Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Religion in den USA
Nie wieder "Mormone"

Mormonen waren gestern. Die viertgrößte Glaubensgemeinschaft in den USA will die Öffentlichkeit dazu bewegen, nie mehr von Mormonen zu sprechen, sondern den ursprünglichen Namen zu nutzen: Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Eine Herausforderung – selbst für Mitglieder.

Von Katja Ridderbusch | 17.05.2019
Mormonenfrauen gehen über den Temple Square in Salt Lake City, im Hintergrund der sechstürmige Mormonen-Tempel. Mehr als die Hälfte der Einwohner des US-Staates Utah sind Mormonen
Der Temple Square in Salt Lake City, im Hintergrund der sechstürmige Tempel der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (picture alliance / dpa / Barbara Munke)
"The Lord impressed upon my mind the importance of the name, The Church of Jesus Christ of the Latter-Day Saints."
Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage - The Church of Jesus Christ of the Latter-Day Saints: Der Name ist eine Herausforderung. Aber keine Herausforderung sei zu groß, wenn es darum gehe, den Willen Gottes umzusetzen, sagte im vergangenen Oktober Kirchenpräsident Russell Nelson. Oder das Gebot.
"It is a command of the Lord."
Die Mormonen wollen nicht mehr Mormonen heißen und nicht mehr Mormonen genannt werden. Eine große Aufgabe, denn seit dem 19. Jahrhundert hat sich der Name Mormone durchgesetzt.
"Die Kirche meint es diesmal wirklich ernst"
Die Kirche hat weltweit gut 16 Millionen Mitglieder. Sie ist nach Protestanten, Katholiken und Juden die viertgrößte Glaubensgemeinschaft in den USA, und die größte im Bundesstaat Utah, wo sich der Hauptsitz befindet.
Kathleen Flake lehrt und forscht am Institut für Religionswissenschaft der Universität von Virginia. Ihr Schwerpunkt: das Mormonentum. Sie ist selbst Mitglied dieser Kirche und sagt, das Anliegen, den vollständigen Namen der Kirche zu benutzen, sei nicht neu:
"Seit Jahren gebe es immer wieder Bemühungen, den Namen zu etablieren, sagt die Forscherin. Seit Kirchengründer Joseph Smith im Jahr 1838 eine Offenbarung von Gott erhalten habe, der ihn wissen ließ, wie die Kirche heißen soll. Auch Präsident Nelson beruft sich auf eine Offenbarung. Er wollte deutlich machen: Die Kirche meint es diesmal wirklich ernst. Sie hat die Adresse ihrer Homepage und die Email-Konten ihrer Mitarbeiter geändert, und sie hat einen Style Guide für die Medien herausgegeben."
Kathleen Flake, Expertin für Mormon-Studien an der University of Virginia

Im Wörterbuch speichern


Keine Wortliste für Deutsch -> Deutsch...


Eine neue Wortliste erstellen...


Kopieren
Kathleen Flake, Expertin für "Mormon-Studies" an der University of Virginia (University of Virginia)
Danach ist nicht nur der Begriff Mormonen oder Mormonenkirche unerwünscht, auch die Abkürzungen: LDS für "Latter Day Saints" – oder auf Deutsch: HLT für "Heilige der Letzten Tage" – stehen auf dem Index. Die Gläubigen seien als "Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" zu bezeichnen, bittet die Gemeinschaft.
Und selbst der weltberühmte Tabernakel-Chor der Mormonen, der Konzerthallen rund um den Globus füllt und bei den Amtseinführungen zahlreicher US-Präsidenten auftrat, wurde umbenannt und heißt jetzt: der Tabernakel-Chor am Tempelplatz.
"The Tabernacle Choir" in Salt Lake City.
"The Tabernacle Choir" in Salt Lake City. (dpa / picture-alliance)
Göttliche Offenbarungen haben in der Glaubensgemeinschaft, die sich früher Mormonen nannte, häufig auch einen ganz weltlichen Hintergrund. Das offizielle Ende der Mehrehe im Jahr 1890 beispielsweise soll das Ergebnis einer Offenbarung gewesen sein. Der Druck der US-Regierung, die drohte, das Vermögen der Kirche einzuziehen und deren Führer zu inhaftieren, mag ebenfalls eine Rolle gespielt haben.
"Außenstehende haben uns nicht als Christen angesehen"
Auch die Namenskorrektur habe zum Teil pragmatische Gründe, sagt Flake: "Die Kirche hatte immer das Problem, dass Außenstehende sie nicht als Christen angesehen haben. Das hat auch zu Problemen bei der Anerkennung durch internationale Behörden geführt. Viele Länder führen Listen mit Glaubensgemeinschaften, die sie als Sekten einstufen. Die Mormonen standen häufig auf diesen Listen, eben weil sie nicht als christliche Glaubensgemeinschaft anerkannt wurden. Mit der Namensänderung, so hoffen die Kirchenführer, mache die Gemeinschaft jetzt auch formell klar, dass sie keine Sekte ist, kein Kult."
In Deutschland hat die Kirche, die den Genuss von Alkohol, Nikotin und Koffein untersagt und Sex vor der Ehe verbietet, knapp 40.000 Mitglieder. Katholiken und auch viele protestantische Kirchen erkennen die mormonische Taufe allerdings nicht an.
Im Garten des Tempels von Atlanta im US-Bundesstaat Georgia, zwischen üppigen Blumenbeeten und manikürten Rasenflächen, treffe ich René Alba und Tom Owen.
Die beiden Herren in den 60ern – dunkle Anzüge und gestärkte weiße Hemden – haben führende Positionen in der Kirche. Der Klerus besteht ausschließlich aus Laien. Alba, der aus Mexiko stammt, arbeitete drei Jahrzehnte lang für den Computerriesen IBM. Owen diente als Offizier in der Air Force und war später für die Rüstungsfirma Lockheed Martin tätig.
Rund 86,000 Mitglieder hat die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage in Georgia. Georgia liegt im sogenannten Bibelgürtel der USA. René Alba:
"Es ist ein Segen, dass wir hier im Süden leben, in einer Region, in der es so viele gute Christen gibt, die ihrem Glauben leben, die am Sonntag in die Kirche gehen und die in Restaurants vor dem Essen ein Gebet sprechen."
Hauptsache, Christus taucht im Namen auf
Die Anordnung von Kirchenführer Nelson zur Namenskorrektur ist seit sieben Monaten in Kraft.
"I have slipped occasionally. But I think over time it will become a non-issue."
Er verspreche sich noch ab und zu, sagt Tom Owen, aber er ist sicher: Mit der Zeit werde ihm der neue, alte Name ganz selbstverständlich von den Lippen kommen.
"Oh, all the time, all the time."
Und auch René Alba muss sich immer wieder verbessern. Vor kurzem kam er im Flugzeug mit einem Mitreisenden ins Gespräch, der ihn darauf hinwies, dass er den Namen Mormone nicht mehr verwenden dürfe. Stimmt, sagte Alba, der Name sei ein Zungenbrecher, aber er helfe bei der Suche nach der eigenen Identität als Kirche.
"I’m a member of the Church of Jesus Christ of the Latter-Day Saints. It’s a mouthful, but it brings such power and clarity as to who we are."
Tom Owen und René Alba - leitende Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage in Atlanta
Tom Owen und René Alba - leitende Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage in Atlanta (Deutschlandradio / Katja Ridderbusch)
Für Tom Owen ist es vor allem wichtig, dass Christus im Namen der Kirche auftaucht.
"Wir haben gute Beziehungen zu anderen christlichen Glaubensgemeinschaften, aber schauen Sie sich doch mal deren Namen an: Die Katholiken, die Lutheraner, die Episkopalen. Das sind die großen christlichen Kirchen, aber keine von ihnen hat Jesus Christus in ihrem Namen."
Moses im Maßanzug
Anders als viele andere Religionsgemeinschaften verzeichnet "die Kirche der Heiligen der Letzten Tage" einen Mitgliederzuwachs, wenngleich auch nur einen geringen.
Religionsforscherin Flake nennt eine Reihe von Gründen, warum die Kirche auch jüngere Menschen ansprechen könnte:
"Da gibt es etwas im Mormonentum, das sehr zukunftsgewandt ist. Es ist eine Religion, in der Gott eine Aufgabe und eine Stimme im Hier und Jetzt hat. Und das kann sehr attraktiv sein."
Für jene Christen, die nicht mehr Mormonen genannt werden möchten, ist der Kanon ihrer heiligen Schriften offen, die Offenbarung wurde und wird fortgesetzt - vom Buch Mormon über weitere Schriften bis in die Gegenwart.
"Und das bringt uns zurück zu der Diskussion um den Namen. Dies ist die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage – in Abgrenzung zu den frühen Heiligen, den frühen Anhängern Christi. Als Anhänger dieses Glaubens kann man aktiv mitwirken und Teil der Heilsgeschichte werden."
Alle Mitglieder der Kirche verstehen sich also selbst als Heilige der Letzten Tage, so Religions-Expertin Flake. Zu ihrem Glauben gehört auch, dass es zeitgenössische Seher und Propheten gibt. Präsident Russell Nelson, ein ehemaliger Herzchirurg, wäre dann also eine Art Moses im Maßanzug?
"That’s right. That’s exactly what he’s like."
Für die Mitglieder seiner Kirche sei er genau das, sagt Kathleen Flake. Und so nutzt Nelson seine Autorität als Prophet, um das Gebot Gottes zur Namenskorrektur durchzusetzen, mit Druck und Drohung: Wer sich nicht daran halte, der verhelfe dem Teufel zum Sieg.
"To remove the Lord’s name from the Lord’s Church is a major victory for Satan."