werden weder befördert noch versetzt. In seiner Ansprache pries Legault das Gesetz als moderat – so wie die Kultur der Québecer.
"Kleine Insel im anglophonen Meer"
Der Gesetzesvorschlag ist der vorläufige Höhepunkt einer mehr als zehnjährigen Debatte. Als Auslöser gilt ein Vorkommnis aus dem Jahr 2006: Ultraorthodoxe Juden störten sich damals an dem Schaufenster eines Montrealer Fitnessstudios. Der Anblick von Frauen in Sportkleidung sei für junge Juden unangemessen, beschwerte sich der Gemeindevorstand. Die Geschichte schaffte es schnell auf die Titelseiten der Lokalpresse. Es folgte eine Debatte über das Verhältnis der Québecer Mehrheitsgesellschaft zu ihren religiösen Minderheiten – in einer für Kanada ungewohnten Schärfe. Die spannungsreiche Beziehung Québecs zu seinen Minderheiten, erklärt der Philosoph Charles Taylor mit der speziellen Geschichte der Provinz:
"Es ist eine Gesellschaft, die immer dafür kämpfen musste, ihre Identität zu bewahren. Das französischsprachige Québec ist wie eine kleine Insel in einem riesigen anglophonen Meer. Das führt zu einer verständlichen Angst vor dem Verlust der eigenen Identität; davor, dass die Gesellschaft sich unwiederbringlich verändern könnte. Das erklärt, warum wir hier dieses spezielle Problem haben und andere Gesellschaften in Amerika nicht."
"Ich bin dieselbe Person, ob ich Kopftuch trage oder nicht"
Charles Taylor befürchtet durch das Gesetz negative Konsequenzen für die Provinz – neben einem Imageschaden vor allem eine erschwerte Integration religiöser Minderheiten in den lokalen Arbeitsmarkt. Vor allem im Schuldienst arbeiten in Montreal bereits Dutzende Lehrkräfte, die sichtbaren Minderheiten angehören – darunter die muslimische High-School-Lehrerin Nadia Naqvi. Sie sieht das Gesetz als einen Anschlag auf ihre Religionsfreiheit:
"Ich bin seit 12 Jahren Lehrerin an einer öffentlichen Schule, und ich habe sehr hart gearbeitet. Dass jetzt die Art und Weise, wie ich mich anziehe, meine Karriere in Gefahr bringen soll, das macht mich traurig, und es empört mich. Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Ich bin doch dieselbe Person, ob ich mein Kopftuch trage oder nicht."
Nadia Naqvi will das Gesetz unbedingt verhindern. Viel Zeit bleibt ihr jedoch nicht. Die Québecer Regierung will das Gesetz bis Mitte Juni verabschiedet haben.